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Migration – Alltag in Kosovo

17. Februar 2005

Wirtschaftliche Migration, politische Verfolgung, Flucht vor Krieg. Viele Kosovo-Albaner haben ihre Heimat verlassen. Rifat Blaku, Direktor des Instituts für Emigrationsstudien in Pristina, im Gespräch mit DW-RADIO.

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Kosovo-Albaner auf der Flucht 1999Bild: AP

DW-RADIO/Albanisch: Kosovo hat immer eine hohe Emigrationsrate gehabt, was sind die Ursachen?

Rifat Blaku: Nach dem 2. Weltkrieg war die Migration Bestandteil der kosovarischen Realität. Die Position von Kosovo war sozusagen die einer Kolonie in Bezug zu Serbien und Jugoslawien. Das Angebot und die Nachfrage am Arbeitsmarkt waren nicht geregelt und die Bevölkerung im Kosovo hatte ihre besonderen Charakteristika: Hohe Geburtenrate, großer Bevölkerungsanteil nicht aktiv im Arbeitsprozess, größtenteils arbeiteten die Menschen in der Landwirtschaft, mehrheitlich waren sie Analphabeten, Kosovo hatte geringe Einnahmen, so dass die Emigration ein ständiger Begleiter war.

Wohin emigrierten die Menschen?

Sie emigrierten in den Norden von Ex-Jugoslawien, dann an die Adria-Küste, um Arbeit zu suchen. 1965, als Jugoslawien als einziger sozialistischer Staat den internationalen Arbeitsmarkt akzeptierte, begann die Abwanderung ins Ausland. In den 50-er und 60-er Jahren wanderten aus Kosovo insgesamt 250.000 Albaner aus. Das war eine auch politische Zwangsmigration. Das alles ist aber wissenschaftlich unerforscht geblieben.

Die Männer sind meistens alleine emigriert und ließen Frauen und Kinder zurück. Welche sozialen Folgen hatte das Fernbleiben der Väter?

Der Anfang der wirtschaftlichen Migration nach Westeuropa besonders nach Deutschland hatte menschliche, familiäre und soziale Folgen. Frauen und Kinder wurden in der Heimat zurückgelassen. Mit der Zeit änderte sich das Bewusstsein und die Männer nahmen ihre Familien mit.

In den 50-er Jahren hatten wir die politische Emigration in die Türkei, aber auch einen kleinen Teil von politisch Verfolgten, der nach Europa ging, später die Arbeitsemigranten, in den 90-er Jahren die Asylbewerber und dann die Kriegsemigranten und der Prozess ist immer noch in der Entwicklung.

Wie steht es mit der Migration nach dem Kosovo-Krieg? Welche Chancen bietet Kosovo den Rückkehrern?

Die Zeit nach dem Krieg ist ein besonderes Kapitel. Asylbewerber, Arbeitsemigranten und Kriegsflüchtlinge kehren wieder nach Kosovo zurück, in einer Zeit als Kosovo nach verbrannter Erde roch, in großer Unsicherheit, aber mit dem großen Wunsch zurückzukehren. Hier ist eine besondere Analyse erforderlich, weil die albanische Emigration in all diesen Zeitspannen nicht durch die lokale Verwaltung dokumentiert wurde, sondern für sie sprach Belgrad. Heute muss für diese Bürger von Kosovo eine Institution eingerichtet werden, die die positiven Effekte der Emigration maximiert und ihre negativen Effekte minimiert. Wir haben keine Institution, die das Interesse der kosovarischen Emigranten im Ausland und bei seiner Reintegration im Kosovo vertritt. Es ist eine Emigration ohne Perspektive, weil einerseits die Rückkehr oder auch Abschiebung aus Westeuropa weitergeht, andererseits finden Sie immer auch stille, elegante Auswege, Kosovo wieder über illegale Kanäle zu verlassen.

Die letzte Volkszählung wurde in Kosovo 1981 durchgeführt, wann findet die nächste statt?

Die Zählung der Bevölkerung, der Wohnungen und der Haushalte wird vom 31. März bis 15. April 2006 stattfinden, weil jetzt auch das Volkszählungsgesetz verabschiedet worden ist. Die Vorbereitungen dazu sind angelaufen. Das ist ein großes Unterfangen für alle wirtschaftlichen und politischen Projekte, die Kosovo beabsichtigt. Die Volkszählung ist aus objektiven Gründen verschoben worden, weil nach dem Krieg erst die lokalen, dann die parlamentarischen Wahlen stattfanden, dazu kam noch der Aspekt der Vorbereitung des Personals. Es sollten 14.000 Personen darauf vorbereitet werden, über 450.000 Haushalte zu besuchen, um alle Veränderungen seit der letzten Volkszählung auf dem Papier festzuhalten. Das hat auch seinen Preis, es sind Ausgaben von 7,9 Millionen Euro. Es ist ein Projekt, wofür seriöse Vorbereitungen im Gange sind.

Was macht Kosovo für die Rückkehr der Serben?

Ab Mai 2000 haben die Institutionen im Kosovo, UNMIK, OSZE, KFOR viel unternommen, um die Minderheiten allgemein und die Serben besonders zu unterstützen. Das ist einer der Standards, die erfüllt werden müssen. Besondere Aktualität hat das Thema nach den gewalttätigen Übergriffen März letzten Jahres erlangt und dazu gibt es viele Projekte. Wir im Zentrum für Emigrationsstudien hatten bereits 49 Aktivitäten bis zu den März-Unruhen. Nach dem März gab es Programme mit Priorität, wie sie heißen, es wurden auch Geberkonferenzen abgehalten. Seit dem 14. August vergangenen Jahres gibt es den Beschluss, dass ein Ministerium für die Rückkehr gebildet wird. Es wird jetzt viel unternommen, um dies zu fördern. Außer den Projekten der lokalen Verwaltung ist auch Belgrad involviert durch das Koordinationszentrum für Kosovo. Wir haben sicher Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Strategie der Rückkehr. Belgrad politisiert und instrumentalisiert die Frage der Rückkehr wie üblich zu bestimmten Zwecken, verzögert und verhindert die positiven Prozesse im Kosovo.

Das Interview führte Angelina Verbica

DW-RADIO/Albanisch, 17.2.2005, Fokus Ost-Südost