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Zwei gegen den Rest

27. Oktober 2010

Die Bundeskanzlerin will beim EU-Gipfel in Brüssel Änderungen der EU-Verträge durchsetzen. Sie legt sich deshalb mit fast allen anderen EU-Mitgliedern an. Der Gipfel droht zu einer großen Konfrontation zu werden.

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Präsident Sarkozy begrüßt Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Ankunft in Deauville
Mit dem Deal von Deauville haben Sarkozy und Merkel viel Porzellan zerschlagenBild: AP

Viele Europapolitiker und EU-Kommissare verstehen die Welt nicht mehr. Da hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vehement hinter den Vorschlag von Währungskommissar Olli Rehn gestellt, dass Defizitsünder quasi automatisch bestraft werden, und vollzieht dann eine Kehrtwende im französischen Deauville. Dort verständigte sie sich mit Präsident Nicolas Sarkozy, dass die Regierungen weiterhin einen Ermessensspielraum bei den Sanktionen haben sollten.

Guy Verhofstadt, Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Europaparlament, übte am Vortag des EU-Gipfels, der am Donnerstag und Freitag (28./29.10.2010) in Brüssel stattfinden wird, Kritik an Merkels Verhalten: "Der Charakter des Kommissionsvorschlags geht völlig verloren, und ich finde es vollkommen unverständlich, vor allem von Deutschland. Zehn Monate lang haben die Deutschen strengere Strafen gefordert, und dann machen sie das Gegenteil."

Große gegen Kleine

Ratspräsident Van Rompuy blickt ernst in die Kamera (Foto: DW-TV)
Vorsteher einer sinnlosen Arbeitsgruppe: Herman Van Rompuy?Bild: DW-TV

Die Vertreter kleiner EU-Staaten bemängeln außerdem, zwei große EU-Mitglieder versuchten, über die Köpfe der Kleinen hinweg zu entscheiden. Der sozialistische Fraktionschef Martin Schulz hält die Einigung von Deauville für eine Brüskierung von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. "Ich frage mich, wann der Herr Van Rompuy die Konsequenz zieht. Der kriegt da einen Auftrag, die Reformen, die notwendig sind, zu beschreiben, aber bevor er überhaupt etwas vorlegen kann, sagt das Tanzpärchen in Deauville: ’Nee, haben wir schon alles entschieden.'"

Reform in Gefahr

Kritische Stimmen gibt es auch zu dem Zugeständnis Frankreichs, dessentwegen die Einigung von Deauville überhaupt nur zustande kam: Frankreich will nämlich deutsche Forderungen nach einer Änderung der EU-Verträge unterstützen. Damit soll es zum einen möglich werden, notorischen Defizitländern vorübergehend das Stimmrecht zu entziehen, zum anderen geht es um die Zukunft des Rettungsschirms für pleitebedrohte Staaten, der 2013 ausläuft. Deutschland will, dass künftig auch private Gläubiger die Lasten tragen müssen und nicht nur die europäischen Steuerzahler. Zwar teilen manche Regierungen das eine oder das andere Ziel, Vertragsänderungen halten aber die meisten für unrealistisch. Auch Währungskommissar Olli Rehn und Justizkommissarin Viviane Reding warnen vor diesem Versuch.

Inmitten des Streits appelliert Kommissionspräsident José Manuel Barroso an alle Beteiligten, beim Gipfel das Gesamtziel der Reformen nicht zu vergessen. "Das Gesamtergebnis muss sich wirklich von der jetzigen Situation unterscheiden. Wir müssen unseren Bürgern zeigen, dass die Europäische Union alle Lektionen der Krise gelernt, alle Konsequenzen gezogen hat."

Grundsatzstreit anstatt pragmatischer Politik

Dabei hat sich die Euro-Krise seit dem Frühjahr durchaus etwas entspannt, als die EU zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds den gewaltigen Rettungsschirm von 750 Milliarden Euro aufspannte. Chef dieser Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, wie sie offiziell heißt, ist Klaus Regling. Er glaubt, die gefährdeten Staaten hätten ihre Hausaufgaben gemacht. "Vor vier, fünf Monaten waren fast alle am Markt überzeugt, dass Spanien der erste Kunde werden würde. Heute redet niemand mehr davon. Mein zentrales Szenario ist, dass keins der Mitgliedsländer in der Währungsunion finanzielle Hilfsmaßnahmen braucht."

Das dürfte die Auseinandersetzungen in Brüssel aber kaum dämpfen. Beim Gipfel droht nun ein Grundsatzstreit über das Thema Vertragsänderung: Die deutsche Regierung besteht darauf und hat gedroht, sie werde auch den Vorschlägen der Van-Rompuy-Arbeitsgruppe die Zustimmung verweigern, die schärfere Regeln unterhalb einer Vertragsänderung vorsieht. Doch für Vertragsänderungen ist ein einstimmiger Beschluss aller 27 Mitgliedsländer notwendig. Nichts scheint im Moment ferner als das.

Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Martin Schrader