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Mit der Brieftaube ins Reich der Mitte

Regina Mennig6. Oktober 2012

In Deutschland hat das Taubenzüchten ein angestaubtes Image. In China dagegen ist es zum angesagten Hobby der neuen Reichen avanciert - das hat einem deutschen Taubenzüchter unerwarteten Ruhm beschert.

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Taube im Taubenschlag von Heinz Willi Ritz (Foto: R. Mennig)
TaubenzuchtBild: DW/R. Mennig

Heinz Willi Ritz wundert sich schon lange nicht mehr, wenn es wieder einmal klingelt und vor seiner Haustür ein Reisender aus Asien steht. Ob Diamantenhändler aus Thailand oder Fabrikbesitzer aus China: Immer wieder zieht es wohlhabende Hobby-Taubenzüchter aus asiatischen Megacitys zu Heinz Willi Ritz ins beschauliche 5000 Seelen-Dorf Jüchen am Niederrhein. Denn mit seinem Namen verbinden sie Brieftauben, die bei Wettflügen auffällig viele Preise abräumen.

Im zerklüfteten und für den Taubenflug besonders schwierigen Taiwan hat der 73-Jährige sogar einen eigenen Titel bekommen: "Heinz Willi Ritz, dessen Tauben die Berge besteigen können." Seit den 1990er Jahren haben ihn chinesische Taubenzüchter über 30 Mal zu Rundreisen eingeladen - damit ein größeres Publikum an seine Tauben und seine Ratschläge kommt oder zumindest an ein Autogramm.

Der Höhenflug der Ritz’schen Tauben

"Das war alles ein Wahnsinnszufall", antwortet Heinz Willi Ritz auf die Frage, wie es zu diesem Star-Rummel gekommen ist. 1978 verkaufte er ein Prachtexemplar aus seinem Taubenschlag an einen Thailänder, der gerade auf Geschäftsreise in Deutschland Station machte. Mit diesem Tier begann im Fernen Osten, was in Europa längst im Gange war: der Höhenflug der Brieftauben aus dem Hause Ritz.

Heinz Willi Ritz mit einer seiner begehrten Tauben (Foto: R. Mennig)
Heinz Willi Ritz mit einer seiner begehrten TaubenBild: DW/R. Mennig

Egal, ob ihre Besitzer sie in Poitiers oder in Peking aussetzten - regelmäßig gehörten Ritz’sche Taubenmännchen zu den Schnellsten, wenn es darum ging, aus Distanzen bis zu 700 Kilometern zurück zu ihrem Taubenschlag und zu ihrem Taubenweibchen zu finden. Die besonders wettfreudige Taubensport-Szene in China war hellhörig geworden. "Als sich das Land in den 1990er Jahren öffnete, wollten viele Chinesen europäische Tauben haben - und meinen Namen kannten sie einfach schon", erklärt Heinz Willi Ritz. Eine Zeit lang war das Taubengeschäft in China seine zweite Einnahmequelle, zusätzlich zu seinem Lebensmittelladen in Jüchen.

Für die Tiere nur das Teuerste

Inzwischen ist Heinz Willi Ritz Rentner, und die Reisen nach Fernost sind seltener geworden. Doch die Tauben nehmen nach wie vor viel Raum in seinem Leben ein. Über dem großen Garten der Familie Ritz liegt das unablässige Gurren aus 250 Taubenkehlen. In einem 35 Meter langen Taubenschlag sitzen sie auf Schaukeln, schlagen mit den Flügeln und umschwirren Heinz Willi Ritz, sobald er das Gehege betritt.

Pokale für Brieftauben-Preisflüge des Taubenzüchters Heinz Willi Ritz (Foto: R. Mennig) in Jüchen/NRW, aufgenommen am 03.10.2012 von Regina Mennig
Seine Preise zählt Heinz Willi Ritz schon lange nicht mehrBild: DW/R. Mennig

Man merkt, dass er schon vielen Besuchern sein Reich gezeigt und von seinem Hobby erzählt hat: Zum Beispiel, dass er früher im Restaurant immer die billigsten Gerichte aß, aber das Futter für seine Tauben nicht teuer genug sein konnte. Oder dass er nie auf die Idee gekommen wäre, zwischen April und September mit seiner Frau und den drei Kindern in den Urlaub zu fahren - denn in dieser Zeit schickt er seine Tauben jedes Wochenende zu Preisflügen.

Gerade sind seine Taubenmännchen zurückgekehrt und erholen sich vom letzten Flug des Jahres. "Wie die das nur schaffen, von solchen Entfernungen wieder nach Hause zu finden! Jedesmal, wenn ich sie am Himmel auftauchen sehe, ist das ein großes Glücksgefühl", sagt Heinz Willi Ritz. Und lachend fügt er hinzu: "Ich bin schon als kleiner Junge mit dem Blick nach oben herumgelaufen und habe nach Tauben Ausschau gehalten."

Der Niedergang eines verbreiteten Hobbys

Diese Faszination für die Brieftauben teilen in Deutschland immer weniger Menschen. Während der Hochphase in den 1960er Jahren lebten im Dorf von Heinz Willi Ritz über 100 Taubenzüchter, heute sind es nur noch vier. In ganz Deutschland gibt es noch etwa 20.000 "Taubenväter", mehr als die Hälfte davon in Nordrhein-Westfalen - nahe der Grenze zu Belgien, dem Ursprungsland des Brieftaubensports.

Tauben im Taubenschlag von Heinz Willi Ritz (Foto: R. Mennig)
In Deutschland begeistern sich nur noch wenige fürs Taubenzüchten.Bild: DW/R. Mennig

Von dort breitete sich das Hobby des Taubenzüchtens im 19. Jahrhundert vor allem in den Arbeitersiedlungen des Ruhrgebiets aus. Denn wer gute Tauben besaß, konnte bei Wettflügen lukrative Preisgelder einstreichen, höher als der Lohn für die harte Arbeit in den Kohlebergwerken. So bekam die Brieftaube in Deutschland das Etikett "Rennpferd des Bergmanns".

250 Tauben und eine Nachtigall aus dem Irak

Über 100 Jahre später und 10.000 Kilometer entfernt hat die Brieftaube nun wieder einen besonderen Stellenwert. Sie ist Statussymbol der neuen Reichen in China und den Taubenzüchtern in Fernost mitunter millionenschwere Investitionen wert. Und so gibt es Bilder, die Heinz Willi Ritz auf seinen China-Reisen vor riesigen Taubenhäusern zeigen - staunend über die Ausmaße, die sein Hobby fernab der Heimat angenommen hat.

"Man wird richtig neidisch, wenn man sieht, mit welcher Leidenschaft die Chinesen das betreiben", sagt Heinz Willi Ritz und meint damit auch die kleinen Taubenzüchter in China. "Bis vor kurzem hatten viele einen kleinen Verschlag im Schlafzimmer und einen Tauben-Ausflug auf dem Balkon. Allerdings gab es vor der Olympiade die Aktion 'Sauberes Peking', und da wurde das verboten", erzählt er.

Brieftaubenschwarm steigt auf einem chinesischen Platz zu einem Preisflug auf (Foto: Xinhua)
In China ist das Taubenzüchten im Aufwind. Für besonders begehrte Exemplare zahlen reiche Taubenzüchter bis zu 100.000 Euro.Bild: picture alliance/landov

Um die Begeisterung fürs Taubenzüchten in anderen Ländern zu erleben, muss Heinz Willi Ritz inzwischen nicht mehr Tausende von Kilometern reisen. Neulich klingelte es mal wieder an seiner Tür in Jüchen, davor stand ein Taubenzüchter aus dem Irak. Er hatte 5000 Kilometer im Auto zurückgelegt und einen Vogel namens Bulbul als Geschenk im Gepäck. Und so hört man im Garten von Heinz Willi Ritz nun außer dem Gurren von 250 Tauben auch den Gesang einer arabischen Nachtigall.