1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mit Augenmaß auf der Ems

7. Juni 2002

In der Papenburger Meyer-Werft werden immer größere Schiffe gebaut, die schließlich über die Ems auf die hohe See gebracht werden müssen. Kein leichtes Unterfangen für die Kapitäne.

https://p.dw.com/p/2Oej
Die "Radiance of the Seas" liegt in der Papenburger Meyer-WerftBild: AP

"Ein solches Schiff auf der Ems zu steuern ist ungefähr so schwierig, wie einen fast 300 Meter langen Lkw rückwärts in eine Garage zu fahren. Da gehört auch Glück dazu", sagt Thomas Teitge. Der 43-Jährige muss es wissen. Als Werftkapitän für die Papenburger Meyer-Werft hat Teitge bereits zwei Mal Kreuzfahrtliner aus dem Werfthafen auf dem rund 40 Kilometer langen Unterlauf der Ems ins offene Meer überführt. Zwischen Samstag und dem kommenden Mittwoch wird er – sofern das Wetter mitspielt – mit der "Brilliance of the Seas" zum dritten Mal an den Start gehen.

Ozeanriesen aus der Binnenwerft

Der für die Royal Caribbean Cruises International in Miami bestimmte Luxusliner ist das baugleiche Schwesterschiff der "Radiance of the Seas", dem größten bisher in Deutschland gebauten Passagierschiff. Das hatte Teitge im vergangenen Januar auf der Ems nach Emden gelotst, ebenso wie die "Norwegian Star". Routine ist dennoch nicht angesagt. Die knapp über siebenstündige Fahrt bis Emden sei immer eine besondere Herausforderung, sagt Teitge, der den Fluss wie seine Westentasche kennt: Seit 1995 dirigiert der Lotse von der Emdener Lotsenbrüderschaft fast täglich Autotransporter, Tanker und Stückgutschiffe.

Zehntausende Pferdestärken unter dem Joystick

Für die enge Ems-Passage benötigt er vor allem zweierlei: Augenmaß und Fingerspitzengefühl. Zwei untertassengroße Drehscheiben für die 78.600 PS starken Gasturbinen und ein Metalljoystick mit Holzknauf für Drehzahl und Geschwindigkeit des Bugruders sind die einzigen Bedienelemente, mit denen Teitge das fast 294 Meter lange und 32,2 Meter breite Kreuzfahrtschiff während der Emspassage mit vier bis fünf Knoten auf Kurs hält.

Im Rückwärtsgang emsabwärts

Besonderes Problem: Er muss den fast 90.000 Tonnen mächtigen Schiffsgiganten rückwärts die Ems hinunter schippern. "Das hat den Vorteil, dass die neuartigen Pod-Antriebe das Wasser heckwärts unter dem Rumpf durchspülen und dadurch mehr Freiraum zum Emsgrund schaffen." Der Nachteil für Teitge und seine fünfköpfige Crew: Sie müssen die komfortable 400-Quadratmeter-Kommandobrücke während der Fahrt mit einer nur wenige Quadratmeter großen Plattform in luftiger Höhe am Schiffsheck tauschen.

Das Augenmaß entscheidet über zwei Meter

"Von dort kann ich nur die Backbordseite entlang sehen", sagt der Kapitän. Lediglich einige Monitore und der Blick auf seine Seekarten zeigen ihm an, wann es auf den 40 Kilometern bis zum Dollart eng wird. "Viel Platz ist auf der Ems nicht. An der engsten Stelle, der Jan-Berghaus-Brücke in Leer, habe ich gerade mal zwei Meter Platz." Da verlasse er sich nur auf seine Augen, verrät Teitge. Die Gefahr, dass man "schnell mal ans Ufer rutscht", bestehe immer. Obwohl der 2500 Passagiere fassende Luxusliner mit modernster Technik ausgestattet ist, könne der bordeigene Autopilot die Emspassage nicht allein bewältigen, sagt Teitge. Dafür sei die Strecke zu kurvenreich. Damit am Tag der Überfahrt nichts schief geht, müssen er und seine Crew hart trainieren, und zwar in einem rechnergesteuerten 360-Grad-Simulator des Maritime Research Institute im niederländischen Wageningen. Der wurde vorher mit allen notwendigen Daten über Schiff und Gewässer gefüttert und kann jede Ems-Krümmung realistisch simulieren. "Acht bis neun Stunden täglich üben wir dort kurz vor der Überführung, in Echtzeit natürlich", sagt Teitge. Im Simulator herrsche die gleiche Spannung wie später auf der Kommandobrücke des Schiffes. "Wir gehen da mit absolutem Ehrgeiz rein."

Keine Zeit für Nervosität

Wenn es dann gilt, fühle er sich "eigentlich ganz normal". Das Schiff verlange seine ganze Aufmerksamkeit. Da bleibe "wenig Zeit, nervös zu werden", sagt der Kapitän. Einen Blick auf das von vielen Schaulustigen gesäumte Ufer gönne er sich aber schon. Erst wenn das Schiff sicher im Bestimmungshafen eingelaufen sei, spüre er, wie die Spannung langsam abfällt. "Ein paar Kilo Gewicht habe ich dann schon verloren", meint Teitge. (ddp/dk)