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Milliardengeschäft Menschenhandel

Marcel Fürstenau10. Januar 2013

Unicef und das Bundeskriminalamt haben schockierende Zahlen ermittelt. Viele Opfer kommen aus Osteuropa. Während die Täter Milliardengeschäfte machen, tappen die Strafverfolger meist im Dunkeln.

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Im Dorf Calvin (Provinz Buzau) spricht Nadja Uhl mit Kindern aus einer Roma-Gemeinschaft. Viele sind ganz allein auf sich gestellt.
Unicef/KinderhandelBild: UNICEF

Es ist der typische Kreislauf: Fehlende Fürsorge und Bildung münden in Armut und Verzweiflung. Diese Hoffnungslosigkeit machen sich Menschenhändler weltweit zunutze. Sie zwingen ihre Opfer zur Prostitution, beuten sie als Arbeitssklaven aus, missbrauchen sie für Organhandel. Fachleute schätzen, dass die Zahl der Betroffenen in die Millionen geht. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung hat dazu neue Zahlen veröffentlicht. Die Auswertung offizieller Daten aus 132 Ländern ergab demnach, dass vor allem Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre zunehmend in die Fänge von Menschenhändlern geraten.

In den Jahren 2003 bis 2006 lag ihr Anteil bei 20 Prozent, im Zeitraum 2007 bis 2010 waren es schon 27 Prozent. Zwei Drittel davon waren Mädchen. Die meisten minderjährigen Opfer wurden in Afrika, dem Nahen Osten sowie Südasien und der Pazifikregion festgestellt. Die häufigsten Formen der Ausbeutung sind Zwangsprostitution (58 Prozent) und Zwangsarbeit (36 Prozent). Hinzu kommen Betteln und die Ausbeutung als Dienstmädchen oder Hausjunge.

Krimineller Wachstumsmarkt Europa

In Europa spitzt sich die Lage vor allem in Ländern des ehemaligen Ostblocks zu. Besonders gefährdet seien Kinder, die in zerrütteten Familienverhältnissen aufwachsen, berichtete Anne Lütkes von der deutschen Sektion des UNO-Kinderhilfswerks Unicef am Donnerstag (10.01.2013) in Berlin. In Rumänien gebe es viele Kinder, die von Geburt an nicht einmal registriert seien. "Es sind Kinder, die verschwinden können, ohne dass überprüft wird, ob sie existieren", sagte Lütkes.

Berlin/ Anne Luetkes, Vorstandsmitglied von Unicef Deutschland, und Joerg Ziercke, Praesident des Bundeskriminalamtes, am Donnerstag (10.01.13) in Berlin (Foto: dapd)
Anne Lütkes (Unicef) und Jörg Ziercke (BKA) in BerlinBild: dapd

Rund 84.000 Kinder würden in Rumänien alleine, nur mit einem Elternteil oder bei Verwandten leben, ergänzte die Expertin. "Die Familienmitglieder sind ins Ausland gegangen, um Arbeit zu suchen." Ihre Kinder seien besonders schutzlos, betonte Lütkes. Ähnliche Zustände wie in Rumänien gibt es nach Unicef-Erkenntnissen in vielen osteuropäischen Ländern, etwa in der Republik Moldau und in Bulgarien. 

Drohung, Gewalt und Täuschung

Die trostlosen Zustände sind das ideale Einfallstor für Menschenhändler. Täter nutzten gezielt die Sorglosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Opfer aus, weiß der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke. Er bestätigt den Unicef-Befund, dass die Opfer oftmals aus ärmsten Verhältnissen stammen und auf ein besseres Leben hoffen. "Durch Drohung, Gewalt oder Täuschung werden die Opfer oftmals zur Prostitution gezwungen", beschreibt Ziercke ein typisches Schicksal.  

Das UNO-Büro gegen Drogenhandel und organisierte Kriminalität hat ermittelt, dass im Zusammenhang mit Menschenhandel die Zahl der Strafverfolgungen, Anklagen und Verurteilungen in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen hat. Dennoch würden nur wenige Täter zur Verantwortung gezogen. In der gesamten EU habe es 2010 lediglich 1250 Verurteilungen wegen Menschenhandels gegeben, heißt es in einem aktuellen Bericht. In Deutschland wurden im Jahr 2011 laut BKA 482 Verfahren im Bereich des "Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung" abgeschlossen. Die meisten Tatverdächtigen waren nach Angaben des BKA-Präsidenten deutscher Nationalität, gefolgt von Bulgaren, Rumänen und Türken.

Zwangsarbeit und Zwangsprostitution als Folge des internationalen Menschenhandels 2012_03_15_Zwangsarbeit und Zwangsprostitution als Folge des internationalen Menschenhandel.PSD DW-Grafik: Olof Pock Datum: 19.03.2012
Zwangsarbeit und Zwangsprostitution als Folge des internationalen Menschenhandels

"Ohne Aussage des Opfers kein Ermittlungsverfahren"

Ermittlungen im Bereich Menschenhandel seien grundsätzlich personal- und zeitintensiv, erläuterte Ziercke. Verfahren würden mitunter zwei Jahre oder länger dauern, und oft habe man es mit traumatisierten Betroffenen zu tun. Das größte Problem aus Sicht der Ermittler: die häufig fehlende Bereitschaft, mit der Polizei und Beratungsstellen zu kooperieren. Dabei sei die Aussage des Opfers das zentrale Element der Ermittlungen und des Gerichtsverfahrens, betont BKA-Chef Ziercke. "Man könnte auch sagen: Ohne Aussage des Opfers gibt es praktisch kein Ermittlungsverfahren." 

Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, wenn Menschenhändler oft leichtes Spiel haben. So schätzt auch Unicef-Expertin Anne Lütkes die Lage ein. Besonders schwer haben es ihrer Meinung nach Flüchtlinge. "Hinter einem Flüchtlingskind kann sich ein gehandeltes Kind verbergen", sagte Lütkes in Berlin. Aus Angst, abgeschoben zu werden, würde es sich oft nicht offenbaren. Deshalb könnten Behörden, die mit Flüchtlingen zu tun haben, das Schicksal nicht erkennen.

Menschenhandel als Filmthema

Überhaupt lässt sich sagen, dass Menschenhandel in der öffentlichen Wahrnehmung keine große Rolle spielt. Ein wenig könnte sich das durch einen Film ändern, der am 16. Januar im deutschen Fernsehen gezeigt wird, "Operation Zucker". Die Schauspielerin Nadja Uhl ist dafür nach Rumänien gereist. Die Recherchen, sagte sie jetzt in Berlin, seien "schockierend" gewesen. Erschrocken war Nadja Uhl über die krassen Gegensätze, die ihr begegnet seien. Einerseits habe sie Wohlstand gesehen und Aufbruchstimmung gespürt. Aber um so tiefer sei der "Abgrund aus unkontrollierter Armut". Die Europäische Kommission schätzt die Profite aus Menschenhandel weltweit auf mehr als 25 Milliarden Euro im Jahr.