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Messen mit zweierlei Maß

16. Januar 2004

– Für ungarische Minderheiten in den Nachbarländern gibt Ungarn ein Vielfaches dessen aus, was es für Minderheiten im eigenen Land zur Verfügung stellt

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Budapest, Dezember 2003, SONNTAGSBLATT, S. 4, deutsch, Geza Hambuch

Gern- und Gutgläubige hatten ernsthaft Illusionen genährt. Nun, die sind zwischendurch weithin verflogen. Im Minderheitenbereich schmolzen sie – sofern überhaupt vorhanden – wie der Schnee im März. Enttäuschungen haben sich an ihrer Stelle eingenistet. (...)

Für die unmittelbaren Minderheitenbelange hatte die (ungarische, sozialistisch-liberale – MD) Regierung, wie übrigens alle ihre Vorgänger, in ihrem Programm nicht viel Handgreifliches parat. Echte Chancen, echte Perspektiven wurden nicht geboten. Formulierungen wie "hervorgehobene Unterstützung" für die Wahrung der Minderheitenkultur konnten und können beliebig ausgelegt und somit nicht eingefordert werden.

Beim "Hervorheben" von Geldern für die heimischen Minderheiten erlahmen offensichtlich die Regierungsarme. Man spürt geradezu, wie weh das tut. Geht es hingegen um die Unterstützung der Madjaren in den Nachbarländern, wird mit fester und starker Hand zugegriffen. Die Opposition möchte dabei noch tiefer in den gemeinsamen Sack (auch mit den Steuergeldern der ungarländischen Minderheiten) greifen. Selbst das Staatsoberhaupt Ferenc Madl erhob da seine Stimme. Für die Volksgruppen hierzulande hatte der übrigens Deutschstämmige in der Parlamentsdebatte über den Haushalt 2004 kein Wörtchen übrig.

Die Verwirklichung der parlamentarischen Vertretung der Minderheiten bezeichnete die Medgyessy-Regierung in ihrem Programm als "unaufschiebbare moralische und politische Pflicht". Da schiebt die Regierung nun schon seit gut anderthalb Jahren. Und der Karren steht immer noch auf totem Gleis. Dabei bräuchte man doch nur über die Grenzen zu schielen, um genau zu sehen, wie es in den Nachbarländern gedeichselt wird. Und nicht nur, wie die Minderheiten im Hohen Haus zugelassen werden, sondern wie es dort um die Pflege und den Gebrauch der Muttersprache z. B. der Madjaren bestellt ist. Und dies in Schule und Kirche, in den Medien und im öffentlichen Leben.

Das Gerangel der Parteien um eine echte parlamentarische Vertretung der Minderheiten dauert nun schon seit der Wende an. Einschlägige Bestimmungen im Grund- und Minderheitengesetz scheinen den Mäusen gepfiffen. Das ist ein weiteres deutliches Zeichen – eines von vielen – dafür, wie "beispielhaft für ganz Europa" Ungarns Minderheitenpolitik in Wirklichkeit ist.

Für die Realisierung der vielzitierten, angestrebten kulturellen Autonomie der Minderheiten sind noch immer keine brauchbaren Weichen gestellt. Sie ist bislang im Grunde genommen geschriebener Segen geblieben. Die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LDU) hat mühsame Schritte unternommen und weiß ein Lied von den Steinen zu singen, die ihr bei der Übernahme von schulischen und kulturellen Einrichtungen in eigene Trägerschaft in den Weg gelegt wurden.

Ein gutes Minderheitengesetz muss auch da eine klare Lage schaffen. Meinen Regierung und Parlament denn im Ernst, dass mit 440 Millionen Forint – im Staatshaushalt 2003 und 2004 eingestellt – die kulturelle Autonomie für alle 13 heimischen Minderheiten auf den Weg gebracht werden kann? Nebenbei gesagt: Allein für eine ungarische Universität in Siebenbürgen wurden aus dem heurigen Staatshaushalt Ungarns zwei Milliarden Forint flüssig gemacht. Und die Unterstützung wird 2004, wie der Regierungschef auch auf Mahnung des Staatspräsidenten versicherte, in der gleichen Höhe weiterlaufen. Fürwahr ein wirklich beispielhaftes Vorgehen als Mutterland. Man fragt sich immer wieder: Warum benimmt sich Ungarn nicht auch als Vaterland der 13 Volksgruppen so?

Und was besonders ins Gewicht fällt: Die schwerwiegenden Mängel im Minderheitenschulwesen. Die breiten sich gleich hohen Felsen in der See aus. Fährt man sie an, zerbricht das Schiff. So kommt bei den Ungarndeutschen der zweisprachige deutsch-ungarische Unterricht nicht wie erforderlich voran, sondern fällt eher zurück. Auch weil nicht genügend Pädagogen für diese Unterrichtsform ausgebildet werden. Ganz zu schweigen von Lehrern für einen Unterricht in durchwegs deutscher Sprache und von der zumindest teilweisen Ausbildung von anderen Fachkräften wie Ärzte, Juristen oder Verwaltungsfachleute. Die würden doch nicht zuletzt auch für die kulturelle Autonomie gebraucht.

Der Staat beruft sich da auf die Autonomie der Hochschulen. Diese wiederum erwarten von Vater Staat Gelder für diesen Zweck. Ein Teufelskreis.

Die beträchtlichen normativen Zuwendungen für den Minderheitenunterricht, im Volksmund Kopfquoten genannt, gelangen seit Jahren in den Topf der Siedlungsselbstverwaltungen (Räte) und werden vielfach, nachdem sie 1999 freigegeben wurden, zweckentfremdet, also nicht zugunsten der Minderheitenschüler, verwendet. Den Minderheitenselbstverwaltungen steht nicht einmal ein Kontrollrecht zu. Proteste fielen und fallen auf steinigen Boden. Dabei könnten Regierung und Parlament im Handumdrehen Abhilfe schaffen. Wäre der Wille dazu da. Und dann könnte man zumindest in diesem Zusammenhang von hervorgehobener Unterstützung reden. Um die Nachteile wettzumachen, die sich aus der Minderheitenlage ergeben, wie es im Minderheitengesetz so schön heißt.

Man fragt sich zum tausendsten Mal: Kommt jetzt ein gutes Minderheitengesetz? Und darf man dann hoffen, dass sich vieles zum Besseren, zum Guten wendet? Es hofft der Mensch, solange er lebt. (me)