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Mit leichtem Dampf

Stephan Hille24. September 2003

Jetzt, zum Herbstanfang ist wieder Zeit für die Banja, das russische Dampfbad. Die öffentliche Banja, das ist in Russland mehr als Sauna. Ein beinahe heiliger Ort. Geschwitzt wird nach Geschlechtern getrennt.

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Eingefleischte Fans, Stammgäste und Menschen mit Kater suchen die Banja schon frühmorgens auf, zum "ersten Dampf", wie es heißt. Auf die Frage nach der besten Banja, wird jeder Moskauer eine andere nennen, doch eine
der schönsten und traditionsreichsten ist die Sandunowskaja Banja. Der Schwitzraum wird durch einen gigantischen Ofen aus rotem Ziegelstein angeheizt. Neun Tonnen rotglühendes Gusseisen liegen darin. Über Nacht per Gasflamme erhitzt, geht der Ofen nie wirklich aus.

Ein Gefühl, wie bei den Stahlkochern. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 25 Prozent. So muss es sein. Zufriedenes Grunzen auf den Bänken. Im schwitzenden Männerkollektiv findet sich immer jemand, der für Aufgüsse sorgt. Meist eine Autorität und ein Zeremonienmeister, dem man nicht widerspricht, auch wenn es unerträglich heiß wird. Gegenüber dem Ausländer, den die Hitze gelegentlich zu Kauerstellungen am Boden zwingt, hat jeder Russe stets die gleiche Weisheit parat: "Was für den Russen gut ist, bringt den Deutschen um." Krachend fliegt eine Holzkelle mit Wasser nach der anderen in den Ofen. Buuffff. Wie ein kurzes, entferntes Donnergrollen klingt die Explosion des Wassers über dem heißen Gusseisen.

Erst langsam, dann wie eine Feuerwalze breitet sich die Hitze aus. Kenner tragen speckige Filzmützen. Das soll angeblich Hirn und Haare vor der Mordshitze schützen. Schweiß fließt in Strömen, der Atem wird flacher. Meint es der Banja-Heizer gut, klatscht er noch eine Kräuterlösung über die Köpfe an die Wand und verteilt den Duft, indem er ein Handtuch über dem Kopf schwingt.

Der Zeremonienmeister erntet dafür in aller Regel Applaus. Die Glutwoge drückt einen nieder, frisst sich in alle Poren, die Haut unter den Finger- und Zehennägeln scheint zu glühen. Das ist der Moment, um den Schwitzraum zu verlassen und ins eiskalte Wasserfass zu springen. Die Kälte kühlt den Körper schlagaltig aus, der Puls macht eine Vollbremsung und dreht im gleichen Moment wieder auf. Das Wasser ist so kalt, dass es
schmerzt.

Profis gehen direkt nach dem Eisbad wieder in den Schwitzraum. Sofort fällt die Hitze über den abgekühlten Körper her. Die Gefäße öffnen sich, ein Gefühl als würden einen tausend winzig kleine Nadeln piksen. Die Russen peitschen sich mit getrockneten Birkenzweigen aus, die kurz vorher in heißem Wasser eingeweicht werden. Das fördert die Durchblutung.

Im Ruhe- und Umkleideraum sitzen die Männer eingehüllt in Bettlaken wie die Römer in der Toga. Man ruht auf schweren Holzbänken, die mit Leder überzogen sind. Die Banja gehört untrennbar zur russischen Kultur, wie der Wodka und die orthodoxen Zwiebeltürme. Ob im sibirischen Dorf oder in der Großstadt: Jedes Kind wächst mit dem Dampf auf. Die Banja ist ein Ort der Reinheit und des Seelenheils. Zwischen den Schwitzgängen wird getratscht, Bier getrunken und Fisch gegessen. Hier gilt der olympische
Friede, hier wird man wieder Mensch und wünscht sich gegenseitig "einen leichten Dampf". Und auf der Schwitzbank sind alle gleich: Ob Neureicher, Malocher, Politiker, oder Bandit, wer aus der Banja kommt, ist immer irgendwie sauber.