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Bessere Welt mit Kunst?

Janine Albrecht8. November 2012

Christos Verhüllung des Reichtags oder der Protest von Pussy Riot in Moskau: Künstler nutzen die Öffentlichkeit, um sich politisch zu äußern. Auch die russische Gruppe "Voina" geht mit Aktionen in Hamburg auf die Straße.

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Fahndungsplakat der Künstlergruppe "Voina" am Hamburger Michel (Foto: Voina)
Bild: Voina

Sechs große Buchstaben stehen unter dem Foto: WANTED. Das Porträt zeigt eine Frau mit dunklem Pony über der Stirn. Sie hat müde, traurige Augen. Es ist Taisya Osipova, die Frau eines linken Oppositionspolitikers. Seit zwei Jahren sitzt sie im Gefängnis, verurteilt zu insgesamt zehn Jahren Haft. Osipova wurde in Russland wegen Drogenbesitzes der Prozess gemacht, doch für ihre Freunde ist klar, dass sie wegen ihrer Kritik am Kreml inhaftiert wurde. "Man hat ihr das Heroin untergeschoben, sie hat nie etwas mit Drogen zu tun gehabt", sagt Yana Sarna. Auch sie gehört zu der Künstlergruppe "Voina". Mit provokanter Streetart greift Voina den russischen Machtapparat an. Daher werden die Künstler in ihrer Heimat als Kriminelle verfolgt.

Medienaufmerksamkeit hilft Gefangenen

""Voina" unterstützt auch politische Häftlinge. Derzeit tourt die Gruppe dafür um die ganze Welt und hängt überdimensionale Fahndungsbilder auf. Jetzt haben die Künstler eines der Plakate mit Osipovas Gesicht am Hamburger Michel entrollt. Durch die Aktion "Voina wanted" wollen sie Öffentlichkeit für politische Häftlinge erzeugen.

Porträt von Taisya Osipova, einer russischen Aktivistin, die derzeit in Haft sitzt
Porträt von Taisya Osipova, einer russischen Aktivistin, die derzeit in Haft sitzt (Foto Voina)Bild: Voina

Yana Sarna sieht sich selbst als Künstlerin und Aktivistin. "Wenn wir die Fälle öffentlich machen, hilft das den Gefangenen", sagt Sarna. Das habe der Prozess um die Punkband Pussy Riot gezeigt. "Ohne die große Aufmerksamkeit der Medien wären die Urteile härter ausgefallen", so Sarna. Immer häufiger nutzen Künstler die Öffentlichkeit, um auf ihre Belange aufmerksam zu machen. Die Grenzen zwischen Kunst und Aktivismus sind fließend.

"In den letzten Jahren hat die Streetart große Aufmerksamkeit erreicht", sagt Anna-Lena Wenzel. Sie lehrt an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und untersucht im Forschungsprojekt "Urbane Interventionen" die Entwicklung dieser Ausdrucksform. In der Kunst nutzte erstmals Anfang der 90er Jahre die Wiener Künstlergruppe "Wochenklausur" den Begriff der Intervention. "Kunst verlässt hierbei die Galerien und wird im öffentlichen Raum gezeigt", erklärt Wenzel. Motivation und Anspruch seien dabei sehr unterschiedlich. Auch die Wirksamkeit von Interventionen lasse sich nicht pauschal beurteilen.

Russische Gesellschaft verändert sich

"Wir wollen andere Künstler ermutigen, sich für Menschenrechtsaktionen einzusetzen und politische Häftlinge zu unterstützen", sagt Alexey Plutser-Sarno, Initiator von "Voina Wanted". Alle Aktionen der Gruppe werden mit Videos und Fotos im Internet dokumentiert. "Das Internet ist unsere Galerie", sagt Plutser-Sarno. Und diese wird offenbar rege besucht. Nicht selten klicken sich laut Plutser-Sarno eine Million Menschen in seinen Blog. Tausende kommentieren die Aktionen. "Bisher waren dabei alle Kommentare positiv und unterstützend", so Plutser-Sarno. Für die Künstler von "Voina" ein deutliches Zeichen, dass sich in der russischen Gesellschaft etwas verändert.

Bild von einem Gemeinschaftsgarten in Hamburg (Foto: Keimzelle)
"Keimzelle- soziale Gärten für alle" in HamburgBild: Keimzelle

Angst ist die Macht des Regimes

So entspannt wie in Hamburg können sie ihre Interventionen in Russland nicht durchführen. Am Hamburger Michel interessiert sich niemand für die friedlichen Aktivisten, als diese am hellichten Tag das Plakat am Turm der Kirche entrollen. In Russland nutzt "Voina" oft die Dunkelheit für ihre Aktionen.

So auch in der Nacht des 14. Juni 2010. Die Gruppe malte einen riesigen Phallus auf die Liteiny Zugbrücke in St. Petersburg. "Wir hatten dafür 23 Sekunden Zeit", erzählt Sarna. Sofort als die Künstler mit Farbeimern bewaffnet ihr Werk begannen, rannten schon die Sicherheitsleute hinter ihnen her. Um ein Uhr nachts prangte trotzdem ein 65 Meter großer gemalter Penis auf der hochgezogen Brücke, in direktem Sichtkontakt zum russischen Geheimdienst, der gegenüber der Brücke seinen Sitz hat. "Fuck You!" lautete die unmissverständliche Botschaft.

"Einer von uns wurde während der Aktion geschnappt, von den Polizisten verprügelt und inhaftiert", sagt Sarna. Ihre Eltern machten sich auch um sie Sorgen, aber verständen ihren Einsatz dennoch. Sie selbst habe keine Angst. Alexey Plutser-Sarno fügt hinzu, dass die Angst der Menschen ein Hauptproblem in seinem Land sei. Daher habe das Regime Macht über sie. Dass sich am Hamburger Michel kein einziger Polizist zeigt und sie nach einiger Zeit das Banner wieder in Ruhe abhängen können, ist für Wenzel ein gutes Zeichen.

Hochgeklappte Brücke mit einem aufgemalten Phallus (Foto: Voina)
Phallus auf der Liteiny-Brücke in St. PetersburgBild: Voina

"Interventionen sollten nachhaltig sein"

"Viele Interventionen sind aber nicht nachhaltig", stellt Harald Lemke fest, Philosoph und Künstler. "Hierzulande stehen wir an einem anderen Punkt gesellschaftlicher Entwicklung", sagt Lemke, der an der Leuphana Universität in Lüneburg, nahe Hamburg, unterrichtet. Er selbst ist Mitinitiator des Hamburger Nachbarschaftsprojektes "Keimzelle - soziale Gärten für alle".

Hierbei haben sich politische Aktivisten und Anwohner ein Stück städtischer Grünfläche im belebten Stadtteil St. Pauli angeeignet. Kunst-Interventionen bieten viele Möglichkeiten auf Missstände hinzuweisen. Egal, ob durch laute oder leise Aktionen.