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Metamorphose?

20. April 2013

Eigentlich dürfte es uns gar nicht geben. Denn die Wahrscheinlichkeit für Leben tendierte beim Urknall gegen Null. Welch ein Hoffnungszeichen gegen Angst und Tod meint Prof. Ulrich Lüke von der katholischen Kirche.

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Handout picture provided by the European Southern Observatory (ESO) on Wednesday 03 February 2010 that shows a VLT image of the giant stellar nursery surrounding NGC 3603, in which stars are continuously being born. Embedded in this scenic nebula is one of the most luminous and most compact clusters of young, massive stars in our Milky Way, which therefore serves as an excellent 'local' analogue of very active star-forming regions in other galaxies. The cluster also hosts the most massive star to be 'weighed' so far. EPA/ESO HO HANDOUT EDITORIAL USE ONLY / NO SALES +++(c) dpa - Bildfunk+++ dpa 17301653
Vorhang auf für junge Sterne - Riesige Sternen-KinderstubeBild: picture-alliance/dpa

Haben Sie eine Ahnung von der Zukunft des Kosmos? - Die Physik nennt zwei Zukunftsszenarien. Unterhalb einer kritischen Masse findet sich eine fortschreitende Expansion. Der Physiker und Philosoph Klaus Mainzer beschreibt das so: „Langsam werden die Galaxien dunkler, gehen die kosmischen Energieöfen aus. Ausgebrannte Sterne stürzen in sich zusammen. Die absolute und endgültige Energiekrise tritt ein. Das Universum wird dunkler und kälter. (…) So tritt das expandierende Universum eine nie endende Reise in die Leere an.“

Oberhalb der kritischen Masse gewinnt die Gravitation die Oberhand, wird das Expandieren in ein Kollabieren des Universums umgekehrt. Dazu Mainzer:

„Ungeheures Ansteigen der Temperaturen bei gleichzeitiger Kontraktion bis zur Anfangssingularität. Der germanische Mythos vom Weltenbrand drängt sich auf oder Dantes Inferno oder die Apokalypse des Johannes. Nach dem Kollaps wäre auch eine erneute Expansion möglich, dann wieder Kontraktion usf., Nietzsches ewige Wiederkehr des Gleichen oder das oszillierende Universum als kosmischer Mythos vom Sisyphos …“

Wie soll man da noch auf Leben hoffen? Ist die Wahl zwischen diesen beiden Zukunftsszenarien „nie endende Reise in die Leere“ und „Mythos vom Weltenbrand bzw. Dantes Inferno“ nicht wie die Wahl zwischen erhängen und enthaupten? Es endet todsicher tödlich! Wie soll da Leben möglich sein und bleiben?

Leben entgegen aller kosmischen Wahrscheinlichkeit

Beginnen wir mal mit der Gegenfrage.

Leben aus der toten Materie des Anfangsinfernos, wie konnte das gehen? Welche Wahrscheinlichkeit hatte die Entstehung unseres blauen Planeten und die Entstehung des Lebens und gar noch des menschlichen Lebens vorab beim Urknall? Eins zu einer Billion (10 12)? Eins zu einer Billiarde (10 15)? Eins zu einer Trillion (10 18) oder noch größer? Und doch! Auch wenn es so absolut unwahrscheinlich ist, dass es uns winzige Erdenwürmer, uns Eintagsfliegen in den Äonen überhaupt gibt, so viel steht fest: Es gibt uns just inmitten des Chaos der Weltuntergänge und Weltenstehungen! Hatte da ein Gott, als ein Liebhaber des Lebens, die vier Grundkräfte gerade so dimensioniert und kalibriert, dass es sogar menschliches Leben geben konnte oder geben musste? Sie und ich, wir sind der lebendige und je einmalige Beweis dafür, dass das vorab schier Unmögliche möglich wurde.

Sollte ich dem genialen Virtuosen der Welt- und Lebensentstehung nicht auch zutrauen, dass er dies Leben erhält, indem er es in neue, uns unbekannte Dimensionen hinein transformiert? Der Aufgang dieses neuen Lebens ist um nichts unwahrscheinlicher als das Auftreten des Lebens, das wir hier haben und lieben.

Jeder von uns ist ein sterblicher, zweifelnder Mensch; das ist ein unbestreitbares Faktum. Aber das ist nur die eine Seite. Jeder von uns ist ebenso gewiss auch ein nach Leben und Sinn suchender Mensch. Das ist die andere Seite der Wirklichkeit und ebenso ein Faktum.

Wer sagt, dass nur und ausschließlich Sterben, Zweifel und Verzweiflung real und sinnvoll sind? Wer kann bestreiten, dass nicht auch Leben, Vertrauen und Hoffnung real und sinnvoll sind?

Der Beruf des Schmetterlings

Hans Magnus Enzensberger hat ein merkwürdiges Karfreitags- oder Ostergedicht hinterlassen mit der Überschrift:

Die Grablegung

Eine sterbliche Hülle,
so heißt es,
aber was war drin?
Die Psyche,
sagen die Psychologen,
die Seele,
sagen die Seelsorger,
die Person,
sagen die Personalchefs.

Dazu noch die Anima,
die Imago, der Dämon,
die Identität, das Ich,
das Es und das Überich.
Der Schmetterling,
der sich aus diesem Gedrängel erheben soll,

gehört einer Art an,
von der wir nichts wissen.

Diese Bild vom Schmetterling hatten schon die frühen Christen auf ihre Grabplatten und Sarkophage geritzt und gemeißelt, als ein Hoffnungsbild für die unser Erdenleben grundlegend verwandelnde Auferstehung.

„Ich glaube nicht, dass ich mich für den Beruf des Schmetterlings eigne, sagte die Raupe. Und Gott lächelte.“

Der Tod, sagt unser Osterglaube, ist nicht nur Exitus, also Ausgang oder Untergang dieses Lebens, sondern Transitus, Übergang oder Durchgang in das Leben Gottes. Nicht nur Descensus, also Abstieg in das Reich des Todes, sondern auch Ascensus, Aufstieg in das Reich Gottes. Das ist der Gott, der das lebensferne Chaos des Anfangs in den lebendigen Kosmos unseres Daseins transformiert hat. Das ist der Gott, der unser endliches Dasein zum vollendeten Dasein transformieren kann und will. Hoffen wir auf diese österliche Metamorphose!

Zum Autor:
Prof. Dr. Ulrich Lüke ist Theologe (Priesterweihe 1980) und Biologe und beschäftigt sich wissenschaftlich immer wieder mit dem Grenzgebiet zwischen beiden Disziplinen. Promotion zum Thema Evolutionäre Erkenntnistheorie und Theologie, Habilitation zum Thema Bio-Theologie . Nachdem er 12 Jahre am Gymnasium beide Fächer unterrichtet hat, wechselte er an die Katholische Fachhochschule Freiburg und wurde schließlich Professor an der Theologischen Fakultät Paderborn. Seit 2001 ist er Professor für Systematische Theologie an der RWTH Aachen.

Prof. Dr. Ulrich Lüke
Prof. Dr. Ulrich LükeBild: Ulrich Lüke