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Mindestlohn in Deutschland

27. Februar 2011

Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es in den meisten Staaten der EU - in Deutschland aber nicht. Es gibt zwar Mindestlöhne für einzelne Branchen, aber keine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze. Warum eigentlich?

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Zwei Monteure arbeiten auf einer Baustelle in Dresden (Foto: AP)

Ob ein Mindestlohn sinnvoll ist oder nicht, ist umstritten. Die Anhänger der neoklassischen Wirtschaftstheorie sehen das grundsätzlich: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, das gelte auch für den Arbeitsmarkt. Die Vertreter der "Kaufkrafttheorie" argumentieren: Gut bezahlte Arbeitnehmer können sich mehr leisten. Sie kaufen mehr und erhöhen so die Nachfrage, es kann mehr produziert werden, was dann wieder zu mehr Arbeitsplätzen führt - soweit die Theorie.

Textbox Deutschland besser verstehen (Grafik: DW)

Ein Argument für den Mindestlohn ist, dass jemand, der arbeitet, von seinem Lohn auch Leben können soll. Arbeit, heißt es verkürzt, soll sich lohnen. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, formuliert das so: "Menschen müssen arbeiten können, und sie müssen von ihrer Arbeit leben können. Sie müssen unter vernünftigen Bedingungen arbeiten können, sie müssen Arbeit haben, die ihnen und ihrer Familie eine Perspektive bietet."

"Mindestlohn ist Unsinn"

Die Argumente gegen einen Mindestlohn kommen von der Seite der Arbeitgeber. Steigen die Lohnkosten für die Unternehmer, seien sie gezwungen, zu sparen. Das würde dann zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. Oder die Arbeitsplätze würden in Billiglohnländer verlegt. Dort sind die Löhne wie der allgemeine Lebensstandard niedriger. Dieter Hundt, Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände, ist sich jedenfalls ganz sicher, dass auf einem Mindestlohn kein Segen liege. "Mindestlohn ist ein Unsinn, der mit Sicherheit zum Verlust von Arbeitsplätzen in Deutschland führen wird."

Dabei gibt es in Deutschland bereits Mindestlöhne. Die sind aber auf einzelne Branchen beschränkt. Es gibt sie beispielsweise auf dem Bau, bei Gebäudereinigern und für Dachdecker - siehe Grafik. Dabei gibt es noch einmal Unterschiede in der Bezahlung für Arbeitnehmer im West- und Ost-Deutschland.

Einen flächendeckenden und branchenübergreifenden Mindestlohn hat jedoch noch keine Bundesregierung eingeführt. Auch nicht die Große Koalition, in der die SPD auf eine Einführung eines einheitlichen Mindestlohns gedrängt hatte.

Mindestlöhne in Deutschland (Infografik: DW)

Kanzlerin Angela Merkel betont immer wieder, an frei ausgehandelten Branchentarifverträgen festhalten zu wollen. Sie vertraut auf die Verantwortung der Tarifpartner, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und keine "Hungerlöhne" auszuhandeln oder einseitig festzulegen. Sie besteht noch heute auf einer "Stärkung der Tarifparteien", wie sie es nennt und ist fest überzeugt, so ließe sich "sicherstellen, dass Lohndumping nicht stattfindet".

Die SPD teilt diesen Optimismus nicht und möchte lieber einen gesetzlichen Rahmen schaffen, der festlegt, wie viel ein Arbeitnehmer mindestens für seine Arbeitsleistung verlangen kann. In der Großen Koalition hatte der damalige Vorsitzende der SPD, als er sich für einen Mindestlohn einsetzte, wissentlich auf verlorenem Posten gekämpft. Das gab Kurt Beck auch freimütig zu. Er sei über seine Niederlage in diesem Punkt gar nicht so enttäuscht gewesen, weil er keine großen Erwartungen gehabt hätte. "Die Union hatte klar gesagt, dass sie den Weg gesetzlicher Mindestlöhne nicht mitgeht. Das bedaure ich sehr, und das halte ich auch für einen kapitalen Fehler."

Gefahr durch Freizügigkeit

Vor vier Jahren kam es in Deutschland zu dem seltenen Fall, dass ein Unternehmen sogar nach dem Mindestlohn rief: die Post. Sie stand 2007 in einem harten Wettbewerb mit Unternehmen, die ebenfalls einen Briefdienst anboten. Die neuen Firmen bezahlten ihren Briefträgern niedrigere Gehälter als die Post, die die Löhne für ihre Briefträger aber nicht einfach senken konnte. In dieser Situation sollte wohl ein gesetzlicher Mindestlohn her, um einem etablierten Wettbewerber neue Konkurrenz vom Leibe zu halten.

Im Mai 2011 beginnt eine neue Phase der sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa. Dann dürfen auf dem deutschen Arbeitsmarkt auch Arbeiter aus Rumänien oder Litauen arbeiten. Sollten die das dann zu dem niedrigen Lohn tun, den sie in ihren Heimatländern bekommen, könnte das am hiesigen Arbeitsmarkt zu einem erheblichen Verdrängungswettbewerb führen, wie DGB-Chef Sommer befürchtet: "Wir werden ab Mai 2011 erleben, dass viele Arbeitskräfte aus Europa als Leiharbeiter eingesetzt werden und bestehende Mindestlöhne und Tarifverträge unterlaufen, indem diese Leiharbeiter für zwei bis drei Euro die Stunde arbeiten."

Autor: Dirk Kaufmann
Redaktion: Kay-Alexander Scholz