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Methadon für Fußball-Junkies

Oliver Samson23. September 2002

Kein TV am Arbeitsplatz? Schauen Sie bei dieser WM (nicht) in die Röhre? Kein Problem, könnte man denken - gibt es doch das Internet. Aber das Angebot hält nicht, was es verspricht.

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Die erste Internet-WM?Bild: AP

Als die Entscheidung für die Fußball-Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Süd-Korea gefallen war, gab es nicht nur bei Fans lange Gesichter. Anstoßzeiten fern aller hiesigen Fußballgewohnheiten minderte die Vorfreude vieler erheblich, und besorgte Wirtschaftspropheten errechneten im Vorraus astronomische volkswirtschaftliche Schäden durch WM-Glotzen am Arbeitsplatz.

Noch längere Gesichter gab es, als die Fernsehpläne für die WM publik wurden: Nur ein einziges Live-Spiel pro Tag im frei empfangbaren Fernsehen - aus der Traum von einem morgendlichen WM-Match im Kreise der lieben Kollegen.

Der Traum vom großen Geschäft

Einzig die Internet-Branche glaubte Grund zum Jubeln zu haben. Vor allem die Sportportale witterten das große Geschäft. Anstoßzeit gleich Arbeitszeit - und so würde, nach der Hoffnung der Betreiber, ein guter Teil der Fußballfans im Büro vor dem Computer sitzen, ohne die Möglichkeit sich nebenbei einen Fernseher auf den Schreitisch zu stellen. Im Radio sollte ebenfalls nicht jedes Spiel übertragen werden, deshalb würden sich die Leute schon online informieren.

Mit enormem Aufwand wurde den Fans das Blaue vom Cyberhimmel versprochen. Tatsächlich gibt es kaum etwas, was es nicht gibt: Live-Ticker, Spielberichte, WM-Tagebücher, Gewinn-, Tip- und sinnfreie Spiele und bei der Kooperation von DFB und T-Online sogar Video-Chats mit Nationalspielern. Nur bewegte Bilder vom rollenden Ball finden sich höchst selten.

Zusammenschnitte im FIFA-VIP-Club: 22, 50 Euro

Die hatte sich in Deutschland bekanntlich großteils Leo Kirch für sein Pay-TV gesichert. Und auch die FIFA selbst will sich mit bewegten Bildern im Internet Geld in die ziemlich leeren Taschen füllen. In Zusammenarbeit mit dem Internet-Riesen Yahoo erstellte die Weltfußballverband ein gigantisches siebensprachiges WM-Portal, für das bis zum Finale eine Milliarde Seitenabrufe erwartet werden. Neben vielen Informationen und noch mehr netz-typischem Schnickschnack findet man dort auch den FIFA-VIP-Club. "Verpassen sie kein Tor", befiehlt dort ein Slogan - doch Livebilder von Toren bekommt der Fan auch dort nicht geboten. Zum Preis von 22,50 Euro können registrierte Nutzer vier Minuten dauernde Zusammenschnitte aller 64 Spiele anschauen - Zusammenschnitte gibt es allerdings abends auch im Fernsehen.

Wie sehr dieses Angebot nach Nepp riecht muss jeder natürlich für sich selbst entscheiden. Vielleicht hilft es ja tatsächlich einigen gebeutelten Fußball-Junkies, die sich so schon vor der abendlichen Dosis mit ruckelnden Internet-Videos versorgen können - und das immerhin fast in Postkartengröße.

"Es läuft sehr gut", sagt jedenfalls Andreas Hörr. "Diese WM ist zum ersten Mal eine Internet-WM." Schön, dass wenigstens er sich darüber freut. Ein Wunder ist das nicht. Der Mann ist Marketing-Manager von Yahoo.