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Modellprozess zur Aufarbeitung des Bürgerkriegs

Christine Harjes3. Juni 2004

Mehr als zehn Jahre lang tobte in Sierra Leone einer der brutalsten Bürgerkriege Afrikas. Mehr als 50.000 Menschen kamen bei den Kämpfen ums Leben. Jetzt stehen die ersten Angeklagten vor einem Sondergericht in Freetown.

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Für den brutalen Krieg wurden Kinder rekrutiertBild: DPA

Anklage erhoben wurde gegen 13 Verdächtige, deren Verhandlungen gruppenweise stattfinden - abhängig davon, welcher der drei Bürgerkriegsparteien sie angehörten. Am Donnerstag (3.6.04) wurde das erste Verfahren gegen den ehemaligen Innenminister Sam Hinga Norman und zwei weitere Militärführer eröffnet. Sie sollen Kindersoldaten rekrutiert und Zivilisten auf grausamste Art ermordet haben.

Vergewaltigungen, Versklavung und Plünderung

Präsident Charles Taylor, Liberia
Charles Taylor einen Tag vor seinem Rücktritt am 10. August 2003Bild: AP

Einer der Hauptverdächtigen ist Liberias Ex-Präsident Charles Taylor. Ihm werden unter anderem Mord, Vergewaltigungen, Versklavung und Plünderung vorgeworfen. Taylor habe in Sierra Leone die Rebellen der Revolutionären Vereinigten Front (RUF) unterstützt, die für einen Großteil der Verbrechen verantwortlich sein sollen, und er gilt als Drahtzieher weiterer Konflikte in West-Afrika. Seit Taylor Liberia vor einem Jahr verlassen hat, lebt er in Nigeria. Bisher weigert sich die nigerianische Regierung, ihn an Sierra Leone auszuliefern.

Zwei der 13 Angeklagten sind tot; der Aufenthaltsort des Rebellenführers Johnny Paul Koroma ist unbekannt. Wie die Regierungsarmee rekrutierte die RUF Kindersoldaten und übte brutale Gewalt aus, zum Beispiel durch das Abhacken von Gliedmaßen. Bei dem Bürgerkrieg, der 1991 begann und bis 2002 dauerte, ging es hauptsächlich um die Kontrolle des Diamantenhandels. Angeblich soll auch die Terrororganisation El Kaida in die Diamanten-Geschäfte verwickelt sein.

Vorbild für Irak

Der Prozess in Sierra Leone geht über die Wiederherstellung und Sicherung des Friedens im Land hinaus: Durch seine besondere rechtliche Stellung könnte der Sondergerichtshof zum Vorbild für den Prozess gegen Saddam Hussein und andere führende Köpfe des Irak-Regimes werden. Vor zwei Jahren wurde das Tribunal von den Vereinten Nationen und der Regierung von Sierra Leone gegründet.

Einheimische und internationale Richter werden die Urteile gemeinsam fällen. Außerdem wird bei den Verhandlungen eine Mischung aus nationalem und internationalem Recht zugrunde gelegt. Das Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone wird zwar finanziell und personell von den Vereinten Nationen unterstützt, ist aber kein UN-Organ. Damit unterscheidet es sich von den Internationalen Strafgerichtshöfen zur Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Ruanda (ICTR) und im ehemaligen Jugoslawien (ICTY). Während die Tribunale für Ruanda in Tanzania und für Ex-Jugoslawien in den Niederlanden abgehalten werden, finden die Gerichtsverhandlungen zur Aufarbeitung der Bürgerkriegsverbrechen in Sierra Leone im Land selbst statt.

Förderung durch die USA

Den größten Teil der mit 80 Millionen Dollar veranschlagten Kosten für das Tribunal zahlen die USA. Sie propagieren Modelle wie das Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone als Alternative zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, den sie nicht anerkennen wollen. Offizielle Begründung: Vor dem ICC könne es zu langen bürokratischen Verfahren kommen, bei denen politische Voreingenommenheit zuviel Gewicht bekommen könnte.

Neben der Aufklärung und Anklage der Verbrechen soll der Sondergerichtshof in Sierra Leone weitere Aufgaben erfüllen. Ein wichtiger Aspekt sei dabei auch der Aufbau einer nationalen Gerichtsbarkeit, sagt Renate Winter. Die Österreicherin arbeitet als Richterin am "Special Court for Sierra Leone". Das erfordere die Ausbildung der nationalen Kollegen in allen richterlichen und gerichtlichen Funktionen.