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Junge Ukrainer entdecken Tradition neu

25. Mai 2009

Die Tradition des Kosakentums erlebt in der Ukraine eine Renaissance: Was früher die Ausbildung zum Krieger und Überlebenskämpfer war, ist für junge Ukrainer heute eine Sportart und dient der Suche nach Identitiät

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Das Kosakentum erlebt in der Ukraine eine Renaissance, z.B. mit Sportvereinen. *** Mai 2009
Früher überlebensnotwendig, heute sportliche Betätigung: das Training von KampfsporttechnikenBild: DW / Sosnytska

Die Augen des 23-jährigen Volodymyr glänzen, wenn er sich an sein erstes Training im Kiever Kosakenverein "Spas" erinnert: "Ich kam hierher und sah Jungs, die beim Training sangen. Das gibt es ja in anderen Sportarten nicht und das hat mir sofort gefallen." Sie hätten ihn gleich aufgefordert, auch etwas vorzusingen. "Ich habe sehr scheu angefangen, aber alle haben mitgesungen. Und da ist so ein Gefühl der Einigkeit entstanden - das war einfach klasse."

Fliegende Fäuste

Ein junger Mann geht in den Spagat
Akrobatik gehört mit zum Trainigsprogramm im Kosaken-VereinBild: DW / Sosnytska

Eine Mischung aus Kampfsport und Volksliedern macht den Kosakensport aus. "Freier, unabhängiger Mensch" bedeutet das Wort "Kosak" in den Türksprachen. Ursprünglich waren Kosaken aus der Leibeigenschaft geflohene Bauern, die sich in den Steppen im Südosten der heutigen Ukraine anzusiedeln begannen. Sie schlossen sich zusammen und bauten Festungen, denn das Leben in den dünn besiedelten Grenzgebieten bedeutete häufige Überfälle der Tataren und Türken. Die Kosaken wurden schnell zu geschickten Kriegern.

Im Russischen Zarenreich und erst recht in der späteren Sowjetunion verschwand die einstige Schicht der Kosaken, doch heute erlebt die Tradition des Kosakentums in der Ukraine eine Renaissance.

Singend laufen etwa 20 junge Menschen - alle unter 30 Jahren - im Kreis in der Sporthalle der Kiev-Mohyla-Akademie. Dass das Training hier etwas mit der Tradition des ukrainischen Kosakentums zu tun hat, ist nicht zu verkennen: Einige der Männer tragen traditionelle Kosakenkleidung, breite rote Stoffgürtel und voluminöse Kosakenhosen, die beim Laufen wie Segel um die Beine flattern. Einige haben auch Kosakenfrisuren - bis auf einen langen Zopf kahlgeschorene Köpfe.

Kondition und Akrobatik ein Muss

Die jungen Leute trainieren die Jahrhunderte alte kosakische Kampftechnik "Spas". Der Vorsitzende und Trainer des Vereins Vadym Vasylchuk erklärt: "Früher zielte diese Kampftradition darauf ab, in möglichst kurzer Zeit Soldaten auszubilden. Als es ständig Kriege gab, haben die Kosaken zu töten und zu überleben gelernt." Damals sei es nicht um sportliche Wettkämpfe gegangen, erläutert der Trainer. "Aber da man das heute nicht mehr braucht, wurde diese Kampftradition zu einer Sportart", sagt er. Unter den modernen Kosaken findet man heute auch Frauen. Früher war das Kosakenleben ein reines Männerprivileg.

Arme, Beine, Füße und Fäuste schwingen mit Wucht und beträchtlichem Tempo durch die Sporthalle. Der Trainingsablauf scheint allen Teilnehmern gut vertraut zu sein. Auf kurze Ansagen von Vadym machen die jungen Sportler immer wieder neue Übungen: Räder, Purzelbäume, Hochspringen, Krabbeln, Kriechen - und laufen, laufen, laufen. Sehr gute Kondition und akrobatische Fähigkeiten sind ein Muss. Nicht umsonst waren die Kosaken früher als ruhmreiche Krieger in ganz Europa bekannt.

Den Willen bezwingen

Trainer Vadym Vasylchuk beim Boxtraining mit zwei Kosaken
Kaum Einschränkungen bei Schlägen: Trainer Vadym Vasylchuk beim Boxtraining mit zwei seiner KosakenBild: DW / Sosnytska

Heutzutage gibt es überall in der Ukraine solche Kampfsportvereine für Kosaken des 21. Jahrhunderts. Die Tradition, die zu Sowjetzeiten verboten war, wird wiederbelebt. Den anderen Kampfkünsten stehe sie in nichts nach – davon ist der Trainer überzeugt: "Wir trainieren hier alle möglichen Techniken und bei uns gibt es kaum Einschränkungen für Schläge, da die Kosaken im Krieg universal kämpfen mussten." Deshalb müssten sie auch darauf achten, keine verbotenen Techniken einzusetzen, wenn sie zum Beispiel an Taekwondo oder Boxwettkämpfen teilnähmen, sagt Vadym.

Nach dem gründlichen Aufwärmen beginnt das gezielte Training. Die Gruppe teilt sich in zwei Hälften auf: Die eine zieht Handschuhe und einen Mundschutz an und fängt an, zu boxen. Die andere Hälfte übt Nahkampftechnik auf den Matten. Der Trainer geht in der Halle herum und gibt Tipps. Der sportliche Erfolg stehe dabei aber nicht im Vordergrund, meint Vadym Vasylchuk. Für ihn sei es eher ein Training für den eigenen Willen: "Alle Schritte sind so aufgebaut, dass man sich selbst überwinden muss, um etwas zu erreichen." Deshalb sage er auch jedem, der zum ersten Mal komme, dass er am falschen Platz sei, wenn es ihm nur darum ginge, eine Kampftechnik zu erlernen. Wenn er hingegen seinen Willen stärken wolle, sei er richtig: "Es ist wichtig, eine starke Persönlichkeit zu sein. Denn Kosaken waren immer Anführer", erklärt der Trainer.

Kampfsport und Kulturpflege

Die Vereinsmitglieder kümmern sich nicht nur um den Erhalt der ukrainischen Kampftradition, sondern pflegen auch alte Grabstätten, organisieren Festivals der ukrainischen Kultur und lernen Lieder. Der Mythos über die Kosaken als freie, stolze, tollkühne Ritter weckt Sympathien bei jungen Menschen, die nach der Sowjetepoche einen Anschluss an die nationale ukrainische Identität suchen. Das war auch der Ansporn für die 17-jährige Olena, in den Verein einzutreten: "Vielleicht könnte man es auch als Patriotismus bezeichnen. Die Geschichte darf man nicht vergessen, denn ohne sie gibt es auch keine Zukunft, keine Entwicklung des Staates. Das hier gehört jetzt zu meiner Lebensart."

Nach anderthalb Stunden harter Arbeit setzen sich die jungen ukrainischen Kosaken im Schneidersitz in einen Kreis und lassen das Training ausklingen – natürlich mit einem alten Kosakenlied.

Autor: Olga Sosnytska
Redaktion: Sandra Voglreiter