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Momentaufnahmen

Jörg Harder22. Februar 2013

Eine US-Amerikanerin in Berlin: Im Martin-Gropius-Bau sind jetzt Werke der stilprägenden Fotojournalistin Margaret Bourke-White zu sehen. Sie steht in einer Reihe mit Größen wie Robert Capa und Henri Cartier-Bresson.

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Fotografien der Fotografin Margaret Bourke-White im Martin-Gropius-Bau (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Man kann es als surreale Fußnote der Kulturgeschichte sehen: nur ein paar hundert Meter entfernt vom Martin-Gropius-Bau, an der Ruine des alten Berliner Fernbahnhofs, hat die Amerikanerin Margaret Bourke-White im Sommer 1945 ausgemergelte Menschen fotografiert, für eine Reportage über das Überleben im kriegszerstörten Deutschland. Auf den Bildern klammern sich Zivilisten der geschundenen Hauptstadt an überfüllte Waggons. Sie wollen ins Umland, um ein paar letzte Habseligkeiten gegen Nahrungsmittel zu tauschen.

Hellwache Beobachterin

Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin zeigt Fotografien von Margaret Bourke-White aus den Jahren 1930 bis 1945. Eine hellwache Beobachterin war diese Frau, die sich Mitte des letzten Jahrhunderts ganz selbstverständlich in der Männerdomäne Pressefotografie bewegte.

Ihre Bilder bezeugen den rasanten industriellen Aufbau in den USA und in der Sowjetunion, sie dokumentieren Deutschland vor Hitler, den Zweiten Weltkrieg bis zur Befreiung der Konzentrationslager. In vielen entscheidenden Momenten ist die Fotografin am richtigen Ort. Mitten im Geschehen, sogar im Kriegsgeschehen. Legendär sind die Bilder von ihr als Fotoreporterin in Fliegermontur während eines Bombereinsatzes im Zweiten Weltkrieg. Als Auge, das all das sieht, was später zu Geschichte gerinnen wird.

Margaret Bourke-White mit Offizieren des 8. Air Force Bomber-Kommandos (Foto: Time & Life / Getty Images)
Margaret Bourke-White in einer Uniform der Air ForceBild: Time & Life/Getty Images

Margaret Bourke-White wird 1904 in der New Yorker Bronx geboren. Ihre Eltern glauben an gleiche Bildungschancen für Jungen und Mädchen und fördern sie tatkräftig. Die junge Frau studiert Kunstgeschichte, Reptilienkunde, Zoologie. Eines Tages bekommt sie von ihrer Mutter eine gebrauchte Ica Reflex Kamera geschenkt. Mit ihr hält sie das Campusleben fest und verkauft die Fotos an Mitstudierende. Fotokurse an der Uni tun ein Übriges, aus dem Hobby wird Beruf. Denn Margret Bourke-White entwickelt die Gabe, Flüchtiges zeitlos zu verdichten.

Neue Zeiten

In Cleveland/Ohio entwickelt sie als selbstständige Werbe- und Architekturfotografin eine Vorliebe für Technik und Maschinen, für  Eisen, Stahl, Beton. Ihre Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Stahlhütte in Pittsburgh/Pennsylvania, der Generatoren in einem Elektrizitätswerk, der Entrindungsmaschine in einem Papierwerk sind streng sachliche Ikonen eines Fortschrittsglaubens durch Technik, eines Aufbruchs in eine neue Zeit.

Auch ihr persönlicher Aufstieg geht weiter. Sie wechselt ins Fotografenteam des Magazins "Fortune", kann reisen, auch nach Europa. Immer auf der Suche nach neuen Entwicklungen will sie den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel in der Sowjetunion vom Agrarland zur Industriemacht abbilden. Die anfangs unwilligen Funktionäre des Sowjetreichs gestatten ihr 1930 als erster Ausländerin, Aufnahmen der bislang streng abgeschirmten Industrieanlagen zu machen. Es entstehen Aufnahmen von Großprojekten, der Brücke über den Dnjepr, von Eisen- und Stahlwerken in der neu gegründeten Stadt Magnitogorsk, von der Kohleförderung im Donezkbecken. Kräne, Turbinen, Traktoren und Landmaschinen faszinieren Margaret Bourke-White, aber nun treten in ihren Bildern auch die Menschen stärker hervor, die in den Fabriken und auf dem Land arbeiten.

Russischer Arbeiter auf dem Generatorengehäuse des Dnjeprostroj-Wasserkraftwerks (Foto: Time & Life / Getty Images)
Russischer Arbeiter auf einem GeneratorengehäuseBild: Time & Life/Getty Images

Kriegsberichterstatterin

Mehrmals bereist sie die Sowjetunion, so auch im Sommer 1941, als Hitler das Land überfällt. Als einzige ausländische Fotografin wird sie Zeugin der Bombardierung Moskaus durch die Deutschen. Vom Dach der amerikanischen Botschaft macht sie "Schnappschüsse" des Bombenhagels auf den Kreml, trotz des Verbots zu fotografieren.

Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg wird Margaret Bourke-White die erste weibliche Kriegsberichterstatterin der US-Armee. Als Akkreditierte fotografiert sie Anfang 1943 die US-Bombardierungen auf deutsche Stellungen in Nordafrika und begleitet später die alliierten Truppen bei der Landung in Süditalien.

Im März 1945 fliegt sie nach Frankfurt am Main, begleitet den Kommandeur der dritte US-Armee, dessen Truppen am 11. April 1945 das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar befreien. Mit ihrer Kamera hält sie das Grauen fest: Überlebende, die auf Holzpritschen liegen, hagere Menschen in Sträflingskleidung - hinter Stacheldraht, mit leerem Blick. Und aufgestapelte Leichen. Weimarer Bürger wurden gezwungen, jene Verbrechen in Augenschein zu nehmen, die in ihrem Namen von den Nazis begangen wurden. Bourke-Whites Aufnahmen zeigen Fassungslosigkeit, aber auch Abwehr in ihren Gesichtern. Ihr Foto-Bericht dient den US-Anklägern später als dokumentarisches Material in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen. 

Margaret Bourke-White: Menschen an den Bahngleisen im kriegszerstörten Anhalter Bahnhof (Foto: Time & Life / Getty Images)
Am zerstörten Anhalter BahnhofBild: Time & Life/Getty Images

Pionierin

Margaret Bourke-White (1904-1971) war in der männlich dominierten Welt der Pressefotografie Amerikas eine Pionierin, ein "Medienstar". Furchtlos und zielstrebig überwand sie als erste Frau viele gesellschaftliche Barrieren, um, wie sie es selbst sagte, "dabei zu sein, wenn Geschichte geschrieben wird". Heute bringt sie uns wichtige Stationen der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts mit kühler, eindringlicher Präsenz nahe. Rund 150 ihrer Aufnahmen, Briefe und Zeitschriften sind im Martin-Gropius-Bau in Berlin noch bis zum 14. April 2013 zu entdecken.