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Merkels Nahost-Reise beflügelt die Wirtschaft

24. Mai 2010

Bundeskanzlerin Merkel vertieft die Beziehungen zur wirtschaftlich stark aufstrebenden Golfregion. Im Beisein der Kanzlerin brachten deutsche Unternehmen in Abu Dhabi eine Reihe von Aufträgen unter Dach und Fach.

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Merkels Ankunft in Abu Dhabi (Foto: dpa)
Ankunft in Abu DhabiBild: picture-alliance/dpa

Angela Merkel ist sozusagen als oberste deutsche Handlungsreisende unterwegs. Auf ihrer Tour durch mehrere Golfstaaten (24.05. bis 27.05.2010) hat die Kanzlerin zahlreiche deutsche Top-Manager im Schlepptau - das Who-is-Who der deutschen Wirtschaft auf der Suche nach lukrativen Großaufträgen.

Gute Geschäfte für deutsche Firmen

Der Vorstandsvorsitzende der Linde AG, Wolfgang Reitzle, besiegelte am Montagabend mit der in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässigen Firma Borouge einen Vertrag über den Bau einer Anlage zur Kunststoffherstellung im Volumen von knapp 1,1 Milliarden Dollar. Siemens-Chef Peter Löscher schloss Lieferverträge zum Ausbau der Infrastruktur für die Stromlieferung im Umfang von 145 Millionen US-Dollar ab. Das Münchner Familienunternehmen Bauer erhielt von der staatlichen Ölgesellschaft ADNOC einen Folgeauftrag für 13 weitere Erdgastankstellen im Volumen von 28 Millionen US-Dollar. Die BASF-Tochter Wintershall unterzeichnete eine Absichtserklärung zur gemeinsamen Erkundung und Entwicklung eines Gas- und Ölvorkommens im Emirat von Abu Dhabi.

Vertragsunterzeichnung in Abu Dhabi (Foto: AP)
Siemens-Chef Löscher (links) bei der Vertragsunterzeichnung in Abu Dhabi. Mit dabei: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kronprinz Scheich Mohammed bin Said al-Nahjan (stehend)Bild: AP

Darf die Bundeskanzlerin vier Tage lang in die Golfstaaten reisen, wenn zu Hause in Europa die Gemeinschaftswährung Euro in einer existenziellen Krise steckt? Für Christoph Heusgen, Merkels außenpolitischen Berater, heißt die Antwort darauf eindeutig 'Ja'. "Die Golfstaaten haben ein Interesse an einem starken Europa", sagt der in der Öffentlichkeit zurückhaltende Ministerialdirektor. "Gerade in der Wirtschaftskrise haben sich ihre Investitionen als besonders hilfreich erwiesen, man erinnere sich zum Beispiel an den Einstieg von Katar bei VW und Porsche.

Billionen-Projekte in der Pipeline

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schätzt, dass am Golf derzeit Projekte im Wert von 2,8 Billionen Dollar auf ihre Vergabe warten. Darunter seien längst nicht mehr nur klassische Infrastrukturprojekte wie Wohnungsbau, Strom- und Wasserversorgung, sagt Felix Neugart, Nah-Mittelost-Experte des DIHK. "Auch in den Golfstaaten ist die Zeit des qualitativen Wachstums angebrochen. Das heißt, gerade in den großen Ballungszentren macht man sich mehr Gedanken über Verkehrsplanung und eine Verkehrsinfrastruktur, die das Wachstum auffangen kann." Ebenso brauche es eine Müllentsorgung, Recycling oder Abwasserbehandlung. "In allen diesen Branchen sind deutsche Unternehmen natürlich sehr gut aufgestellt", analysiert Neugart.

Und dass in einer Region, deren Wirtschaftswachstum selbst in weltweiten Krisenzeiten kaum unter fünf Prozent sinkt, in Katar sogar auf 18 Prozent geschätzt wird.

Mit dem Golf aus der Krise schwimmen?

Bis 2020 sollen die Golfstaaten, natürlich nicht zuletzt dank des Öl- und Gasreichtums, einen Außenhandelsüberschuss von sechs Billionen Dollar erwirtschaften. Für die deutschen Exporte in die Region waren Superlative gerade gut genug, bis die Finanzkrise 2008 kam. Verdreifachte sich davor der deutsche Export innerhalb von acht Jahren, schrumpfte er im Krisenjahr 2009 auf 13,7 Milliarden Euro zusammen. Schon deshalb sei Merkels Reise "ein sehr wichtiges Signal, und kommt auch zum richtigen Zeitpunkt", sagt Wirtschaftsvertreter Neugart.

Masdar City (Foto: DW-TV)
Masdar CityBild: DW-TV

Das offizielle Programm der Reise ist dicht gedrängt: Am Dienstag folgt ein Besuch in der Vorzeigestadt Masdar. Die Stadt in den Vereinigen Arabischen Emiraten soll die erste CO2-freie Stadt der Welt werden und beherbergt zusammen mit Bonn den Sitz der jüngsten Weltorganisation IRENA. 2009 gegründet, soll IRENA Erneuerbaren Energien zum weltweiten Durchbruch verhelfen.

G20-Mitglied Saudi-Arabien überzeugen

Dann der Weiterflug nach Saudi-Arabien - die Kanzlerin wird sich am Dienstag und Mittwoch dort beim saudischen Königshaus für die Unterstützung bei der Befreiung zweier deutscher Geiseln im Jemen bedanken. Sie trifft am Rande der Wirtschaftskonferenz saudische Unternehmerinnen und hält vor Studenten der König Abdullah Universität für Wissenschaft und Technik (KAUST-Universität) eine Rede. Die Kanzlerin wird in der ersten saudischen Universität sprechen, in der Frauen und Männer gleichberechtigt studieren.

Vor allem die politischen Gespräche mit Saudi-Arabien sind wichtig. Denn das ölreiche Land hat als G20-Mitglied großes diplomatisches Gewicht. Weltweite Finanzmarktregeln, das bevorstehende G20-Treffen im kanadischen Toronto, der festgefahrene Nahostfriedensprozess und der Nuklearstreit mit dem Iran - all das steht ganz oben auf der bilateralen Agenda.

Die "zentrale Rolle" der Golfstaaten

Der außenpolitische Berater der Bundeskanzlerin, Christoph Heusgen (Foto: dpa)
Der außenpolitische Berater der Bundeskanzlerin, Christoph HeusgenBild: picture-alliance/dpa

Bei der Lösung des Irankonflikts komme den Ländern des Golf-Kooperationsrates eine zentrale Rolle zu, sagt Merkels Berater Heusgen: "Als direkte Nachbarn sind diese vom Konflikt besonders betroffen, weil sie die ersten Opfer einer Eskalation wären." Schon deshalb müssten sie in den doppelten Ansatz der internationalen Diplomatie mit einbezogen werden, der auf Verhandlungen setze, ohne dabei aber Sanktionen auszuschließen. "Am Ende wären sie als Nachbarn gefragt, die solche Sanktionen dann auch tatsächlich durchführen und überwachen."

Ganz problemlos dürfte der zweite Besuch der Kanzlerin in der Region auch aus einem anderen Grund nicht verlaufen: Seit Jahren stocken die Verhandlungen um das EU-Freihandelsabkommen mit dem Golfkooperationsrat. Die durch die Euro-Krise geschwächte Bundeskanzlerin dürfte derzeit nur wenig politische Druckmittel besitzen, um auf einen schnellen Abschluss zu drängen. Ein Abschluss, der vor allem Europa besseren Zugang zum reichen Golf verschaffen würde.

Am Mittwochabend wird der Kanzlerinnen-Tross weiter nach Doha fliegen. Am Donnerstag stehen abschließend politische Gespräche in Bahrain an. Noch in der darauffolgenden Nacht soll die Kanzlerin dann wieder in Deutschland landen.

Autoren: Richard A. Fuchs / Christian Walz
Redaktion: Kay-Alexander Scholz