1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mission Wahlbeobachtung

3. März 2012

Zehntausende Beobachter sind bei der Präsidentenwahl in Russland unterwegs. Sie wollen Fälschungen verhindern oder dokumentieren. Es geht um die Legitimität des Mannes, der als Favorit ins Rennen geht: Wladimir Putin.

https://p.dw.com/p/14Eb8
Wahllokal in St. Petersburg bei der Parlamentswahl im Dezember (Foto: Natalia Podschiwalowa)
Wahllokal in St. Petersburg bei der Parlamentswahl im DezemberBild: Natalia Podschiwalowa

Ein ehemaliges Fabrikgebäude in einem Industriegebiet am südöstlichen Rande von Moskau. Aus dem Fenster im dritten Stock sieht man rauchende Schlote eines Wärmekraftwerks. Hier wird die nächste russische "Revolution" vorbereitet, obwohl das Wort ungern ausgesprochen wird. "Ja, wir fühlen uns schon ein bisschen wie Revolutionäre", sagt Julia Drogowa, eine dunkelblonde Frau Ende dreißig, lachend. "Wir wollen diese Revolution aber friedlich gestalten". Während sie das sagt, klingelt ihr Handy. Es klingelt immer wieder, alle paar Minuten. Drogowa ist Koordinatorin des Projekts "Bürgerwähler", das Teil der Bürgerbewegung "Für freie Wahlen" ist.

Proteste mobilisieren Wahlbeobachter

Auf die Bürgerbewegung kommt bei der diesjährigen Präsidentenwahl eine besonders wichtige Aufgabe zu. Wladimir Putin will nach vier Jahren als Regierungschef wieder Präsident werden. Dafür muss der Kandidat mindestens 50 Prozent der Stimmen bekommen. Putins Umfragewerte liegen zwar darüber, doch seit der Parlamentswahl Anfang Dezember 2011 sind viele Russen besonders skeptisch in Sachen Wahlen. Unabhängige Beobachter hatten den Ablauf der Wahl kritisiert.

Russischer Regierungschef Wladimir Putin vor Mikrofon (Foto: rtr)
Wladimir Putin steht als Wahlsieger praktisch festBild: Reuters

Nun wollen Aktivisten wie Julia Drogowa sicherstellen, dass bei der Präsidentenwahl mögliche Verstöße verhindert oder zumindest dokumentiert werden. Ihre Aufgabe am Wahltag: die Arbeit von freiwilligen Wahlbeobachtern koordinieren, die in Moskau unterwegs sein werden. Seit der Parlamentswahl und den Protesten danach hat Drogowa einen regelrechten Ansturm von Bürgern erlebt, die sich engagieren wollen. Damals, so sagt sie, habe das Projekt rund 500 Wähler zu Beobachtern ausgebildet und in die Wahllokale in der russischen Hauptstadt geschickt. Diesmal seien es fast 4000 Mitstreiter.

"Das sind einfache Bürger, im Durchschnitt zwischen 30 und 40 Jahre alt, meistens gut ausgebildete Spezialisten, auch Führungskräfte", erzählt Matwej Petuchow, ein junger bärtiger Mann mit einem Ring im linken Ohr. Im "wirklichen Leben" ist der Aktivist Physiklehrer an einer Schule.

Ein schwieriger Job

In ganz Russland werden am Wahltag zehntausende Beobachter unterwegs sein. Rund 200 davon hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach Russland geschickt, doch den Großteil bilden russische Aktivisten. Mehrere gesellschaftliche Bündnisse haben Wahlbeobachter ausgebildet, darunter auch viele Putin-Anhänger.

Ein Blick in die "Kurze Anleitung für Wahlbeobachter" zeigt, dass dies kein einfacher Job ist. Nicht nur deshalb, weil man sich bis ins kleinste Detail vorbereiten und nebenbei zum Beispiel auch an Wasser, Essen und Medikamente denken muss. Ein Wahlbeobachter muss bis zu zehn Wahllokale besuchen und dabei bis spät in der Nacht hochkonzentriert arbeiten können. Auch Durchsetzungsfähigkeit ist gefragt, denn das Verhältnis zwischen staatlichen Behörden und Wahlbeobachtern gilt als angespannt.

Ein hoher Vertreter der Zentralen Wahlkommission in Moskau äußerte sich kurz vor der Wahl kritisch über die Pläne der Nichtregierungsorganisationen, eine alternative Stimmenauszählung zu präsentieren. Er sagte, dies grenze an ein Verbrechen.

Keine flächendeckende Beobachtung

Bei der jüngsten Parlamentwahl seien viele Wahlbeobachter angefeindet und aus Wahllokalen verbannt worden, sagt Lilija Schibanowa, Leiterin der Nichtregierungsorganisation "Golos" (Stimme). Diese Erfahrung habe dazu geführt, dass bei der Präsidentenwahl am Sonntag Beobachter von "Golos" nur in Zweierteams und nicht mehr einzeln im Einsatz sein würden.

Wahlbeobachterin Lilija Schibanowa (Foto: DW)
Wahlbeobachterin Lilija SchibanowaBild: DW

Rund 2200 "Golos"-Wahlbeobachter werden diesmal in ganz Russland arbeiten, aufgeteilt auf bestimmte Regionen. Weder diese Organisation noch die anderen sind in der Lage, in jedes von rund 94.000 Wahllokalen einen Beobachter zu schicken. Doch es geht nicht nur darum, dass es nicht genug Personal gibt. In die Kaukasusrepublik Tschetschenien zum Beispiel schickt "Golos" aus einem anderen Grund keine Leute mehr. "Wir haben es einmal versucht und dann wurde uns erzählt, dass am Wahlabend das Licht im Wahllokal ausgeschaltet wurde und Männer mit Maschinengewehren die Wahlurnen einfach weggebracht haben", erzählt Schibanowa. Nach offiziellen Ergebnissen stimmen über 90 Prozent der tschetschenischen Wähler so, wie der Kreml will.

Wieder Fälschungen zu erwarten

Eigentlich könnte Putin die Wahl auch ohne Fälschungen gewinnen, meint Schibanowa. Es scheint, als wäre der Premierminister an einer fairen Abstimmung interessiert. Schließlich habe er selbst vorgeschlagen, dass bei dieser Wahl in fast allen Wahllokalen Videokameras installiert werden. Eine Hilfe für Wahlbeobachter sei das allemal, findet Schibanowa.

Trotzdem glaubt sie nicht daran, dass diese Wahl fair sein wird. Schon im Vorfeld habe "Golos" Berichte auf geplante Fälschungen bekommen. "Es soll klare Hinweise gegeben haben, wie diese Wahl zu falsifizieren ist", sagt Schibanowa. So soll die Möglichkeiten einer Abstimmung zu Hause dafür genutzt werden, um Protokolle zu manipulieren. Außerdem sollen Mitarbeiter staatlicher Betriebe mit Bussen zu einer "kontrollierten Abstimmung“ gebracht werden. Massive Eingriffe wie gefälschte Wahlzettel bei der Parlamentswahl vor drei Monaten seien dagegen nicht zu erwarten, denn ein Teil der Wahlurnen ist durchsichtig.

Sollte die Zahl der dokumentierten Verstöße bestimmte Ausmaße erreichen, dürfte dies die Legitimität der Wahlen in Frage stellen, sagt Schibanowa. Doch zunächst müsse gewählt und dann gezählt werden.

Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Thomas Grimmer