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Mord auf offener Straße

12. Juli 2004

Der Chefredakteur der russischen Ausgabe des US-Magazins "Forbes", Pawel Chlebnikow, ist in Moskau erschossen worden. Kritische Berichte über Russlands Oligarchen sind nach wie vor lebensgefährlich.

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Pawel Chlebnikow war offenbar einigen "Neuen Russen" ein Dorn im AugeBild: AP


Die Lobeshymnen von Bundeskanzler Gerhard Schröder auf die "Stabilität" in Russland waren kaum 24 Stunden verklungen, als am Abend des 9. Juli 2004 in Moskau gezielte Schüsse Paul Chlebnikov töteten. Der 41-jährige US-Journalist russischer Abstammung hatte über Jahre die Machenschaften skrupelloser Großindustrieller und korrupter Politiker in Russland angeprangert. Er hatte wiederholt den russischen Finanzmagnaten Boris Beresowki angegriffen und ein Enthüllungsbuch über ihn veröffentlicht.

Enthüllungsjournalismus

In seinem Buch "Der Pate des Kreml" beschrieb Chlebnikow den Einfluss schwerreicher Wirtschaftsbosse auf die russische Politik unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin. Beresowski fiel später unter Präsident Wladimir Putin in Ungnade und floh vor der russischen Justiz nach London, wo er heute lebt. In Reaktion auf die Ermordung Chlebnikows sagte Beresowski, der Journalist habe Fakten sehr willkürlich wiedergegeben, andere schlicht erfunden.

"Es scheint, dass das jemandem sehr missfallen hat", so Beresowski. Mit einem Knaller hatte Chlebnikov im April 2004 das "Forbes"-Magazin auf dem russischen Markt eingeführt. Seine Aufzählung der 100 reichsten Russen sorgte für Furore und reichlich böses Blut. Zuvor hatte es in Russland niemand gewagt, derart ausführlich die scheuen Neureichen an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren. So wurden zahlreiche russische Geschäftsleute bekannt, die ihren Namen lieber nicht in der Öffentlichkeit gesehen hätten.

Auftragsmord ziemlich wahrscheinlich

Wer sich wie Chlebnikov den Reichen und Mächtigen Russlands in den Weg stellt, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Dieses ungeschriebene Gesetz hat auch im fünften Jahr unter Wladimir Putin noch Bestand: Die Polizei geht von einem Auftragsmord aus. Augenzeugen zufolge schoss ein Mann auf Chlebnikow, als er sein Büro im Nordosten der russischen Hauptstadt verließ und zur U-Bahn ging. Der Journalist blieb von vier Kugeln verletzt liegen. Sein Mörder entkam in einem dunklen Wagen, den ein Komplize steuerte.

Passanten alarmierten auf Chlebnikows Bitte hin einen Freund, der ihn auch noch kurz befragen konnte. Der Journalist starb auf dem Weg in ein Krankenhaus. Er hinterlässt seine italienische Ehefrau und drei Kinder. "Paul war sicherlich kein unumstrittener Star unter den Journalisten", sagt ein Kollege vom Verband für Extremjournalismus in Moskau über Chlebnikov. Doch dessen Kritik an den Geschäften zwischen Kapital und Kreml fand Gehör. Die Moskauer Medien betrachteten Chlebnikow nicht als Emigranten russischer Abstammung, sondern als einen Landsmann.

Die stumme Macht

Die jüngste Ausgabe des russischen "Forbes"-Magazins gibt ein treffendes Bild vom Wirken ihres Chefredakteurs wieder. "Kartelle und Monopole erwürgen die Ökonomie", titelt das von Axel Springer Russia herausgegebene Journal. Die angeprangerte Übermacht der Monopolisten bekam auch ein deutsches Unternehmen in Begleitung von Kanzler Schröder Anfang Juli in Moskau zu spüren.

Der Technologiekonzern Linde wollte im Beisein von Putin und Schröder einen Vertrag über die Lieferung einer Chemieanlage im Wert von 1,3 Milliarden Euro an einen privaten Gasförderer an der Wolga besiegeln. Der Abschluss kam nach Angaben aus Delegationskreisen nicht zu Stande, weil der russische Geschäftspartner auf Druck des staatlich kontrollierten Quasimonopolisten Gazprom ausgeladen worden war. Der Kanzler blieb dennoch voll des Lobes über die Reformpolitik, mit der Putin "das Vertrauen der ausländischen Investoren" zurückgewonnen habe.

Aufklärung unwahrscheinlich

Bislang spricht in Moskau nicht viel dafür, dass die Ermittler tatsächlich den oder die Mörder Chlebnikovs und die Auftraggeber der Bluttat finden werden. Russlands korruptes Justizsystem gilt auch deshalb als äußerst uneffektiv, weil unzählige Personen in Politik, Wirtschaft und in den Behörden den Fortgang von Ermittlungen beeinflussen können. Dass zu dieser Gruppe auch die 100 reichsten Russen gehören, steht in der russischen Hauptstadt außer Frage. (arn)