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Mit der lettischen Sprachpolizei auf Streife

Friederike Schulz und Berthold Forssman26. September 2008

Seit der Unabhängigkeit Lettlands betreibt die Regierung in Riga eine sehr entschiedene Sprachpolitik, um die nationale Identität zu stärken und alte Minderheitensprachen wie das Livische vor dem Aussterben zu bewahren.

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Alte Frauen in der Tracht der Suitu Sievas (02.06.2002)
Nur noch 20 Menschen sprechen fließend LivischBild: dpa

Zu Sowjetzeiten sprach man im öffentlichen Leben in Lettland hauptsächlich Russisch. Letten, die in ihrer Sprache einkaufen, Taxi fahren oder Essen bestellen wollten, hatten ein Problem: Sie wurden nicht verstanden. Aus Angst vor der Verdrängung der eigenen Sprache hat das lettische Parlament dann strenge Gesetze verabschiedet: zumindest in der Öffentlichkeit sollte Lettisch gesprochen werden. Eine Sprachenkommission wacht seitdem über die Einhaltung der Gesetze, die vor Kurzem noch einmal auf zusätzliche Berufsgruppen ausgeweitet wurden. Zudem gibt es kostenlose Sprachkurse für Livisch, das heute nur noch von gut 20 Personen fließend gesprochen wird.

Auf der Suche nach der richtigen Sprache

Russische Matroschka-Puppen begutachtet eine Spaziergängerin an einem Stand in der lettischen Hauptstadt Riga (20.5.2003)
Vieles in Lettland mutet russisch anBild: dpa

In der Fußgängerunterführung am Rigaer Hauptbahnhof reihen sich kleine Läden und Geschäfte aneinander: Bücherstände, ein Kiosk und ein Schuster. Antons Kursītis geht aufmerksam den unterirdischen Gang entlang. Der Leiter der Sprachkontrollbehörde kennt die Läden, denn er kommt oft hier vorbei, wenn er auf Streife ist. Vor dem Kiosk bleibt der große Kommissar stehen, wirft einen kritischen Blick auf die Titel im Zeitungsständer und runzelt die Stirn.

"Die Aufschriften sind auf Lettisch, das ist die Hauptsache. Aber die Blätter sind hier natürlich fast alle auf Russisch", sagt Kursītis. Das sei kein Anlass zur Beanstandung, aber wichtig sei, dass sich Letten im eigenen Land orientieren können. Denn das war nicht immer so.

Lettische Amtssprache: Russisch

Zu Sowjetzeiten wurde im öffentlichen Leben vor allem Russisch gesprochen. Letten, die in ihrer Sprache beispielsweise einkaufen, Taxi fahren, auf der Post Briefmarken kaufen oder im Restaurant ein Essen bestellen wollten, hatten das Nachsehen: Sie wurden nicht verstanden. In der Hauptstadt Riga sind mehr als 60 Prozent der Einwohner ethnische Russen, in der zweitgrößten Stadt Daugavpils sind es sogar 85 Prozent. Kein EU-Staat hat in seiner Hauptstadt einen so hohen Anteil an Nicht-Muttersprachlern.

Aus Angst vor einer Verdrängung ihrer eigenen Sprache verabschiedete das lettische Parlament nach der Unabhängigkeit ein neues Gesetz. Dieses schrieb die Verwendung des Lettischen in Behörden vor, später folgten bestimmte Berufsgruppen. Anton Kursitis und seine Kollegen überprüfen seither bei ihren Streifgängen, ob sich ihre Mitbürger im Alltag daran halten. "Unsere Hauptaufgabe ist es, die Interessen derjenigen zu schützen, die kein Russisch können", sagt Kursitis. Sie haben in Lettland einen Anspruch darauf, die offizielle Amtssprache ihres Landes, Lettisch, sprechen zu dürfen und auch verstanden zu werden.

Ohne Lettisch kann es teuer werden

Lettische Braut (26.07.2001)
Vor allem jüngere Letten fühlen sich im eigenen Land diskriminiertBild: transit-Archiv

Deswegen wurde das Gesetz jetzt noch einmal verschärft und auf zahlreiche Branchen der privaten Wirtschaft ausgedehnt. Wer dagegen verstößt, zahlt umgerechnet 200 bis 400 Euro Strafe – eine beträchtliche Summe bei einem Durchschnittslohn von monatlich rund 600 Euro. 700 Rügen hat Antons Kursitis’ Behörde im vergangenen Jahr erteilt, rund 150 Mal wurde ein Bußgeld verhängt. Denn noch immer sehen viele Russen in Lettland die Notwendigkeit nicht ein, die Landessprache zu lernen. Schließlich kommt man im Alltag noch immer bestens mit Russisch zu Recht. Deswegen fühlten sich heute vor allem jüngere Letten im eigenen Land diskriminiert, erklärt Anton Kursitis.

"Es ist wirklich tragisch: Unsere Kinder finden in Riga keine Arbeit, wenn sie nicht fließend Russisch können. Die wenigsten von ihnen haben es noch in der Schule gelernt, sie wollten lieber Englisch oder Deutsch lernen", meint Kursitis. Außerdem seien die meisten alten Russisch-Lehrer mittlerweile pensioniert, so dass die Sprache kaum noch angeboten werde. Doch leider sei es immer noch so, dass die meisten Arbeitgeber in der privaten Wirtschaft gute Russischkenntnisse verlangen. Schließlich seien 60 Prozent der Kunden Russen, die kein Lettisch können.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Anton Kursitis geht die Treppe hoch, betritt das Einkaufszentrum neben dem Bahnhof. Im Erdgeschoss, gleich neben dem Eingang, befindet sich eine Drogerie. Anton Kursitis spricht eine Verkäuferin an, bittet sie, die Geschäftsführerin zu holen. Die kommt sofort aus dem Büro gelaufen, schüttelt dem Sprachkontrolleur die Hand. "Guten Tag", begrüßt sie Kursitis, "ich bin der Leiter der Sprachkontrollbehörde und würde Sie gerne was fragen. Stellen Sie hier auch Verkäuferinnen ein, die kein Russisch können?"

"Ja", antwortet die Chefin, "allerdings müssen sie es dann innerhalb eines Monats zumindest in Grundzügen gelernt haben. In unserer Branche müssen wir uns da nach den Kunden richten. Aber Lettisch müssen sie sowieso beherrschen", sagt sie. Deswegen seien solche Kontrollen für sie auch kein Problem. Anton Kursitis freut sich über solche Antworten. Schließlich weiß er, dass seine Behörde mit ihren landesweit 16 Mitarbeitern mit den Kontrollen nicht hinterherkommt. Da gehe es ihm und seinen Kollegen nicht besser als Verkehrspolizisten, die auch nur etwa jeden zehnten Raser erwischen.

Livisch – fast schon eine Geheimsprache

In den Markthallen der lettischen Hauptstadt Riga stehen Kunden an einem Fischstand (21.10.2005/dpa)
Die Sprachenpolizisten kontrollieren auch in GeschäftenBild: picture-alliance/ ZB

Während Anton Kursitis seinen Kontrollgang fortsetzt, sitzt Baiba Damberga in einem Rigaer Straßencafé, das Handy am Ohr. Dass die Gäste am Nebentisch sie belauschen könnten, darüber braucht sich die Künstlerin keine Sorgen zu machen. Denn außer ihr und ihrer Tochter am anderen Ende der Leitung können nur rund 20 andere Menschen in ganz Lettland wirklich verstehen, was sie sagt. Baiba Damberga spricht Livisch, die vom Aussterben bedrohte Sprache der Liven, der Ureinwohner Lettlands.

"Meine Mutter ist Lettin, mein Vater Live. In der Familie wurde natürlich Lettisch gesprochen, wie das in den meisten gemischten Familien seit den 1920er-Jahren der Fall war. Sie waren der Meinung, dass ihre Kinder es leichter in der Schule haben, wenn sie Lettisch sprechen, weil das die Unterrichtssprache war, und Livisch kam in den staatlichen Einrichtungen nicht vor."

Livisch für Anfänger

Als Lettland seine Unabhängigkeit wiedererlangte und eine breite Debatte über die eigene Sprache und Identität begann, beschlossen Baiba Damberga und einige Freunde, die livische Sprache zu retten. Sie schrieben ein Lehrbuch, gründeten einen livischen Chor und organisierten ein livisches Sommerlager, das bis heute jedes Jahr stattfindet.

Außerdem setzten sie durch, dass kostenlose Livisch-Kurse an der Volkshochschule angeboten werden. Baiba Damberga glaubt fest daran, dass sie und ihre Mitstreiter es schaffen, die Sprache am Leben zu erhalten. Auf dem Sommerlager wollen sie in diesem Jahr sogar ein livisches Theaterstück einüben - das erste der Geschichte.