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Migranten als Sündenböcke

Jannis Papadimitriou11. April 2012

Ein griechischer Minister will illegale Einwanderer einsperren, andere Politiker machen Migranten verantwortlich für die Ausbreitung von HIV: Einwanderung ist Griechenlands Top-Thema im Wahlkampf.

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Migrant Mohammadi Yunus aus der afghanischen Gemeinde in Athen (Foto:DW/J. Papadimitriou)
Migrant Mohammadi Yunus aus der afghanischen Gemeinde in AthenBild: DW

Für Aufregung sorgt vor allem das sogenannte Integrationsgesetz des sozialistischen Bürgerschutzministers Michaelis Cryssochoidis. Es sieht vor, dass illegale Einwanderer bis zu ihrer Abschiebung in ehemaligen Kasernen eingesperrt werden sollen. Das Gesetz wurde bereits vom griechischen Parlament verabschiedet. Noch im Sommer 2009 lehnte der damalige Oppositionspolitiker Michaelis Cryssochoidis aus humanitären Gründen die Unterbringung von Migranten in Militärkasernen ab. Heute will Chryssochoidis als Regierungspolitiker 30 solcher Auffanglager für Flüchtlinge in ganz Griechenland errichten. Sie sollen mit EU-Geldern finanziert werden.

Linke Oppositionsparteien und Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Vorhaben und sprechen von gefängnisartigen Internierungslagern. Mohammadi Yunus, Mitvorsitzender der afghanischen Gemeinde in Athen und Mitglied des Dachverbands griechischer Flüchtlingsorganisationen, deutet diese Pläne als reines Wahlkampfmanöver. Die Parlamentswahlen sollen im Mai dieses Jahres stattfinden.

Ausufernde Bürokratie bei Asylanträgen

"Seit 2001 lebe ich in Griechenland und es ist immer dasselbe: Jedes Mal wenn Wahlen anstehen, wird über die Einwanderer gelästert", sagt Yunus. In der Tat sei die Einwanderung ein wichtiges Thema in Griechenland, aber die Probleme würden nicht durch Razzien und Inhaftierungen gelöst. Viel besser sei es doch, man würde bestehende Gesetze auch anwenden. "Das griechische Asylrecht gehört zu den besten in Europa, aber es kommt leider nicht zur Anwendung", klagt der Mann aus Afghanistan. Wegen der ausufernden griechischen Bürokratie kann es bis zu fünf Jahre dauern, bis die Behörden über einen Asylantrag entscheiden.

Auch für die steigende Kriminalität werden Einwanderer mitverantwortlich gemacht. Politisches Kapital schlagen daraus drei Rechtsparteien, die in aktuellen Umfragen bei fünf Prozent liegen und gute Chancen haben, nach den diesjährigen Wahlen im griechischen Parlament vertreten zu sein. In Athen bietet die rechte Schlägertruppe Chryssi Avgi ("Goldene Morgenröte") sogar einen privaten Schutz-Service an: Wenn alleinstehende Senioren zur Bank gehen möchten, aber Angst vor Überfällen haben, können sie sich bei den Ultrarechten melden und einen Begleiter bestellen.

Einwanderer als "gesundheitliche Zeitbomben"

Der Afghane Yunus bestreitet nicht, dass in den vergangenen Jahren die Kriminalität in Athen deutlich gestiegen ist, sieht darin aber keinen Zusammenhang mit der Einwanderung. "In der Tat gibt es ein massives Sicherheitsproblem in der Innenstadt, aber wir Migranten sind doch diejenigen, die am meisten darunter leiden", sagt der Vertreter der afghanischen Gemeinde. In bestimmten Stadtvierteln würde man sich als Ausländer zur späten Stunde gar nicht auf die Straße trauen, aus Angst vor Übergriffen. "Die Menschen ärgern sich über die Gleichgültigkeit des Staates gegenüber ihren Problemen, und die Einwanderer müssen dann als Sündenböcke herhalten", klagt Yunus.

Auch der bei Wählern beliebte Gesundheitsminister Andreas Loverdos missbraucht Migranten als Sündenböcke. In einem TV-Interview äußerte er die These, Einwanderer seien "eine gesundheitliche Zeitbombe" und würden Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und sogar den HIV-Virus verbreiten. Tassos Koronakis, migrationspolitischer Sprecher der linken Oppositionspartei Syriza, zeigt sich empört über derartige Äußerungen.

Tassos Koronakis (Foto:DW/J. Papadimitriou)
Migrations-Experte Tassos Koronakis ist empört über die Darstellung von MigrantenBild: DW

"Als die Wirtschaft noch gut lief, ließ die Regierung Einwanderer ohne gültige Papiere ins Land strömen, um sie als billige Arbeitskräfte auszunutzen. Heute will man diese Menschen loswerden und spricht auf einmal von Internierungslagern und gesundheitlichen Zeitbomben", kritisiert Koronakis. Nicht die Einwanderung, sondern die neue Armut sei der Grund für den Anstieg der Kriminalität. Dafür die Migranten bestrafen zu wollen, sei falsch: "Kriminelle Machenschaften werden in der Regel von griechischen Hintermännern angeführt", meint der Oppositionspolitiker.

Angst vor Kritik der EU-Partner

Konservative Politiker Griechenlands geben sich in der Einwanderungsdebatte auffällig zurückhaltend. Ihre früher umstrittenen Vorschläge zur Errichtung von Auffanglagern für Migranten werden heute von den mitregierenden Sozialisten unterstützt. Doch die Konservativen befürchten, dass Griechenland scharfe Kritik von Seiten der EU-Partner einstecken muss, weil das Land angeblich nicht in der Lage ist, die eigenen Grenzen zu kontrollieren, die auch Außengrenzen Europas sind.

"Als Berichterstatter des Europäischen Parlaments für die Reform des Schengen-Raums habe ich feststellen müssen, dass unsere Partner vor allem eines wollen: Dass derjenige, der um Hilfe ruft, auch willens und in der Lage ist, sich selbst zu helfen", meint der konservative griechische EU-Abgeordnete Giorgos Papanikolaou. Griechenland müsse eine schlüssige Einwanderungspolitik entwickeln - von der effektiven Bewachung der Außengrenzen über die Aufnahme aller Asylberechtigten bis hin zur Abschiebung illegaler Einwanderer und der Integration derjenigen, die bereits in diesem Land leben. "Zum Konzept gehört aber auch, dass die durch die Aufnahme von Flüchtlingen entstehende Belastung innerhalb Europas gerechter verteilt wird", fordert Papanikolaou.

Giorgos Papanikolaou (Foto:DW/J. Papadimitriou)
Giorgos Papanikolaou plädiert für eine schlüssige EinwanderungspolitikBild: DW

Zurzeit prüft jeweils das EU-Land, das ein Flüchtling zuerst betreten hat, dessen Asylantrag. Da viele Immigranten Griechenland als Eingangstor zu Europa wählen, fordern griechische Politiker umgehend eine Änderung dieser Regelung auf europäischer Ebene.