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Mit Humor gegen die Vergangenheit

Agnieszka Rycicka 9. April 2015

Das Buch "Polen - Deutschland 1:0. Oder: 1000 Jahre Zank unter Nachbarn" von Andrzej Klim ist ein Abriss der mehr als 1000 Jahre alten deutsch-polnischen Geschichte - politisch nicht immer korrekt, aber stets humorvoll.

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Andrzej Klim (Foto: DW)
Bild: DW/A. Maciol

Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschen waren geprägt von traurigen, grausamen und erschreckenden Ereignissen, schreibt der Autor - und entscheidet sich dafür, ihnen mit Humor und Witz zu begegnen: Mit einem schelmischen Blick guckt er die Deutschen an - um gleich darauf gegen sie zu sticheln. Er überhäuft die Polen mit Komplimenten - und spottet im nächsten Moment über ihre Mängel.

Sticheleien, Spott... und Humor

Andrzej Klim beweist, dass man mit Humor auch die dunkelsten Momente der nachbarschaftlichen Geschichte beschreiben kann. Dabei geht er über die in Lehrbüchern beschriebenen historischen Wendepunkte - vom frühen Mittelalter bis nach dem Zweiten Weltkrieg - hinaus. Er verwebt die "große" Geschichte mit persönlichen Erzählsträngen. In Polen ist das Buch, das erst vor wenigen Wochen erschienen ist, äußerst erfolgreich. Die Deutsche Welle hat mit Anderzej Klim gesprochen.

Deutsche Welle: Warum heißt ihr Buch "Polen - Deutschland 1:0"?

Andrzej Klim: Damit sich die Deutschen nicht mit einem zweistelligen Ergebnis auf den Schlips getreten fühlen. Es geht um ein historisches Ereignis, das die Eroberung Berlins, die Schlacht bei Tannenberg oder auch die preußische Huldigung 1525 in den Schatten stellt. Es geht um etwas, das die Deutschen mehr auf die Palme bringt als der Versailler Vertrag oder Michael Drzymala [ein polnischer Bauer, der in den preußischen Provinzen Posen und Westpreußen zur Symbolfigur polnischer Einwohner im "Kampf um den Boden" wurde; Anm. d. Redaktion]. Es handelt sich um den Sieg der polnischen Fußball-Nationalmannschaft über Deutschland am 11. Oktober 2014 - das 2:0. Und jetzt im Ernst: Ich denke, dass die Bilanz der jahrhundertelangen nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen zum Vorteil der Polen ausfällt. Deswegen erhalten sie von mir eine eins.

Kann ein Pole objektiv über Deutsche urteilen?

Warum nicht? Ich weiß natürlich, dass ich aus dem Blickwinkel eines Polen schreibe. Das wird noch verstärkt, weil ich jedes Kapitel mit einer persönlichen Geschichte von mir beginne. Ich bin in Masuren geboren - oder wie es die Deutschen sagen: "in Ostpreußen". Mein Alltag wurde von den Spuren der Kreuzritter bestimmt. Ich sah auf der einen Seite Menschen, die dort seit Jahrhunderten lebten - bis 1945. Auf der anderen Seite gab es Vertreibung, Besitzverlust, Zwangsarbeit. Das ist auch die Geschichte meiner Familie, die uns die Deutschen eingebrockt haben.

Es gibt unzählige Publikationen über die deutsch-polnischen Beziehungen. Warum sollte jemand noch ein weiteres Buch zu diesem Thema kaufen und lesen?

Weil das Gros der Publikationen zu diesem Thema entweder sehr wissenschaftlich oder sehr oberflächlich ist. Ich wollte dagegen die goldene Mitte treffen, etwas schreiben, was jeder interessant findet. Ich wollte beim Leser das Interesse für Fragen wecken wie etwa: Wie und woher kamen eigentlich die Kreuzritter nach Ostpreußen, an den kalten Rand Europas? Warum blieben sie nicht im Heiligen Land? Oder: Warum hat man die Polen in Sachsen nach dem November-Aufstand [1830/31; Anm. d. Red.] mit Blumen und Gesang begrüßt, während sie in Preußen eingelocht wurden?

Kann man überhaupt scherzhaft über die deutsch-polnischen Beziehungen sprechen - vor allem, wenn es um tragische Ereignisse geht?

In meinem Buch bin ich sowohl humoristisch als auch sehr direkt. An manchen Stellen begegne ich den Deutschen mit einem Grinsen. Und da, wo es notwendig ist, bin ich ernst und rede Klartext. Ein Beispiel: Heute wird die Aussage bevorzugt, der Zweite Weltkrieg sei nicht durch die von der Ideologie Hitlers begeisterten Deutschen provoziert worden, sondern durch irgendwelche "Nazis". Das Buch sollte bissig sein - und ist auch so geworden. Aber "demokratisch bissig" - gerichtet an beide Nationen.

Andrzej Klim (Foto: DW)
Klim - im GesprächBild: DW/A. Maciol

Wann waren denn die Beziehungen zwischen den Polen und den Deutschen am besten?

So wie das Leben eben spielt: Es gab Zeiten der Freundschaft, aber auch Zeiten des Streits. Und dennoch ist eine Nachbarschaft etwas Dauerhaftes. Immerhin verlief die Grenze zwischen dem polnischen Königreich und dem Deutschen Reich bis zur Teilung Polens 1772 genauso wie im Mittelalter. Und dann noch die Personalunion mit Sachsen! Sie dauerte fast 70 Jahre. Diese Zeit wird heute sehr oberflächlich dargestellt, obwohl sie sehr interessant war. Heute können wir nur vermuten, was passiert wäre, wenn August der Starke seine Pläne realisiert hätte. Der schlimmste Zeitraum war natürlich der Zweite Weltkrieg mit seiner Grausamkeit - und es ist einfach nicht zu glauben, dass er von der größten Kulturnation der Welt ausging.

Der Name des größten Vernichters der deutsch-polnischen Beziehungen ist uns bekannt. Aber es gab doch auch anständige Deutsche…

Es gibt Deutsche und Deutsche - wie zum Beispiel Erika Steinbach [Anm. d. Red.: Bundestagsabgeordnete], die sich an der rechten Seite der politischen Szene tummelt. Es gibt aber auch den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der in Skierbieszów, unweit von Zamość geboren wurde und dort während jener Zeit lebte, als die Polen Platz für den neuen Lebensraum der Deutschen machen mussten. Und darüber spricht Köhler öffentlich, im Gegensatz zu Frau Steinbach, die in der Kaschubei zur Welt kam. Auch Kanzlerin Merkel pflegt die Beziehungen zwischen Warschau und Berlin mit ähnlicher Sorgfalt wie die zwischen Berlin und Paris. Im Grunde gab es viele "gute Deutsche". Unvergessen bleibt für die polnische Geschichte Kaiser Otto III., der den polnischen Staat in Europa salonfähig machte. Die zweite Person, die mir seltsamerweise einfällt, ist der "Eiserne Kanzler" Otto von Bismarck. Seine Kolonisations-Kommission endete zwar in einem Desaster - sie zwang die Polen jedoch in der Region Großpolen zu mehr wirtschaftlicher Effektivität. Auch mit seinem "Kulturkampf" - was auffällt ist, dass die Deutschen immer um etwas kämpften - hat Bismarck den Polen geholfen.

Warum ist den Polen die Meinung der Deutschen über sie so wichtig?

Das sind Jahrhunderte alte Minderwertigkeitskomplexe gegenüber dem wirtschaftlich, kulturell, im Sport und in der Wissenschaft Stärkeren. Aber nicht immer siegt der Stärkere. Ich war von dem Aufschrei in Deutschland überrascht, als Bundespräsident Joachim Gauck den Polen mehr Fleiß bescheinigte als den Deutschen. Ich glaube, dass wir solche Momente einfach übersehen, was ich schade finde.

Kann man darauf hoffen, dass die Deutschen und die Polen irgendwann eine gemeinsame Sicht auf die Vergangenheit entwickeln? In die Zukunft schauen sie - in Form der Europäischen Union - bereits gemeinsam.

2011 gab es im Berliner Prestige-Objekt, dem Martin-Gropius-Bau, eine Ausstellung zum Thema "Polen und Deutschland - 1000 Jahre Geschichte in der Kunst". Auffallend war aber, dass sie zwei unterschiedliche Titel trug. Auf Polnisch hieß sie "Nebenan" ("Obok"), und auf Deutsch "Tür an Tür". Die Tür kann man entweder weit öffnen oder auch verriegeln - je nachdem, wer die Schlüssel hat.

Das Interview führte Agnieszka Rycicka.