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Neue Märkte im Visier

Anja Steinbuch
10. August 2017

Gemeinsam mit anderen Unternehmen komplette Projekte anbieten oder westliche Hightech-Geräte abspecken - deutsche Betriebe sind findig, wenn es darum geht, neue, unbekannte Märkte zu betreten.

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Usbekistan Samarkand - Marktplatz
Bild: picture-alliance/robertharding/G. Corrigan

Acht von zehn deutschen Mittelständlern erwirtschaften einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes im Ausland. Trotz der aktuellen Unsicherheiten und trotz geopolitischer Krisen will fast jeder zweite in den nächsten drei bis fünf Jahren an seiner Auslandsstrategie festhalten, mehr als die Hälfte will ihre Aktivitäten sogar ausbauen. Das sind Ergebnisse einer Studie der DZ Bank. Angesichts der von US-Präsident Donald Trump angekündigten protektionistischen Wirtschaftspolitik rät Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie den deutschen Unternehmen, den Blick verstärkt nach Asien zu richten: "Die deutsche Industrie hat Alternativen."

Dabei rücken zunehmend die Länder auf der Balkanhalbinsel, in der Schwarzmeer-Region, im Kaukasus, in Zentralasien und im Nahen Osten in den Fokus. Afghanistan und Aserbaidschan, Georgien, Iran, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan, die nach dem 3.000 Jahre alten persischen Neujahrs- und Frühlingsfest bezeichneten Nowruz-Staaten mit rund 300 Millionen Einwohnern, könnten in den kommenden Jahren zu einer Wachstumsregion werden.

Neue Wachstumsmärkte

Unternehmensberater Kourosh Pourkian, in Teheran geboren und seit 40 Jahren in Hamburg lebend: "Viele dieser sogenannten Entwicklungsländer stehen vor einem kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung. Und von dem könnten in erster Linie deutsche Mittelständler profitieren." Beispiel Iran: Nach dem Ende der meisten internationalen Sanktionen gegen die islamische Republik gilt das Land als vielversprechendes Ziel für ausländische Unternehmen. Laut einer aktuellen Roland Berger-Studie erwartet der Iran mittelfristig ein Wirtschaftswachstum von zwölf Prozent pro Jahr. Insbesondere Pharmafirmen würden davon profitieren. Das glaubt auch Kourosh Pourkian. Gute Chancen im Iran und den anderen Nowruz-Ländern sieht er auch für deutsche Maschinen- und Anlagenbauer, für Betriebe der Lebensmittelbranche, für Medizintechnikprodukte sowie Erneuerbare Energien- und Entsorgungs-Lösungen: "Made in Germany gilt in der Region unverändert als Qualitätsgarantie."

Einer, der sich seit längerem für bessere Beziehungen zwischen deutschen Unternehmen und der Wirtschaft im Nahen und Mittleren Osten sowie in Zentralasien besonders stark macht, ist Sigmar Gabriel. In seiner Zeit als Bundeswirtschaftsminister unterstützte er das jährlich in Hamburg stattfindende Nowruz-Wirtschaftsforum, deren Veranstalter sich als Brückenbauer zwischen der aufstrebenden Region und Deutschland verstehen. Als Außenminister sieht er Deutschlands Rolle in der süd- und zentralasiatischen Region als "Partner für die Zukunft in Frieden und Freiheit". Gabriel weiß: Wirtschaftliche Gesundung armer Länder ist das beste Instrument, Flüchtlingswellen Richtung Europa zu verhindern.

Unternehmensberater Kourosh Pourkian
Sieht gute Chancen für deutsche Mittelständler: Kourosh PourkianBild: K. Pourkian

Angebot regional anpassen

Noch verdienen nicht viele mittelständische Betriebe aus Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein oder Sachsen in Astana, Duschanbe oder Tiflis gutes Geld. Doch das könnte sich angesichts der besser werdenden Rahmenbedingungen bald ändern. Allerdings gilt es dafür auch bisher ungekannte Wege zu gehen, neue Angebotsformen zu finden und Produkte den regionalen Gegebenheiten anzupassen.

Beispiel: Slaughterhouse. Unter dieser Bezeichnung realisieren gerade sechs deutsche Unternehmen ein Projekt im Norden des Iran. In der 90.000-Einwohner-Stadt Behshahr in der Provinz Mazandaran am Kaspischen Meer soll ab 2018 mit deutschem Knowhow die industrielle Herstellung von Hühnerfleisch beginnen. Die Firma Huber aus dem bayerischen Berching übernimmt die Wasseraufbereitung, Baader Linco aus Lübeck liefert die Verarbeitungsanlagen für die Schlachtung und Zerlegung von Hühnern, von den Mittelständlern Multivac aus Memmingen und Poly Clips aus Hattersheim bei Frankfurt kommen Verpackungsmaschinen, die GEA Group aus Düsseldorf steuert die Kühlanlagen und Siemens sämtliche elektronischen Kontrollsysteme.

Besonders attraktiv: Komplettlösungen

In dem 20 Millionen Euro teuren Werk sollen rund 6.000 Hühner pro Stunde verarbeitet werden. Erwarteter Jahresumsatz: 70 Millionen Euro, der erwartete Gewinn per anno: 14 Millionen Euro. Innerhalb von 18 Monaten soll sich das Investment amortisiert haben. "Das geht aber nur, wenn die Anlage auch im Drei-Schicht-Betrieb zuverlässig läuft", erläutert Pourkian. Bei asiatischen Maschinen, die im Schnitt 50 bis 70 Prozent günstiger als deutsche sind, sei das nicht gewährleistet.

"Den Auftrag haben die deutschen Unternehmen bekommen, weil sie qualitativ bessere Anlagen liefern und gemeinsam eine schlüsselfertige Fabrik als Komplettlösung angeboten haben." Außerdem hätten die Anbieter aus der Bundesrepublik ein weiteres Argument vorgebracht, das den Auftraggeber, die Savana Production Group in Behshahr, überzeugt habe: Hühnerfleisch aus dem Iran, das auf zertifizierten Anlagen nach deutschen Standards hergestellt wird, kann auch nach Deutschland exportiert werden.

"Abgespeckt" verkauft sich oft besser

Das Schnüren von Komplettlösungen sei für mittelständische Betriebe eine erfolgversprechende Methode, um bisher weitgehend unerschlossenen Märkte zu erobern. Man kann als deutscher Mittelständler aber auch auf eigene Faust mit einem guten Konzept in Asien Fuß fassen. Der Haus- und Wärmetechnikhersteller Stiebel Eltron hat das gezeigt. Das Holzmindener Unternehmen betrat in 1990er Jahren mit Warmwassergeräten den thailändischen Markt. Der Erfolg war zunächst bescheiden. Grund: Die Geräte, die in Europa gut verkauft wurden, waren für die Asiaten zu schwer zu bedienen, zu teuer und oft überdimensioniert. Die Produkte passten nicht in den Markt.

Stiebel Eltron-Geschäftsführer Nicholas Matten nennt als Beispiel ein Warmwassergerät: "Während in Deutschland die Temperatur des Wassers aus der Zugangsleitung etwa sechs Grad Celsius beträgt, hat es in Asien rund 25 Grad. Um es auf notwendige Betriebstemperatur von 30 Grad zu bringen, ist viel weniger elektrische Leistung notwendig." Die Niedersachsen reagierten, speckten ihre Geräte für die thailändischen Käufer ab - Stichwort: Downsizing - und eröffneten 2006 eine Fertigung vor Ort. Mit Erfolg. Schon zwei Jahre später war Stiebel Eltron im Land Marktführer.

Im Geschäftsjahr 2016 erwirtschaftete das Familienunternehmen, das einen Gesamtumsatz von 475 Millionen Euro ausweist, in der Region Asien-Pazifik rund 56 Millionen Euro, "auch weil wir auf die deutschen Wurzeln unseres Angebots verweisen", so Matten. "Engineered in Germany" sei eben noch immer weltweit ein Qualitätsmerkmal. Ein Beleg: Der Auslandsanteil am Stiebel-Umsatz beträgt 40 Prozent. In den nächsten Monaten will der Mittelständler den Markt für Warmwasser und Lüftung in China ins Visier nehmen - hier wie in Thailand erneut mit "Produkten, die für Asien maßgeschneidert sind."