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Milosevic teilt aus - auch gegen Deutschland

Peter Philipp, zurzeit in Den Haag1. September 2004

Vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal hat der frühere jugoslawische Staatspräsident Slobodan Milosevic die Gegenwehr eröffnet. Er sprach von "skrupellosen Lügen und betrügerischen Verdrehungen der Geschichte".

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Die Schuld an seinen Verbrechen gibt er anderen: Slobodan MilosevicBild: AP

Kaum jemand dürfte dem ehemaligen jugoslawischen Staatschef Slobodan Milosevic widersprechen, wenn er zu Beginn seiner Verteidigung am Dienstag (31.9.) erklärt, was im ehemaligen Jugoslawien geschah, sei "das größte internationale Verbrechen" gewesen. Milosevic meint es aber anders: Die Geschehnisse, derentwegen er sich vor dem Internationalen Tribunal im niederländischen Den Haag zu verantworten hat, seien die folgerichtige Fortsetzung langjähriger Feindseligkeiten gegenüber dem Vielvölkerstaat gewesen. Feindseligkeiten, die es bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben habe, die dann von den Nazis weiter intensiviert und nach dem Krieg von der Bundesrepublik wieder aufgegriffen worden seien.

Späte Abrechnung

Deutschland und der Vatikan werden von Milosevic hervorgehoben als Vertreter des, so der Angeklagte, "internationalen Komplotts zur Zerschlagung Jugoslawiens". Und da vor allem der damalige deutsche Außenminister Hans Dietrich Genscher und der Papst. Genscher habe im Dezember 1991 den Vatikan besucht und danach sei die Kampagne zur Unterstützung der Slowenen und Kroaten verstärkt worden, die sich aus dem Staat Jugoslawien lösten. Der ehemalige Bundeskanzler Kohl habe ebenfalls bereits 1966 in einem Artikel geschrieben, dass Jugoslawien aufgelöst werden müsse und seit Klaus Kinkel – der spätere Bundesaußenminister – Chef des Bundesnachrichtendienstes geworden sei, habe man dieses Ziel ganz bewusst weiter verfolgt.

Es ist Milosevics "große Stunde": Zweieinhalb Jahre nach Beginn des Prozesses gegen den ehemaligen Staatschef, dem unter anderem Völkermord vorgeworfen wird, kann er seine eigene Verteidigung beginnen. Zwei Jahre lang hatte die Anklage gebraucht, die verschiedenen Etappen der jugoslawischen Tragödie aufzuarbeiten – in Kroatien, Bosnien und im Kosovo. Immer wieder unterbrochen durch Ausfälle des kranken Milosevic. Auch der Auftakt der Verteidigung musste deswegen verschoben werden. Aber der Angeklagte zeigt sich entschlossen, der Anklage mindestens ebenso viel entgegenzusetzen, wie das, was diese bisher vorgetragen hatte. Deswegen auch gleich sein Antrag, er müsse doch mindestens drei Tage sprechen und nicht die ihm genehmigten vier Stunden. Der Vorsitzende Richter, Patrick Robinson, lässt sich davon nicht beeindrucken: Das gehe nicht, er – Milosevic – habe bereits wiederholt mehr Redezeit bekommen, als ihm zugestanden habe.

1000 Zeugen geladen

Die Richter und auch die Vertreter der Anklage hören dem Angeklagten mit versteinerter Mine zu. Ihnen ist nicht anzumerken, was sie von dem halten, was Milosevic da vorträgt. Ihnen muss klar gewesen sein, dass Milosevic nicht nur das Gericht und den Prozess erneut als illegal und unrechtmäßig in Frage stellen würde. Sondern auch, dass er hier die große politische "Abrechnung“ mit den vermeintlichen Feinden Jugoslawiens machen will.

Der Angeklagte enttäuscht diese Erwartungen nicht: Die internationale Gemeinschaft - unter Führung der USA, aber unter maßgeblicher Beteiligung Deutschlands und des Vatikans – habe sich in Jugoslawien mit faschistischen, islamistischen und anderen verbrecherischen Gruppen verbündet, um ein Ziel zu erreichen: Die Zerstörung Jugoslawiens.

Der Angeklagte will weit über 1000 Zeugen aufrufen, darunter wichtige Politiker dieser internationalen Gemeinschaft. Er wird zurückstecken müssen, denn das Gericht hat ihm 150 Verhandlungstage zugestanden. Immerhin auch fast zwei Jahre. Damit wird der Prozess wohl zu einem der längsten dieser Art werden.