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Am Tropf des Westens

19. Mai 2009

Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei konnten spektakuläre wirtschaftliche Erfolge feiern. Doch in Zeiten der internationalen Wirtschaftskrise befinden sich auch diese Länder im freien Fall.

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Skoda-Emblem (Foto: DW)
Der tschechische Automobilhersteller Skoda gehört seit 1991 zum Volkswagen-KonzernBild: DW-TV

Ein wichtiger Grund für den Niedergang der Volkswirtschaften in Mittel- und Osteuropa ist die enge Verflechtung mit dem Westen. Die Zulieferung von vorgefertigten Teilen aus dem Westen zur Weiterbearbeitung und anschließender Rücksendung erklären einen Großteil der Exportzuwächse des Ostens. Das geht aus einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hervor.

Schwellenländer auf dem Vormarsch

"Der Ausgangspunkt der Studie war die Diskussion, die wir noch vor der Finanzkrise geführt haben", sagt Jürgen Matthes, IW-Experte für internationale Wirtschaftspolitik. "Geraten Deutschland und unsere industrielle Basis möglicherweise unter Druck durch die großen Exporterfolge, die wir in Osteuropa oder in China und in anderen Schwellenländern beobachten? Wir wollten mal einen genaueren Blick drauf werfen und hinterfragen, wie weit diese Befürchtung tatsächlich gerechtfertigt ist."

Markt in Slubice, Polen (Foto: DW)
Eng mit der deutschen Wirtschaft verknüpft: Markt im polnischen SlubiceBild: DW

Die Studie konzentriert sich auf Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, denn für diese Staaten ist eine verhältnismäßig gute Datenmenge verfügbar. Sie spiegelt die beeindruckenden Exporterfolge wider: Von 1995 bis 2007 stiegen die Ausfuhren der vier Länder um bis zu 360 Prozent. Im Vergleich dazu kamen die 30 Mitgliedsländer der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im selben Zeitraum lediglich auf ein Plus von rund 100 Prozent.

Ein- und Ausfuhren stehen in engem Zusammenhang

Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Erfolge Mittel- und Osteuropas relativiert werden müssen: So schlagen alleine schon aufgrund einer geringen Ausgangsbasis die Wachstumsraten beim Export so stark zu Buche: Erst nach dem Fall des eisernen Vorhangs und dem Abbau der EU-Handelsschranken Mitte der 1990er Jahre kam der Handel so richtig in Schwung.

Außerdem gingen die Exporterfolge immer auch mit einem rapiden Anstieg der Einfuhren einher. Davon profitierte besonders die deutsche Wirtschaft: Die deutschen Exporte in die vier Länder stiegen von 1995 bis 2007 zwischen 330 und 460 Prozent. Deutschlands Ausfuhren in den Rest der Welt erhöhten sich zum Vergleich im selben Zeitraum lediglich "nur" um rund 150 Prozent. Anders ausgedrückt: Die traumhaften Exportzuwächse wurden überhaupt erst durch die hohen Einfuhrquoten ermöglicht.

E.ON-Kraftwerk in Ungarn (Foto: DW)
E.ON in Ungarn - für multinationale Konzerne ein beliebter StandortBild: DW-TV

IW-Experte Jürgen Matthes erläutert dies am Beispiel der Handy- und Autoproduktion: "Da werden vorgefertigte Teile zugeliefert nach Osteuropa, das heißt, Deutschland exportiert zunächst dorthin", so der IW-Experte. "In Tschechien oder in Ungarn werden die Teile weiter be- und verarbeitet und dann am Ende wieder hierher re-importiert – also aus Sicht beispielsweise der Tschechen exportiert."

Anspruchsvolle Technologie aus dem Westen

Bei technologisch anspruchsvollen Industriegütern – so die Studie – gehen weit mehr als drei Viertel der Produktionszuwächse auf entsprechende Zuwächse bei den westlichen Vorleistungen zurück. In Ungarn und in der Slowakei basierten die Exportzuwächse besonders stark auf importierten Vorleistungen. Diese lägen zwischen 70 und 90 Prozent.

Die Zahlen belegen, wie sehr der Osten am Tropf des Westens hängt und von ihm abhängig ist. Allerdings kann die Zusammenarbeit mit dem Westen auch eine eigenständige Entwicklung fördern. "Wir sehen, dass in der Tat gerade Ungarn und Tschechien stark davon profitiert haben – auch im Hinblick auf ihre technologische Leistungsfähigkeit – dass multinationale Unternehmen dort hin gegangen sind und ihr Know-How, ihr Wissen mitgebracht haben. Und insoweit mit dazu beigetragen haben, dass diese Staaten sich sehr ansehnlich entwickelt haben," ist Jürgen Matthes überzeugt.

Diese "ansehnliche Entwicklung" bedeute aber nicht, dass die untersuchten Staaten in Mittel- und Osteuropa den etablierten Nationen bei der Industriegüterproduktion in absehbarer Zeit den Rang streitig machen könnten.

Autor: Klaus Ulrich

Redaktion: Monika Lohmüller