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Medien Irak

11. Oktober 2011

Ein deutscher Medienexperte hat eine Vision: Er will irakische Medien mit Anzeigenkunden zusammenführen und so mehr Demokratie ins Land bringen.

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Zeitungskiosk in Erbil (Foto: Judith Pfannenmüller)
Medienvielfalt ohne Meinungsfreiheit - viele Zeitungen im Irak werden von Parteien finanziertBild: Judith Pfannenmüller

Mit hoher Geschwindigkeit fährt ein weißer Hyundai über die staubige Straße zum internationalen Flughafen in Erbil. Thomas Koch sitzt auf dem Beifahrersitz. Er ist erschöpft, denn er hat wenig geschlafen. Ein viertägiger Marathon durch die autonome Region Kurdistan im Irak liegt hinter ihm. Für seine Mission, mehr Demokratie in den Irak zu bringen, hat er viele Tassen Chai getrunken, unzählige Zigaretten geraucht, Bürgermeister besucht, streng bewachte Checkpoints passiert und immer und immer wieder sein Anliegen vorgetragen: Dass er den irakischen Medien helfen will, unabhängiger zu werden. Dass Unternehmen dafür unbedingt Werbeanzeigen bei ihnen schalten müssen. Dass er eine Brücke bauen möchte. Die Brücke will er selbst sein: Thomas Koch, 59 Jahre alt, erfahrener Medienexperte aus Düsseldorf.

"Das System ist dort völlig neuartig"

Der deutsche Medienexperte Thomas Koch (Foto: Friederike Ott)
Thomas Koch wirbt im Irak für AnzeigenwerbungBild: Friederike Ott

Bisher arbeitete Koch ausschließlich in Deutschland. Er sorgt dafür, dass Unternehmen ihre Anzeigen in den richtigen Medien schalten. Dort, wo sie mit ihrer Werbung die Menschen erreichen, die sich für ihre Produkte interessieren. Deutsche Medien wissen sehr genau, wer sie liest und vor allem, wie viele Leser es sind. Das Geld, das sie von den Anzeigenkunden bekommen, macht es ihnen möglich, weitgehend unabhängig berichten zu können. Ganz anders die Situation im Irak: "Das System, das wir kennen, ist dort völlig neuartig", sagt Koch am Anfang seiner Reise. "Es gibt wenige Unternehmen, die Werbung schalten, aber es gibt viele Medien." Schätzungsweise 200 Zeitungen und Magazine, 60 Radiostationen und 30 Fernsehsender gibt es im Irak. Doch die meisten werden von Parteien oder anderen Interessengruppen finanziert, die massiven Einfluss auf die Berichterstattung nehmen.

Um die unabhängigen Medien zu unterstützen, gründete Koch gemeinsam mit Klaas Glenewinkel von der gemeinnützigen Organisation Media in Cooperation and Transition (MICT) die Mediaagentur Plural Media Services. MICT hat sich auf die Medienentwicklung in Krisenregionen spezialisiert. Die Organisation ist seit 2003 im Irak tätig und schult beispielsweise lokale Journalisten. Glenewinkel kennt sich aus auf dem irakischen Medienmarkt, er beobachtet ihn seit vielen Jahren. Er weiß, dass Medien, die unabhängig sein wollen, meist mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben, wie etwa die Wochenzeitung Awene in der kurdischen Stadt Suleimaniya.

Hoffnung auf einen wachsenden Medienmarkt

Awene-Chefredakteur Asos Hardi (Foto: Friederike Ott)
Will seine Mitarbeiter halten: Awene-Chefredakteur Asos HardiBild: Friederike Ott

Als Thomas Koch mit seinem Team in die Stadt kommt, sitzt Chefredakteur Asos Hardi an seinem dunklen Holzschreibtisch und zieht fast pausenlos an einer Zigarette. Er erzählt von den finanziellen Problemen seiner Zeitung: Trotz der zwischenzeitlichen Unterstützung durch europäische Nichtregierungsorganisationen ist die Lage miserabel. Der Sportableger "Awene Sports" musste bereits seinen Umfang verringern. Noch hat Hardi niemanden entlassen müssen, doch er hat seine Mitarbeiter gebeten, Strom zu sparen, um die Kosten zu senken. Auch die Auflage sinkt.

Noch hat Koch nicht viel außer seiner Hoffnung. Aber die bekommt nun ständig neues Futter: Immer mehr Unternehmen strömen in den kurdischen Markt, zunehmend auch internationale Konzerne wie Lufthansa, Siemens und BMW. Grund dafür ist die relativ stabile Sicherheitslage in der Region Kurdistan. Erbil, die wichtigste Stadt der Region, wächst schnell. Kein Wunder - die Investitionsbedingungen sind traumhaft, die Region noch weitgehend unerschlossen. Unternehmen, die hier herkommen, müssten eigentlich bereit sein, in einem aufstrebenden Markt Geld für Anzeigen auszugeben, so jedenfalls sieht das der Mann aus Düsseldorf. Außerdem hat die kurdische Regierung, die bisher alle Medien finanziell unterstützt hat, ihre Subventionen gerade komplett gestrichen. Diese brauchen nun mehr denn je einen neuen Geldgeber.

"Genau zum richtigen Zeitpunkt"

Ein kleiner Junge zieht am Internationalen Flughafen Erbil einen Koffer (Foto: Friederike Ott)
Der Bau des Internationalen Flughafens Erbil hat der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt neuen Schwung gegebenBild: Friederike Ott

Am Tag zwei seiner Reise macht Koch Station bei einem großen Fernsehsender. Der gehört zu den wenigen Medien im Land, die sich schon jetzt teilweise über Firmenwerbung finanzieren. Der Sender hat eine Vermarktungsagentur, die Werbespots für Unternehmen produziert, die dann im eigenen Programm laufen. Der Raum der Agentur ist abgedunkelt, es riecht nach Zigarettenrauch. Thomas Koch erklärt dem Marketingleiter, dass es wichtig sei, die Reichweite zu kennen. Der Marketingleiter zieht die Braue hoch. Die Reichweite kennt er nicht. Aber er wisse, sagt er, dass der Sender seit sechs Jahren die Nummer eins ist.

Einig sind sich die Männer schließlich darin, dass der Sender zusätzliche Werbung braucht, denn er hat finanzielle Probleme. Einige Entertainmentprogramme sind eingestellt worden, das Budget wurde heruntergefahren. "Wenn jemand Anzeigen schalten will, muss er wissen, wie viele Leute den Sender sehen", wiederholt Koch, denn er weiß, was internationale Konzerne wissen wollen, bevor sie Anzeigen schalten. Der Marketingleiter guckt ein bisschen ratlos. "Wir wissen nicht, wie viele Leute uns gucken", sagt er. "Wir wissen nur, dass wir beliebt sind."

Der weiße Hyundai erreicht den Parkplatz vor dem modernen Flughafengebäude. Thomas Koch ist zufrieden mit seiner kleinen Dienstreise durch Kurdistan. Gerade hat er einen Anruf von einer Pharmafirma erhalten, die nun mit Hilfe von Plural Media Services Spots im Fernsehen schalten will. "Wir kommen genau zum richtigen Zeitpunkt", sagt Koch. "Die Medien stehen vor einer Revolution." Er steigt aus dem Auto. Kurdistan ist seine erste Station. Bald will er sich die Medien im restlichen Irak vornehmen, später die im Sudan und in Afghanistan. Er nimmt seinen Koffer und wirft eine letzte Zigarette auf die staubige Straße, dann verschwindet er in der Sicherheitsschleuse.

Autorin: Friederike Ott
Redaktion: Jan-Philipp Scholz/Katrin Ogunsade