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Politik

Angst vor Abschiebung

7. Januar 2018

In den kommenden drei Monaten will Israel Tausende afrikanische Asylbewerber aus dem Land drängen. Sie haben die Wahl: Flugticket und Überbrückungsgeld oder Knast. Von Tania Krämer, Tel Aviv.

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Afrikanische Asylsuchende demonstrieren in Tel Aviv
Bild: DW/Y. Brenner

"Es ist ein sehr beängstigender Moment und viele Menschen sind einfach in Panik", sagt Ghebrihiwet Tekle. Er stammt aus Eritrea, hat in Israel Asyl beantragt und arbeitet nun im Büro der "Hotline für Flüchtlinge und MigrantInnen", einer israelischen Nichtregierungsorganisation in Tel Aviv. Der 37-Jährige arbeitet hier als Übersetzer für Tigrinisch, eine Sprache, die in Äthiopien und Eritrea gesprochen wird. Die Stimmung ist düster: Einige Tage zuvor hat die israelische Einwanderungs- und Grenzbehörde eine umstrittene Kampagne gestartet. Das Ziel: eritreische und sudanesische Asylsuchende entweder dazu zu bewegen, in ein Drittland zu gehen, oder sie auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis zu stecken. Die Betroffenen haben selbst die Wahl. Bis Ende März müssen sie eine Entscheidung fällen.

Bei einer Kabinettssitzung Anfang Januar lobte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu den Plan: "Eindringlinge haben eine einfache Wahl", so Netanjahu. "Entweder sie kooperieren mit uns und verlassen freiwillig, respektvoll, menschlich und legal das Land, oder wir müssen die anderen uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen." Obwohl das Vorhaben bereits von Menschenrechtsgruppen heftig kritisiert wurde, will Netanjahu laut einem Bericht der Zeitung Ha'aretz noch einen Schritt weiter gehen. Demnach soll die Möglichkeit einer erzwungenen Ausweisung geprüft werden - angesichts von übervollen Gefängnissen und hoher Kosten für die Unterbringung. Die Pläne für erzwungene Ausweisungen haben israelische Beamte inzwischen allerdings als "unrealistisch" bezeichnet.

Uganda Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu
Ministerpräsident Netanjahu (Mitte rechts) mit dem ugandischem Präsidenten Museveni (2016)Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Wandera

Jetzt, da die Uhr tickt, fühlten sich die meisten Menschen in der eritreischen und sudanesischen Community in Israel extrem verwundbar, so Asylbewerber Tekle. Er kennt ihre Geschichten und Probleme nur zu gut aus eigener Erfahrung. "Sie sagen, dass bestimmte Gruppen von dem Ausreisezwang ausgeschlossen sind. Aber wer weiß? Wenn sie mit der einen Gruppe fertig sind, dann kommen sie vielleicht zu uns. Es gibt keine Sicherheit." Schätzungsweise 37.000 Eritreer und Sudanesen leben in Israel. Sie wanderten zwischen 2006 und 2012 ein, bevor das Land eine Hightech-Sicherheitsbarriere baute, die die Flüchtlingsroute über die ägyptische Sinaihalbinsel schließen soll.

Fast keine Anerkennung von Flüchtlingen

Bis heute hat die überwiegende Mehrheit der afrikanischen Migranten keinen Flüchtlingsstatus erhalten: Nur acht Eritreer und zwei sudanesische Staatsangehörige wurden nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) in Israel als Flüchtlinge anerkannt. Alle anderen haben eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis, die alle drei Monate erneuert werden muss. Personen, die keinen Asylantrag gestellt haben, werden nun bei der nächsten Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis aufgefordert, ein kostenloses Flugticket und 3500 US-Dollar (2908 Euro) für die Ausreise in Anspruch zu nehmen. Lehnen sie ab, droht ihnen der Gang ins Gefängnis. Menschen, die in der Haftanstalt Holot in Südisrael eingesperrt sind, werden ebenfalls unter Druck gesetzt, das Land zu verlassen.

Flüchtlingslager Holot für afrikanische Asylsuchende in Israel
Protest von Insassen im Internierungslager Holot in der Wüste NegevBild: picture-alliance/dpa/O. Weiken

Berichten zufolge sind zunächst zahlreiche Ausnahmen vorgesehen: Familien, Kinder, Menschen über 60, Opfer von Menschenhandel und diejenigen, die sich um den Flüchtlingsstatus bewerben, sollen nicht betroffen sein. "Die Anerkennung von Asyl in Israel liegt unter einem Prozent. In Europa beträgt die durchschnittliche Anerkennungsrate für Eritreer etwa 90 Prozent", sagt Tamara Newman von der "Hotline für Flüchtlinge und Migranten". Als Sudanesen und Eritreer ins Land kamen, erhielten sie "Gruppenschutz". Aber ihnen wurde auch gesagt, dass sie keinen Asylantrag stellen dürfen. Selbst das Einreichen individueller Asylanträge habe sich im vergangenen Jahr als schwierig erwiesen, so Newman. "Es gibt lediglich ein Amt im ganzen Land, in dem Menschen ihre Anträge stellen können." Die Leute würden sich schon abends anstellen, um am nächsten Morgen um 7 Uhr eingelassen zu werden. "Und sie lassen jeden Tag hundert Leute herein."

In ständiger Unsicherheit leben

Ghebrihewet Tekle hat seinen Antrag vor drei Jahren eingereicht und hofft immer noch auf den Flüchtlingsstatus. Der leise sprechende Mann floh aus Eritrea, nachdem er während seiner Proteste als Student verhaftet und später gezwungen worden war, drei Jahre in der Armee zu dienen - in einem Land, das laut internationalen Menschenrechtsgruppen für schlimme Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. "Ich sah mich selbst ohne Zukunft dort, also beschloss ich, das Risiko einzugehen, mein Land zu verlassen", sagt Ghebrihiwet Tekle. Zuerst floh er nach Äthiopien, wo er für ein Jahr in einem Flüchtlingslager lebte. Er setzte seine Reise in den Sudan fort und musste später Schmuggler bezahlen, um den Sinai zu überqueren, um 2007 schließlich Israel zu erreichen.

Afrikanische Flüchtlinge demonstrieren in Israel
Afrikanische Migranten demonstrieren in Tel Aviv gegen die langsame Bearbeitung von Asylanträgen (2014)Bild: Reuters

In Israel kümmerte sich in den ersten Tagen die Armee um ihn. Einige Neuankömmlinge wurden ins Gefängnis geschickt, andere erhielten eine Busfahrkarte nach Tel Aviv, wo sich viele in den ärmeren Vierteln der Hauptstadt niedergelassen haben. Dies führte zu lang anhaltenden Spannungen mit den Anwohnern. Anstatt als Flüchtlinge zu gelten, werden die Afrikaner meist als "Eindringlinge" und "Wirtschaftsmigranten" bezeichnet. Ihre Präsenz in Israel ist seit Jahren Gegenstand einer oft hitzigen und zeitweise populistischen Debatte. Tekle sagt, er sei dankbar und glücklich, in Israel in Sicherheit zu sein. Aber nun sei ungewiss, was in naher Zukunft passiert.

Israelische Menschenrechtsorganisationen haben vor den potenziellen Risiken gewarnt. Fälle von Menschen, die Israel bereits im Rahmen des so genannten "Programms zur freiwilligen Ausreise" in Drittländer verlassen hatten, zeigten, dass einige von ihnen nach Ankunft mit Gewalt und Erpressung rechnen müssen. Und einige Rückkehrer sind wieder zu Flüchtlingen geworden, die nun in Libyen versuchten, das Mittelmeer zu überqueren. Für Ghebrihiwet Tekle ist die freiwillige Ausreise keine Option. "Ich ziehe es vor, ins Gefängnis zu gehen, bis mein Land wieder sicher ist." Ruanda oder Uganda seien für ihn keine Option. "Ich fühle mich dort nicht sicher."

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin