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Mit 66...

21. Dezember 2011

Ein hohes Alter ist noch lange kein Grund, zu Hause zu bleiben und auf jeglichen Spaß zu verzichten. Viele deutsche Senioren sind auch mit achtzig noch aktiv: in der Disco erwacht so mancher müde Geist zu neuem Leben.

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Tänzer hinter roten Rosen auf der Tanzfläche (Foto: DW)
Ü60-Party in der Villa Friedlinde im rheinländischen LohmarBild: DW

Nur ein Paar Lichtstrahlen dringen durch die verdunkelten Fenster in den Saal der Villa Friedlinde im beschaulichen Städtchen Lohmar. Mehrere Dutzend Tänzer drehen bei gedämmtem Licht zu der bekannten Melodie "Let's twist again" ihre Runden. Die Discoatmosphäre ist vollkommen.

Ältere Tänzerin auf der Tanzfläche (Foto: DW)
"Let's twist again" in der "Villa Friedlinde"Bild: DW

Es ist bereits drei Uhr. Allerdings nicht drei Uhr morgens, sondern nachmittags. Die beste Uhrzeit für die Tanzenden. Schließlich sind sie keine 18 mehr. "Senioren gehen nun mal am ehesten nachmittags raus", sagt Johanna Manz. Die 62-Jährige veranstaltet seit einiger Zeit zusammen mit ihrem Lebenspartner die so genannte "Ü60-Party" in Lohmar. Außerdem bietet sie Tanzkurse für Menschen über 50 an. Daher weiß Manz, die auch "DJane Joke" genannt wird, aus eigener Erfahrung, dass das Tanzen für viele Senioren eine tolle Sache ist: "Sie bewegen sich, schließen Kontakte, haben Spaß, sind einfach fröhlich".

Zweiter Frühling

Tanzende Füße mit silbernen Schuhen (Foto: DW)
Bild: DW

"Es liegt was in der Luft" - tatsächlich geht es auf der Tanzfläche nicht nur bei diesem Lied frölich und munter zu: Die 50- bis 80-Jährigen toben sich zwei Stunden lang richtig aus. Röcke fliegen um die Beine, silberne Schühchen steppen auf der Tanzfläche im Takt - die Damen haben sich für die Party richtig in Schale geworfen. Und für die Männer, hofft zumindest Rolf: "Ich bin Witwer geworden und muss mich irgendwie neu orientieren". Der Grauhaarige ist einer der wenigen männlichen Gäste und hofft, bei den Seniorinnen zu punkten.

Aber die Frauen auf der "Ü60-Party" sind nicht unbedingt auf der Suche nach einem neuen Lebenspartner, meint Johanna Manz: "Viele kommen alleine gut klar und denken wohl eher: Jetzt noch mal fremde Unterhosen waschen - das muss nicht unbedingt sein." Doch einen Partner zum Tanzen, Feiern oder Verreisen, den würden hier sicher alle suchen, ist Manz überzeugt.

Einsame Herzen

Ältere Frau (l.) und der 82-jährige Bernhard (Foto: DW)
Dem 82-jährigen Witwer Bernhard tut es gut, einfach mal unter Leuten zu sein und ab und zu einen Tanz zu wagenBild: DW

Als die langsame romantische Komposition "Sierra Madre del sur" erklingt, merkt man dann auch, wie schnell die Männer vergriffen sind. Dem 82-jährigen Bernhard tut es gut, einfach nur unter Menschen zu sein. Seit seine Frau verstorben ist, fühlt sich der Rentner einsam. Er erzählt, wie schlecht es ihm ging, als die "Ü60-Party" in den Ferien ausfiel. "Nach vier Wochen war ich froh, als die Disko wieder stattfand und ich meine Bekannten wieder sehen konnte". Für ein paar Stunden gelingt es ihm hier, seinen traurigen Alltag zu vergessen: "Der Tag ist sonst zu lang. Ich kann schlecht laufen, aber wenn ich hier jemanden habe, an dem ich mich festhalten kann, dann drehen wir sogar ein paar Runden".

Ein Rollator im Treppenhaus (Foto: DW)
Der Rollator muss für zwei Stunden mal draußen bleibenBild: DW

Auch die 78-jährige Margarethe gibt zu, immer wieder gegen ihr Alter ankämpfen zu müssen. Ihr Körper macht beim Radfahren oder bei der Gymnastik einfach nicht mehr mit. Doch das Tanzen zu den alt vertrauten Liedern dreht für sie und die anderen Teilnehmer die Zeit zurück: "Da kommt noch mal die Jugend auf, der Rhythmus. So wie früher klappt es zwar nicht mehr mit der Beweglichkeit, aber es geht." Man muss zu seinem Alter stehen, meint Margarethe. Ausgerechnet an diesem Tag geht es der älteren Dame nicht gut, trotzdem lässt sie sich den einen oder anderen Tanz nicht entgehen.

Zu Hause bleiben und Strümpfe stopfen?

Eine Tanzveranstaltung für Senioren ist keine Selbstverständlichkeit. Die verbreitete Vorstellung vom Altsein bewegt viele Senioren dazu, sich zurückzuziehen, bedauert die Seniorenbeauftragte Johanna Manz: Ein alter Mensch sitzt bei seinem Kaffee und Kuchen, ist ansonsten schön ruhig und hält sich zurück. Das ist das Bild, das Manz von ihrer Oma hatte. "Nun merke ich immer öfter, dass gerade solche Vorstellungen die Senioren davon abhalten, fröhlich zu sein oder sich so gehen zu lassen, wie sie das früher gemacht haben".

Dabei sind die meisten Senioren im Herzen noch genau so jung wie mit 18, beteuert Johanna Manz. Dies erklärt auch die große Nachfrage nach der "Ü60-Party" in Lohmar. Der Raum ist überfüllt - viele der fast 80 Senioren nehmen eine Anreise von bis zu 40 Kilometern in Kauf, um dabei zu sein.

Auch die 74-jährige Irmgard aus Troisdorf ist sicher: "Gerade Senioren wollen am Leben teilhaben und nicht nur mit dem Strickstrumpf zu Hause sitzen. Das geht nicht, das ist auch nicht gesund." Die ehemalige Altenpflegerin ist von der Idee der "Ü60-Party" begeistert. Schon jetzt steht für die rüstige Rheinländerin fest: In vier Wochen macht sie sich wieder auf den Weg - zum Tanzdate mit Chubby Checker, Elvis und Peter Kraus.

Autoren: Shenjun Liu und Tetyana Bondarenko
Redaktion: Julia Elvers-Guyot