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Mit dem Smartphone durch Berlin

Tobias Köberlein29. November 2012

Noch gehört der Reiseführer ins Handgepäck eines jeden Touristen. Doch lässt sich Berlin auch mit weniger Ballast erkunden? Ein Selbstversuch mit dem Smartphone.

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Blick auf den Berliner Alexanderplatz (Foto: dapd)
Deutschland Berlin Panorama mit Alexanderplatz Fernsehturm und Hotel Park InnBild: dapd

Der Weg in die Geschichte Berlins führt durch einen schummrigen Tunnel. Kreisrunde Neonleuchten bescheinen den gekachelten Gang mit ihrem milchigen Licht. Ich befinde mich im Untergeschoss der S-Bahn-Station Nordbahnhof, im ehemaligen Ost-Berlin. Etwa 100 Meter vom Nordbahnhof entfernt verlief bis 1989 die Mauer.

Es gibt schönere Orte, um einen Bummel durch die Hauptstadt zu beginnen. Doch heute geht es um ein Experiment. Ich bin als Tourist in meiner eigenen Stadt unterwegs, ohne Stadtplan, ohne Reiseführer. Alles was ich habe, ist mein iPhone. Mit ihm will ich Berlin neu entdecken. Genau hier, an der ehemaligen Grenze, soll es losgehen.

Dokumente der geteilten Stadt

Gegenüber vom S-Bahnhof fällt mein Blick auf eine Brache mit Mauerresten. Rostige Stahlträger ragen in den grauen Himmel. Über mehrere Kilometer ziehen sie sich die Bernauer Straße entlang, stumme Zeugen der Teilung. 700.000 Besucher kamen vergangenes Jahr zur Gedenkstätte Berliner Mauer. Zwei Drittel waren unter 25 Jahre alt. "Da wir sehr viele junge Besucher haben, möchten wir sie dort abholen, wo sie sind", sagt der Leiter der Gedenkstätte, Axel Klausmeier.

Touristen an der Kapelle der Versöhnung in der Gedenkstätte Berliner Mauer (Foto: picture-alliance/dpa)
Kapelle der Versöhnung in der Gedenkstätte Berliner MauerBild: picture-alliance/dpa

Deshalb können Interessierte seit Kurzem mit ihrem Smartphone auf Mauer-Tour gehen. Vor dem "Fenster des Gedenkens" für die 136 Maueropfer scanne ich einen viereckigen QR-Code, der an einer Stele angebracht ist. Sofort öffnet sich eine Seite und bietet mir drei unterschiedlich lange Touren an. Ich wähle die für "Eilige" und werde via GPS zu den wichtigsten Stationen geführt: Aussichtsturm, Kapelle der Versöhnung, Grenzhaus.

Ich stöpsele die Kopfhörer ans Handy und laufe los. Eine Männerstimme erklärt mir, wie die Grenzbefestigungen aufgebaut waren. Ich tippe auf einen Audiolink, höre die Glocken der Versöhnungskirche und eine Predigt aus dem Jahr 1961, gehalten wenige Tage nach dem Mauerbau. Die Kirche, direkt an der Grenze gelegen, wurde kurz darauf geschlossen und 1985 durch die DDR-Regierung gesprengt. Die Glocken haben die Sprengung überstanden. Sie hängen an einem Holzgerüst, vor dem ich jetzt stehe. Ich bin beeindruckt. Ein solches Erlebnis kann mir kein Reiseführer in Buchform vermitteln.

Versöhnungskirche hinter einer Mauer
Die eingemauerte Versöhnungskirche im September 1961Bild: picture alliance/akg Images

Jüdische Geschichte

Ein ähnliches Angebot gibt es für die jüdischen Friedhöfe in Berlin, etwa für den mit 115.000 Gräbern größten Europas in Weißensee. Vor dem Eingang in der Herbert-Baum-Straße ist ebenfalls eine Tafel mit einem QR-Code angebracht. Das Prinzip ist das gleiche wie bei der Gedenkstätte in der Bernauer Straße. Nach dem Scannen kann ich mich zu den insgesamt 81 Grabmälern bekannter jüdischer Berliner führen lassen. Kurze Texte vermitteln Biografisches, zum Beispiel über den Kaufhausgründer Hermann Tietz oder den Verleger Rudolf Mosse.

Aufgenommen auf dem ältesten erhaltenen jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee 23-25. Er wurde 1827 zwischen Äckern eingeweiht, heute liegt er mitten in der Stadt hinter einer Mauer und flankiert von Wohnhäusern. Jüdischer Friedhof in Berlin-Weißensee (Foto: DW/Ricarda Otte)
Jüdischer Friedhof in Berlin-WeißenseeBild: DW

Für Smartphone-Besitzer gibt es viel zu entdecken. Im App-Store hatte ich unter den unzähligen Angeboten für die Hauptstadt schon einen kostenlosen Audio-Guide gefunden und heruntergeladen, immerhin eine Koproduktion mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mit dem Bus fahre ich ins Zentrum, zum Alexanderplatz. Dort bekomme ich ein etwa zweiminütiges Infohäppchen aufs Ohr, erfahre, dass der "Alex" früher Ochsenplatz hieß und zum zwanzigjährigen Bestehen der DDR zubetoniert wurde. Als erster Überblick mag das genügen, mehr aber auch nicht.

Berlin Alexanderplatz

Ein wenig enttäuscht öffne ich eine weitere App. Sie heißt "Books Around" und ist eine Art literarischer Reiseführer durch die Hauptstadt. Mit Hilfe einer Kartenfunktion werde ich zu Schauplätzen aus der Literatur gelotst oder erfahre, wo berühmte Schriftsteller wohnten. In das Suchfeld gebe ich das Stichwort "Alexanderplatz" ein. Dort, wo jetzt der Fernsehturm in den Himmel ragt, befand sich laut "Books Around“ einst das Café Gumpert, in dem auch der Schriftsteller Alfred Döblin verkehrte. "Öfter hatte ich auch mein Manuskript mit, hörte zu, was man sich erzählte und bald schrieb ich", zitiert der Eintrag den Dichter. Gut möglich, dass Döblin im Café Gumpert auch an seinem berühmten Roman "Berlin Alexanderplatz" arbeitete.

U-Bahn-Schild und Fernsehturm am Berliner Alexanderplatz Foto: Fotolia/Maximilian Niemann)
Ein Wahrzeichen Berlins: der Fernsehturm am AlexanderplatzBild: Fotolia/Maximilian Niemann

Nobelpreisträger in Dahlem

Ich verlasse die pulsierende Mitte Berlins und entscheide mich dafür, meine Smartphone-Tour im Südwesten, im vornehmen Dahlem zu beschließen. Am U-Bahnhof Thielplatz steige ich mit einer Handvoll Studenten aus dem Zug. Die naturwissenschaftlichen Institute der Freien Universität Berlin liegen um die Ecke. Mit den Kopfhörern im Ohr öffne ich die App "Berlin Südwest" und begebe mich auf den "Nobel-Trail".

14 Nobelpreisträger in 90 Minuten verspricht mir die App, und so folge ich den Spuren berühmter Wissenschaftler, darunter der Chemiker Fritz Haber und der Biophysiker Max Delbrück. Mehr als die Infohäppchen genieße ich die Stille und das Grün von "Preußisch Oxford", wie die Gegend um den Thielplatz früher genannt wurde. Am Hahn-Meitner-Bau, hier hatte Otto Hahn 1938 die Kernspaltung nachgewiesen, mache ich kehrt, schalte das iPhone aus und fahre zurück in die Innenstadt. Die Entdeckungsreise mit dem Smartphone ist erst mal beendet. Als Ergänzung habe ich die elektronischen Erkundungshilfen schätzen gelernt. Aber meine gedruckten Reiseführer möchte ich nicht missen.

Chemiker Otto Hahn und Physikerin Lise Meitner
Otto Hahn mit Lise Meitner. Beide hatten in Berlin zur Kernspaltung geforscht.Bild: picture-alliance/dpa