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"Merkel zwischen Thatcher und Kennedy"

1. Dezember 2005

Mehrere europäische Zeitungen beschäftigen sich in Leitartikeln mit der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Allzu beeindruckt zeigen sie sich allerdings nicht.

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"Berner Zeitung":
Ohne falsche Versprechungen

Nein, der große Wurf war es nicht. Angela Merkels erste Regierungserklärung war so wenig spektakulär wie der ihr zu Grunde liegende Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD: Es fehlten Visionen, es fehlte die Aufbruchstimmung und der Pathos. (...) Doch eines muss man der neuen Regierungschefin zugute halten: Sie macht keine falschen Versprechungen und nennt die Dinge beim Namen. (...) Politik ist bei Merkel eben Handwerk - und keine medientaugliche Zauberei.

"Nesawissimaja Gaseta" (Moskau):
Merkel muss Volk erst noch überzeugen

Merkels Rede, die über eine Stunde dauerte, war weit mehr als nur ein kurze Zusammenfassung des 190 Seiten umfassenden Koalitionsvertrags. Merkel versuchte, dem Volk zu erklären, dass das riesige Defizit breite Sparmaßnahmen notwendig mache und unpopuläre Entscheidungen mit sich bringe. Ihre Regierung wird allerdings bei den Entscheidungen, die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent zu erhöhen, Subventionen zu streichen und steuerliche Vergünstigungen abzuschaffen, die Leute kaum zufrieden stellen.

"ABC" (Madrid):
Merkel zwischen Thatcher und Kennedy

Die Deutschen wissen nun, woran sie sich halten müssen. Sie haben Jahre der Aufopferung, der Verantwortung und des Vertrauens in die Möglichkeiten ihres Landes vor sich. Angela Merkel hat die Koordinaten ihres Projekts festgelegt und gesagt, was viele erwarteten: Dass Deutschland vor der Chance steht, sich wieder zu finden, indem es seine Energien dem Aufbau einer Zukunft widmet. Sie hat dabei an den Konsens jenseits parteipolitischer Interessen appelliert. Und sie hat Register gezogen, die das energische Gepräge Thatchers mit dem freundlichen und mitreißenden Ton Kennedys kombinierten.

"Tages-Anzeiger" (Zürich):
Merkel hat aus den Fehlern gelernt

Merkel hat auch bewiesen, dass sie lernfähig ist, und hat an Kontur gewonnen. Aus den Fehlern des Wahlkampfs, in dem sie den Zustand Deutschlands allzu düster gemalt hatte, hat sie ihre Schlüsse gezogen. Sie hat jetzt den neuen Partnern das sozialdemokratische Herz gewärmt und Befürchtungen zerstreut, in Deutschland werde eine soziale Eiszeit anbrechen. Präzise und unideologisch hat sie definiert, was sie unter sozialer Gerechtigkeit versteht.

"Der Standard" (Wien):
Merkel - überraschend ehrlich und realistisch

Ihre ersten Hausaufgaben hat Merkel erledigt: Sie reiste zum Antrittsbesuch nach Paris, Brüssel und London und war auch zu Hause nicht untätig: Diese Woche hat das schwarz-rote Kabinett die ersten Kürzungen von Subventionen (Eigenheimzulage) auf den Weg gebracht. 'Kleine Schritte' wolle sie mit ihrer Regierung machen, sagt die Bundeskanzlerin, weil sie weiß, dass auch ihre große Koalition kein schnelles Wundermittel zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands hat. Das ist überraschend ehrlich - entspricht aber auch der Realität.