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Woher kommt Populismus?

4. Juni 2010

Zwar instrumentalisieren Rechtspopulisten Ressentiments gegen Zuwanderer, aber sie erzielen gerade dort Erfolge, wo es wenige Zuwanderer gibt. Viele Länder haben zu lange verleugnet, dass sie Zuwanderungsländer sind.

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Ungarische Rechtsextreme bei einer Demonstration
Rechtsextreme in UngarnBild: picture alliance/dpa

Es gibt keinen kausalen Zusammenhang, dass Einwanderung rechtspopulistische Parteien fördert. In Ländern, in denen es wenige Migranten gibt, ist das Ausmaß an Rechtspopulismus oft sogar höher, als dort, wo viele Einwanderer leben. "Wir sehen, dass zum Beispiel in Polen und Ungarn der Rechtspopulismus ausgesprochen stark ist," sagt Dr. Andreas Zick, Forscher am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. In diesen Ländern gibt es wenig interkulturelle Kontakte.

Universitätsprofessor Dr. Andreas Zick, Universität Bielefeld, Fakultät für Erziehungswissenschaft (Foto: Zick)
Prof. Andreas Zick erforschte Rechtspopulismus in acht Europäischen StaatenBild: Andreas Zick

Auch am Beispiel der nationalistischen Partei "Vlaams Belang" (Flämische Interessen) in Belgien zeige sich, dass Fremdenfeindlichkeit dort auf fruchtbareren Boden stoße, wo es wenig Kontakte zwischen Ansässigen und Neubürgern gibt. "Wenn es dann Zuwanderung gibt, folgt eine Reaktion auf diese subjektive Bedrohung durch Immigration. In anderen Regionen, wo viele Migranten leben, ist der Zuspruch zum Rechtspopulismus nicht besonders hoch," so der Forscher.

Wer seine Mitmenschen kennt, ist weniger anfällig für Populisten

In der Schweiz sind die Erfahrungen ähnlich. "Bei der Anti-Minarett-Initiative war es so, dass in Regionen, wo keine Muslime leben, die höchsten Ablehnungsquoten waren," betont der Historiker Damir Skenderovic aus Fribourg. "Es bedarf nicht des Migranten, um rassistisch zu sein," bringt es Anetta Kahane auf den Punkt. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen rassistische Gewalt stark macht.

Griechische Nationalisten demonstrieren in Athen gegen die Erteilung der Staatsbürgerschaft an Migranten (Foto: AP)
"Staatsbürgerschaft gibt es nicht umsonst" fordern griechische NationalistenBild: AP

Populistische Bewegungen greifen aber gerne Probleme auf, die aus der Migration erwachsen. Dabei setzen sie gezielt auf die sozialen Ängste der Bevölkerung: "Wir sehen dass der Zuspruch dort steigt, wo die Menschen von den politischen Parteien und Gruppen nicht bei ihren Bedürfnissen und Ängsten vor Arbeitslosigkeit abgeholt werden. Immigration kann verheerende Folgen in der Mentalität der Bevölkerung haben und als Bedrohung wahrgenommen werden, wenn sie nicht als erwünscht betrachtet wird," so der Sozialforscher Zick.

Anpassung im Tausch gegen Chancengleichheit

Das ist besonders dort der Fall, wo die Zuwanderungsgesellschaften keine oder eine verfehlte Integrationspolitik betrieben haben - wie in vielen Ländern Westeuropas. Kahane nennt die muslimischen Immigranten als Beispiel. Anders als in Europa gebe es in klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Australien eine ganz andere, besser integrierte muslimische Einwanderungsschicht. "Muslime, die in diese Länder einwandern, tun das mit einem ganz anderen Ziel, als sie es hier tun", so Kahane. Die Migranten wollten an dieser Gesellschaft partizipieren und nähmen Druck, den die Gesellschaften auf die Einwanderer ausüben, als Chance wahr. "Das sind eher Leute, die Karriere machen wollen," erkärt die Expertin.

Wer als Migrant aus Nordafrika, der Türkei oder den arabischen Ländern dagegen nach Europa komme, habe einen relativ kurzen Weg hinter sich und auch ein anderes Motiv zu emigrieren. "Die wollen da sein, da bleiben und in Ruhe gelassen werden. Das wollen sie gar nicht in den klassischen Einwanderungsländern - da wollen sie durchstarten," betont Kahane.

Universitätsprofessor Dr. Damir Skenderovic, Historiker an der Universität Fribourg (Foto: Skenderovic)
Die Geschichte der Immigration sei gemeinsames Kulturgut, sagt der Historiker SkenderovicBild: Damir Skenderovic

"Gäste" integrieren sich schlechter als Neubürger

Der Historiker Skenderovic hebt hervor, dass die westeuropäischen Gesellschaften lange Zeit selbst dazu beigetragen hätten, dass die Integrationsbemühungen der Einwanderer stagnieren. "Man hat die Immigranten als Gastarbeiter oder Gäste bezeichnet und das Eingeständnis, dass wir eigentlich eine Migrationsgesellschaft sind, in der auch ein Teil des Wachstums aus der Migration kommt, ist erst in den letzten zehn Jahren breiter diskutiert worden."

Deshalb plädiert er dafür, die Immigration der 50er- und 60er-Jahre stärker in die offizielle Erinnerungskultur einzubetten. Als Beispiel könnten die Anwerbungsverträge dienen, mit denen hunderttausende Arbeiter nach dem Krieg nach Westeuropa geholt wurden. "Warum werden die nicht, parallel zu den Europäischen Gemeinschaftsverträgen, auch gefeiert, zum Jubiläum? Hier wurde von staatlicher Seite ein Schritt gemacht, der durchaus auch positive Einflüsse auf die Gesellschaft der Nachkriegszeit hatte."

Erwachen in Osteuropa Feindbilder des frühen 20. Jahrhunderts?

In die Staaten Osteuropas gab es weder im Kommunismus noch in der Zeit danach eine vergleichbare Migration. Populisten fokussieren sich daher viel stärker auf die dort bereits seit Jahrhunderten lebenden Minderheiten.

Symbolbild "Zuwanderer Willkommen" (Foto: DW)
Immigranten wollen durchstarten - Stigmatisierung lähmt InitiativeBild: DW

Zigeuner und andere ethnische Gruppen können so schnell zum Objekt nationalistischer Mobilisierung werden, wie beispielsweise die Ungarn in der Slowakei. Vor allem der Antisemitismus sei nach wie vor in vielen Ländern stark. "Da ist Europa quasi noch, wie es leibt und lebt. Im 20. Jahrhundert war das ja das stärkste Element der Abwehr von Minderheiten. In den postkommunistischen Gesellschaften ist Antisemitismus genau der Faktor an dem sich anti-moderne Bewegungen aufreiben," so Kahane.

Diese Bewegungen zeichneten sich durch eine besondere Gewaltbereitschaft gegen Minderheiten aus, sagt die Stiftungsvorsitzende: "Wir haben in Russland, der Ukraine, Polen, Tschechien, Ungarn, ganz zu schweigen vom ehemaligen Jugoslawien, aber auch in Rumänien oder Bulgarien starke Gruppen, die sich an Minderheiten vergehen und auch Morde begehen und Leute totschlagen auf der Straße."

Anetta Kahane, Publizistin, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung (Foto: dpa)
Anti-westliches denken vereine Rechts- und Linksextreme, sagt die Publizistin KahaneBild: picture-alliance/ ZB

Rechts- und Linksextremisten vereinigt in Ablehnung der Morderne

Kahane sieht die Ursachen dieser Gewalt in einem "von Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus durchtränkten nationalrevolutionären Geist", der sehr stark antikapitalistisch und sehr in der Tradition des Antiimperialismus verankert sei. Er wehre "Modernisierung und natürlich auch alles, was mit Globalisierung und kosmopolitischen Ideen zu tun hat, ab". Es handele sich dabei und eine Folge der Zeit im Kommunismus, "der sowohl strukturell autoritär war, als auch feindlich gegenüber einer libertären, offenen Gesellschaft, die alle möglichen Einflüsse zulässt und sich der Welt zuwendet."

Und hierbei kämen sich rechtsextreme und linksextreme Ideologien oft verblüffend nahe.

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Julia Kuckelkorn