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Mit größter Vorsicht behandeln

Peter Philipp18. Juni 2003

Die Mullahs im Iran stehen unter zunehmendem Druck. Ein Kommentar von Peter Philipp.

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Hunderte Iraner haben auch am Dienstag (17.6.03) wieder
für Reformen in dem islamischen Gottesstaat demonstriert. Die Proteste konzentrierten sich dabei auf Orte außerhalb Teherans. Für die Hardliner in Iran ist der Fall klar: Niemand anderes als die USA sollen hinter den Demonstrationen stecken, die das Land seit mehr als einer Woche erschüttern. Doch auch wenn US-Präsident George W. Bush die Demonstrationen als Aufbruch zu einem "freien Iran" begrüßt hat - bislang beschränkt sich die Rolle der Vereinigten Staaten wohl in der Tat lediglich auf "moralische Unterstützung" der Proteste, wie das US-Außenministerium unlängst versicherte. Das Ausland täte gut daran, die Entwicklungen im Iran mit größter Vor- und Rücksicht zu behandeln.

Eine Woche massiver Studentenproteste in Teheran und diversen Provinzstädten haben gezeigt, in welch prekärer Situation der Iran sich im 24. Jahr der Islamischen Republik befindet: Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit war selten so groß wie heute. Dasselbe gilt für Frust und Enttäuschung unter der Bevölkerung, die heute weniger denn je Vertrauen in die politische Führung des Landes zeigt - und zwar gleichermaßen die konservativen Hardliner um den obersten Führer, Ajatollah Ali Chamenei, wie auch die Reformer um den gemäßigten, aber machtlosen Präsidenten Mohammed Chatami.

Proteste dieser Art - zum Teil sogar heftiger als in diesen Tagen - hatte es freilich bereits vor vier Jahren gegeben und sie waren nach einigen Tagen erstickt worden. Diesmal ist die Lage aber etwas anders, denn zu dem inneren Druck der Straße gesellt sich massiver äußerer Druck - aus Washington, den Vereinten Nationen und selbst der sonst immer auf Ausgleich mit den Mullahs bedachten Europäischen Union. Es geht um die atomaren Pläne des Iran und alle scheinen sich zu überbieten mit Warnungen, Teheran solle seine Aktivitäten offenlegen, sonst würde dies Konsequenzen haben.

Irgendwie werden Erinnerungen wach an die Drohungen wegen angeblicher Massenvernichtungswaffen im Irak. Mit dem Unterschied, dass das Regime Saddam Husseins solche Waffen einst gesucht hat - dies weiß man im Westen, weil man dem Regime dabei tatkräftig geholfen hatte. Der Iran versichert im Gegensatz dazu, er habe kein Interesse an solche Waffen und er hatte bis vor kurzem auch zu deren vollen Zufriedenheit mit der Atomenergiebehörde zusammengearbeitet. Ganz im Gegensatz zu Saddam Hussein.

Nachdem aber bekannt ist, wie sehr im Fall des Irak in Washington und London Fakten verfälscht wurden, um einen Krieg zu rechtfertigen, können solche Unterschiede ebenso wenig beruhigen wie amerikanische Versicherungen, man plane keinen Krieg gegen den Iran. In Washington nimmt man offiziell die Haltung ein, das Mullah-Regime müsse durch eine Demokratie abgelöst werden, dies solle aber vom iranischen Volk selbst geleistet werden.

Wer die Machtverhältnisse im Iran kennt, der weiß aber auch, dass protestierende Studenten das Regime nicht stürzen werden und dass all diese Ansätze zum Scheitern verurteilt sind, solange die Streitkräfte und die Sicherheitsorgane auf Seiten des Regimes - und da auch noch auf Seiten der Konservativen - stehen. Veränderungen im Iran werden deswegen vermutlich doch massive Unterstützung von außen benötigen - die aber gleichzeitig auch als fremde Einmischung auf Ablehnung selbst reformwilliger Iraner stoßen könnte.

Schwere Tage nicht nur für die Mullahs in Teheran, sondern auch für alle, die auf Veränderung im Iran hoffen: Nichts tun heißt, die Iraner im Stich zu lassen. Zu viel tun heißt, sie zu bevormunden.