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Moldau Wahlen

17. November 2010

Am 28. November wird in der Republik Moldau ein neues Parlament gewählt. Viele Menschen sind enttäuscht von der Politik, es herrscht Wahlmüdigkeit. Die Annäherung an Europa - Traum oder Alptraum? Ein Stimmungsbild.

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Eine Frau auf einer Demonstration gegen die Kommunisten am 6. April 2009 (Foto: AP)
Viele sehen keine ZukunftBild: AP

Auf der breiten Hauptstraße brandet der Verkehr - Luxuslimousinen, altersschwache Trolleybusse, überfüllte Sammeltaxis. Die Menschen sind unterwegs nach Hause oder zum Einkauf, im Park tummeln sich Kinder, Jugendliche sitzen mit ihren Laptops auf den Bänken. Chisinau, vor den Parlamentswahlen: Vom Wahlkampf ist hier wenig zu spüren. Die Bevölkerung ist mit ihrem schwierigen Alltag beschäftigt, den gestiegenen Preisen oder den niedrigen Renten. Die Erwartungen an die Politik sind gering.

Eine bessere Zukunft

Hauptstraße in Chisinau im Oktober 2010 (Foto: DW/Andreas Bethmann)
Hauptstraße in ChisinauBild: DW/Andreas Bethmann

"Ich erwarte nichts, es gibt sowieso überall nur Betrug", sagt eine ältere Frau auf der Straße. "Mehr Gehalt und Rente, eine angemessene Existenz", wünscht sich eine andere. Und viele wollen einfach nur Stabilität und ein bisschen wirtschaftlichen Fortschritt. Die Stimmung schwankt zwischen Resignation und Hoffnung. Noch scheint alles möglich - ein Sieg der oppositionellen Kommunisten ebenso wie die Fortsetzung des bisherigen Regierungsbündnisses aus vier liberalen und demokratischen Parteien. Die Zustimmung zu den Kommunisten unter Führung von Ex-Präsident Vladimir Voronin ist nach wie vor groß, wohl auch, weil die regierende Allianz aus vier liberalen und demokratischen Parteien nicht alle ihre Versprechen einlösen konnte.

Wahlmüde und politikverdrossen

Drei Mal wurden die Wahlberechtigten innerhalb von eineinhalb Jahren an die Urnen gerufen. Im April 2009 kam es nach einer manipulierten Parlamentswahl zu schweren Unruhen, im Juli wurde erneut gewählt, die Kommunisten mussten die Macht an ein Bündnis aus vier bisherigen Oppositionsparteien abgeben.

Die innenpolitische Krise freilich hält an, ein Staatspräsident konnte vom Parlament immer noch nicht bestimmt werden, im September dieses Jahres scheiterte ein Referendum über die Wiedereinführung der Direktwahl des Präsidenten an der geringen Beteiligung.

Den wahlmüden Moldauern hält EU-Botschafter Dirk Schübel entgegen: "Ich glaube, dass ein Teil der Bevölkerung noch nicht genau verstanden hat, was für ein wichtiges demokratisches Mittel Wahlen sind. Jeder einzelne hat die Chance, seinen Kandidaten, seine Kandidatin, seine Partei zu unterstützen und damit aktiv am demokratischen Prozess teilzunehmen." Europa sei offen und bereit zu weiterer Zusammenarbeit. Allerdings müsse das kleine Land durch innere Reformen auch selbst für Fortschritte sorgen. Und das heiße: Kampf gegen Korruption, Reform des Justizsystems und auch eine Reform der aufgeblähten öffentlichen Verwaltung.

Chance Europa?

Karte Moldau, Moldawien, Rumänien, Ukraine (Grafik: DW)
Bild: AP Graphics/DW

Die Literaturwissenschaftlerin Christina Grossu unterrichtet Deutsch an der Universität in Chisinau. Sie ist skeptisch, ob ihre Landsleute wirklich bereit dazu sind. "Die meisten leben mit dem Gedanken, dass der Staat ihnen etwas schuldet. So lange man erwartet, dass jemand an unserer Stelle die Probleme löst, so lange wird sich nichts ändern."

Christina verdient als Universitätsdozentin umgerechnet 200 Euro monatlich - zu wenig, um eine Familie zu ernähren. Ebenso wie ihre Kollegen ist sie auf Nebenjobs - Dolmetschen oder Sprachen unterrichten - angewiesen. An den Schulen des Landes wird noch weniger bezahlt. Krankenhausärzte bekommen in Moldau etwa 250 Euro monatlich.

Das Land leidet unter einem massiven "brain-drain", der Abwanderung von Wissenschaftlern ebenso wie von jüngeren Fachkräften, die anderswo in Europa eine Chance suchen und häufig doch nur in untergeordneten Tätigkeiten auf dem Schwarzmarkt landen.

Der Handel mit gefälschten Pässen blüht, wer zwei- oder dreitausend Euro bezahlen kann, erwirbt damit eine Art Freifahrschein in den Westen. Hunderttausende haben das Land bereits illegal Richtung Westen verlassen - sie überweisen viel Geld an ihre in Moldau zurückgebliebenen Angehörigen. Manche sagen kritisch, es habe sich im Land unterdessen eine regelrechte Nehmer-Mentalität entwickelt, eine ungute Abhängigkeit von den Überweisungen aus dem Westen, die eigene Bemühungen um Arbeit und Einkommen konterkarierten.

Europa - Traum oder Alptraum?

Moldawiens Jugend steht für den EU-Beitritt des Landes (Foto: DW/Julia Semenova)
Moldawiens Jugend steht für den EU-Beitritt des LandesBild: Julia Semenova

Für junge Leute bleibt das westliche Europa dennoch ein Traum. Fast alle von Christina Grossus Studenten haben nur ein Ziel: Ein Stipendium, eine Arbeitsmöglichkeit in Deutschland: "Aber die meisten wissen überhaupt nicht, was das Leben in einem europäischen Land bedeutet. Deutschland ist für sie die Verkörperung von Reichtum, Wohlstand - dass man dort auch arbeiten und sich anstrengen muss, ahnen sie nicht. Weil sie Deutschland nur aus dem Fernsehen und aus Filmen kennen. Für sie ist es ein Traum."

Marian zum Beispiel, ein junger Journalist. Er setzt große Hoffnungen auf eine Annäherung seines Heimatlandes an die EU. Von den damit verbundenen Visa-Erleichterungen verspricht er sich "eine bessere Wirtschaft, Fortschritte in der Bildung und der Ausbildung, kulturelle Impulse und eine bessere berufliche Entwicklung".

Andere fürchten eher Probleme für die ohnehin am Boden liegende heimische Wirtschaft. Marians Kollegin Natalia aus der autonomen Region Gagausien im Süden des Landes glaubt zwar auch, dass Europa viele neue Möglichkeiten bietet, aber sie macht sich eher Sorgen um die Zukunft. "Die Öffnung der Grenze für unsere Bevölkerung wird dazu führen, dass nur wenige der 25-30-Jährigen hier zurückbleiben. Wenn sie sehen, wie es in Europa ist, werden sie dorthin gehen, wo es besser ist. Ich habe, ehrlich gesagt, auch selbst schon mit diesem Gedanken gespielt."

Noch viel zu tun

Von Träumereien hält EU-Botschafter Dirk Schübel erkennbar wenig. Er betont: Trotz aller Fortschritte - die Republik Moldau habe noch einen langen Weg vor sich. Die Reisefreiheit liegt demnach wohl noch in weiter Ferne. "Da gibt es noch viel, viel Arbeit zu erledigen. Das betrifft das Grenzkontrollsystem, die Sicherheitskontrollen, die Sicherheit innerhalb des Landes, die Dokumentensicherheit; das heißt, wir wollen in Moldau helfen, auch nur biometrische Pässe ausgeben zu können ab dem 1. Januar 2011. All das sind wichtige Fragen, die erst gelöst werden müssen, bevor wir an eine Visafreiheit denken können."

Europa bleibt dennoch Ziel vieler Wünsche. Für Ludmila zum Beispiel: "Ich habe einen Traum: Ich weiß, in Deutschland gibt es viele Rundfunkstationen, ich bin Journalistin und möchte ein Praktikum im deutschen Radio machen."

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Gero Rueter