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Koalieren und Kopulieren

9. Februar 2011

Die sozialdemokratische Senatorin Marleen Temmerman greift in der belgischen Regierungskrise zu drastischen Mitteln: Sie ruft alle Belgierinnen zum Sex-Streik auf. Ihr Motto: Erst koalieren, dann kopulieren.

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People hold a banner which reads "shame" and a sign, left, which reads "Unity Creates Power' during a demonstration in Brussels, Sunday, Jan. 23, 2011. Tens of thousands of protesters marched in the Belgian capital Sunday in support of national unity and to demand that the rival political groups finally form a coalition after seven months without a government. (AP Photo/Virginia Mayo)
Konventionelle Demonstrationen blieben in Belgien ohne ErfolgBild: AP

Seit der Parlamentswahl am 13. Juni 2010 ist Belgien ohne Regierung. Grund dafür ist die Uneinigkeit zwischen den Flamen im Norden und den Wallonen im Süden. Der belgische König hat bereits mehrere Unterhändler für die Bildung einer Koalition verschlissen. Am Wochenende platzte der flämischen Senatorin Marleen Temmerman deshalb der Kragen. In der Zeitung "De Standaard" rief sie alle Belgierinnen, besonders die Partnerinnen von hochrangigen belgischen Politikern auf, so lange auf Sex zu verzichten, bis eine Regierung geformt ist.

Symboldbild Beischlaf
Belgien: Enthaltsam bis zur Regierungsbildung?Bild: Illuscope

Vorbild Kenia und Lysistrata

Die 58-jährige Frauenärztin weist auf erfolgreiche Vorbilder hin: 2009 hätten kenianische Frauen sich ihren Männer verweigert und so eine Regierungskrise beendet. Schon in der Antike hätten Frauen durch einen Sex-Streik den Krieg zwischen Athen und Sparta beendet - nachzulesen bei Aristophanes in der Komödie Lysistrata. Marleen Temmerman überlegt, belgische Prostituierte, die sich dem Streik anschließen, für den Verdienstausfall zu entschädigen. Dieses Modell habe auch in Kenia 2009 zum Erfolg geführt, schreibt Temmerman auf ihrer Webseite. Wissenschaftlich nachgewiesen wurde der Zusammenhang zwischen Enthaltung und Regierungsbildung in Kenia allerdings nie.

Senatorin Temmerman ist übrigens selbst verheiratet und hat einen Sohn. Wie ihr Gatte auf die politische Initiative reagiert hat, ist nicht bekannt. In Kommentaren belgischer Zeitungen wird davor gewarnt, die belgische Politik mit solchen Aktionen völlig der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Regierungsbildung sei keine spät-pubertäre Juxerei. Vor kurzem erst hatte ein prominenter belgischer Schauspieler angekündigt, er wolle sich nicht mehr rasieren, bis eine Regierungsmannschaft aus den zerstrittenen französisch-sprachigen Wallonen und den Niederländisch sprechenden Flamen stehe. Am 23. Januar 2011 hatten Tausende Menschen in Brüssel für die Einheit des Landes und eine zügige Regierungsbildung demonstriert.

Didier Reynders
Er soll es richten: Didier Reynders, belgischer LiberalerBild: AP

Noch ein Versuch

Die französische Zeitung "Le Monde" gibt zu bedenken, dass drei der einflussreichsten Parteiführer in Belgien Frauen sind. Sie seien von Marleen Temmermans Aufruf gar nicht erfasst. Beim Internetdienst Twitter sind die Reaktionen auf den angedachten Sex-Streik eher verhalten. Marleen Temmermans selbst gab in einem Interview zu bedenken, der Streik dürfe auch nicht zu lange dauern. Wenn sich die Regierungsbildung weiter so zäh dahinschleppe, könnte es zu einer Geburtenlücke kommen. Das hätte für den überalterten belgischen Sozialstaat weit reichende Folgen.

Unterdessen hat der neue "Informateur" Didier Reynders seine Arbeit aufgenommen. Der amtierende Finanzminister von der liberalen wallonischen Partei soll im Auftrag des belgischen Königs ermitteln, ob bei den zerstrittenen Parteien noch der ernste Wille festzustellen ist, eine Regierung zu bilden. König Albert fürchtet - wie viele seiner Landsleute -, dass der Dauerstreit zu einem Auseinanderbrechen Belgiens führen könnte.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Julia Kuckelkorn