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"Morast der Gewalt"

21. Juli 2010

Die Ergebnisse der Afghanistan-Konferenz von Kabul ist an diesem Mittwoch (21.07.) Thema auf den Kommentarseiten der europäischen Tageszeitungen.

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Titelseiten diverser Tageszeitungen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die linksliberale "Frankfurter Rundschau" kommentiert:

"Erst einmal wird es schlimmer werden, bevor es besser wird. Diese Prognose hat der inzwischen in Ungnade gefallene US-General Stanley McChrystal im vergangenen Jahr für Afghanistan ausgegeben. Zumindest mit dem düsteren Teil seiner Voraussage hat er recht behalten. (...) Im Jahr 2014 sollen die Afghanen selbst in der Lage sein, überall in ihrem Land für Sicherheit zu sorgen. (...) So verständlich der Wunsch der Nato-Staaten ist, der wachsenden Ungeduld in ihren Heimatländern endlich ein konkretes Abzugsdatum in Aussicht stellen zu können, so unaufrichtig ist dieses Datum. Schon heute spricht sehr viel dafür, dass sich dieser Termin nicht wird halten lassen. (...) Als US-Präsident Barack Obama beschloss, seine Truppen massiv aufzustocken, wiederholte er 2009 den altbekannten Fehler, indem er den Truppenzuwachs erneut mit einem unhaltbaren Versprechen verknüpfte: innerhalb von nur 18 Monaten mit dem Abzug der US-Soldaten zu beginnen. Die USA haben bis heute, bis Juli 2010, nicht einmal alle neuen 30000 Soldaten nach Afghanistan verlegt, die sie von Juli 2011 an angeblich schon wieder zurückziehen wollen. Der Abzugstermin hat also nichts mit den Realitäten am Hindukusch zu tun, sondern viel mit den Kongresswahlen 2011 in den USA."


In der Zeitung "Die Presse" aus Wien heißt es:

"Bei der Afghanistan-Konferenz in Kabul ging es vor allem um Symbolik; darum, zu signalisieren, dass sich Afghanistans Regierung in der Lage sieht, ab 2014 im ganzen Land allein für Sicherheit zu sorgen. Auch den Taliban ging es um Symbolik: Vor Konferenzbeginn schlugen ihre Raketen nahe des Kabuler Flughafens ein und verhinderten - vorübergehend - die Landung internationaler Gäste. Viel deutlicher hätte die Botschaft nicht ausfallen können. Ob die Führung in Kabul in vier Jahren tatsächlich das gewaltige Land zu kontrollieren vermag, ist fraglich. Der diesbezügliche Optimismus der Nato-Staaten ist vor allem Zweckoptimismus: Denn sie wollen endlich raus aus Afghanistan. Und ein ehrenvoller Truppenrückzug ist nur möglich, wenn Afghanistans Armee ohne Hilfe zehntausender ausländischer Soldaten die Taliban in Schach halten kann."


Die linksliberale britische Zeitung "The Guardian" schreibt:

"Die Kabuler Konferenz, von einem Treffen führender Außenminister begleitet, verdeutlichte das Maß internationaler Sorge über die Zukunft von Afghanistan. Teilnehmer akzeptierten 2014 als Zeitmarke für die Afghanen, Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen. Davor muss aber einiges passieren, um dies möglich zu machen. Afghanistan ist ein Schlamassel, den jeder aufgeräumt haben will. Das Problem ist aber, wie das geschehen soll. (...) Das Gleichgewicht zwischen militärischen und politischen Maßnahmen muss sich grundlegend ändern. Nach 30 Jahren des Konflikts hat die Mehrheit der Afghanen keine Erfahrung mit Frieden. Wenn die Lage sich nicht ändert, wird Afghanistan ein gescheiterter Staat, ein Morast der Gewalt und eine Bedrohung für die Weltsicherheit."


Die liberale Turiner Tageszeitung "La Stampa" schreibt:

"Auf den Vorschlägen von Präsident Hamid Karsai und der internationalen Gemeinschaft lastet jedenfalls die Ungewissheit einer Sicherheitslage, die prekär bleibt. Das zeigt die Höchstzahl an NATO-Opfern im Juni (103, davon 60 Amerikaner). Und das bewies sich selbst am Tag der Konferenz, als auf dem Flughafen von Kabul ein Regen von Taliban-Raketen die Ankunft von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verzögerte. Die Guerilla liest die Nachrichten von der Konferenz in Kabul zum Übergang der Kontrolle an die Afghanen als Schwächung der NATO-Unterstützung für Karsai, und die Nummer Zwei von Al Kaida konnte so am Konferenztag verkünden, man stehe jetzt vor dem Sieg."

Die unabhängige französische Tageszeitung "Le Monde" kommentiert:

"Seit 2001 versuchen die westlichen Regierungen in Afghanistan, eine Nation aufzubauen. "Nation building" ist jedoch eine komplizierte Angelegenheit. Es bedeutet, eine Zentralverwaltung aufzubauen, wo Chaos herrscht und eine möglichst demokratische Regierung einzurichten, wo es keine gibt. Doch der Aufbau einer Nation erfordert Zeit und viel Geld. Es werden noch viele Jahre vergehen, bis in Kabul eine Zentralregierung agiert, die diesen Namen verdient. Im Irak ist der von George W. Bush gewollte Aufbau der Nation eine historischer Fehlschlag geworden: in Bagdad gibt es immer noch keine Zentralregierung. In Afghanistan gibt es Fortschritte und vielleicht eine Hoffnung."

Autorin: Esther Broders
Redaktion: Anne Herrberg