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Moskau droht Tbilissi mit Militäreinsatz in der Pankisi-Schlucht

12. September 2002

- "Russland schlägt den USA einen Handel vor: Irak im Tausch gegen Georgien"

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Moskau, 11.9.2002, Offizielle Internet-Seite des Präsidenten Russlands, KOMMERSANT

Offizielle Internet-Seite des Präsidenten Russlands, russ., 11.9.2002

Erklärung des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin

Sotschi, Botscharow rutschej

11. September 2002

Heute, am 11. September, da die ganze Welt von der Tragödie in den USA im letzten Jahr und Tausenden unschuldigen Menschen spricht, die damals bei den Terroranschlägen ums Leben kamen, und wir hier in Russland Hunderter unserer Landsleute gedenken, die zu Opfern der Terroristen infolge der Explosionen in Wohnhäusern und anderer Verbrechen wurden, ist es besonders angebracht und zeitgemäß, noch einmal die Situation um die Gewährleistung der nationalen Sicherheit zu analysieren. Quelle des Extremismus und Terrorismus war auf dem Territorium unseres Landes lange die Tschetschenische Republik, in der internationale terroristische Organisationen, darunter auch die allgemein bekannte "Al-Qaida", ihre Tätigkeit in vollem Umfang entfaltet haben.

Natürlich gibt es in Tschetschenien auch heute noch viele ungelöste politische und soziale Probleme. Die Banditen sind noch imstande zu handeln und aus dem Hinterhalt zuzuschlagen. Den Banditenverbänden wurde jedoch ein starker, ein spürbarer Schlag versetzt. Alle Infrastrukturen des internationalen Terrorismus wurden dort vernichtet.

Ein Grund, weswegen die effektive Bekämpfung des Terrorismus erschwert wird, besteht darin, dass es in einzelnen Teilen der Welt weiterhin Enklaven gibt, die nicht der Kontrolle der nationalen Regierungen unterstehen, der Regierungen, die wegen ganz verschiedener Umstände der terroristischen Gefahr nicht die Stirn bieten können oder wollen.

Ein solcher Ort sind die Pankisi-Schlucht und andere Abschnitte benachbarter Territorien an der Staatsgrenze zwischen Georgien und Russland. Die Situation dort ruft besondere Besorgnis bei Russland hervor. Die Lage in dieser Region schadet seit langem den Beziehungen zu einem Land, mit dessen Volk uns nicht nur die gemeinsame Geschichte und moralische Werte, sondern auch gegenseitige Sympathie und Respekt verbinden. Andernfalls würden Hunderttausende Georgier heute nicht in allen Regionen Russlands leben und arbeiten.

Seit 1999, als wir der Führung Georgiens vorschlugen, gemeinsam etwas zu unternehmen, um das Vordringen von Kämpfern aus Tschetschenien nach Georgien zu verhindern, und bis zu den Ereignissen der letzten Zeit versucht Russland geduldig und hartnäckig, das Zusammenwirken mit den offiziellen Machtorganen in Tbilissi bei der Bekämpfung des Terrorismus in Gang zu bringen. Die Bewertungen und das Herangehen der georgischen Seite an die Ereignisse in der Pankisi-Schlucht haben sich in dieser Zeit rapide geändert: von der absoluten Leugnung der Präsenz internationaler Terroristen auf ihrem Territorium bis zum bedingungslosen Geständnis, dass es diese hier gibt.

Heute kann niemand leugnen, dass sich auf dem Territorium Georgiens sowohl diejenigen verschanzt haben, die etwas mit der Vorbereitung der Terroranschläge in den USA vor einem Jahr zu tun hatten als auch die unmittelbaren Verantwortlichen für die Häuserexplosionen in der Russischen Föderation. Dessen sind wir uns heute absolut sicher, das wird auch durch ausländische Informationsquellen bestätigt. Wir fordern, diese unverzüglich auszuliefern. Aber uns werden vorläufig nicht nur diese nicht ausgeliefert, sondern auch die bewaffneten Banditen, die von den georgischen Machtorganen nach dem Ende Juli dieses Jahres gescheiterten Versuch festgenommen wurden, nach Russland vorzudringen.

Geduldig warteten wir auch auf Ergebnisse der sogenannten antikriminellen Operation.

Es wird nicht geleugnet, dass sich auf dem Territorium Georgiens Hunderte Terroristen und gesetzwidrige bewaffnete Verbände befinden, die übrigens aus Bürgern ganz verschiedener Staaten bestehen. Es wird zugegeben, dass eine Sonderoperation durchgeführt werden muss, um dort Ordnung herzustellen. Es gibt jedoch weder die Terroristen, die dort eingekesselt wurden, noch die festgenommenen und vor Gericht gestellten Kämpfer oder die aus Georgien ausgewiesenen Banditen. Natürlich taucht bei uns die Frage auf: "Wo sind sie?"

Die Antwort ist bekannt: sie haben sich in andere Regionen Georgiens entlang der Grenze zu Russland begeben, bereiten sich auf neue Verbrechen vor.

Russland hält streng seine internationalen Verpflichtungen ein, respektiert die Souveränität und Integrität anderer Staaten, verlangt jedoch gleiches Verhalten ihm gegenüber.

Sollte es der georgischen Führung nicht gelingen, eine Sicherheitszone in der Gegend der georgisch-russischen Grenze zu bilden, sollte sie weiterhin die Resolution 1373 des UNO-Sicherheitsrates vom 28. September 2001 ignorieren, die Überfälle der Banditen auf benachbarte Regionen Russlands nicht unterbinden, behalten wir uns das Recht vor, entsprechend dem Artikel 51 des UNO-Status vorzugehen, der jedem UNO-Mitgliedsstaat das unveräußerliche Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung einräumt.

In diesem Zusammenhang bitte ich den Direktor des Föderalen Grenzdienstes, den Verteidigungsminister und den Direktor des Föderalen Sicherheitsdienstes zu berichten, wie meine Aufträge zur Festigung der südlichen Grenzen Russlands umgesetzt werden. Ich bitte darum, Maßnahmen für den zusätzlichen Schutz der Staatsgrenze zu erarbeiten und vorzuschlagen. Ich bitte das Verteidigungsministerium zusammen mit anderen Machtbehörden, Vorschläge über Sonderoperationen zu unterbreiten, die auf die Vernichtung von Banditenverbänden im Falle wiederholter Versuche der Terroristen, auf unser Territorium vorzudringen, gerichtet werden können.

Ich bitte den Generalstab, mir Vorschläge zu machen, ob es möglich und zweckdienlich ist, Rebellenstützpunkte anzugreifen, die in Geheimdienstoperationen zuverlässig als solche identifiziert wurden.

Das Außenministerium wird beauftragt, den UNO-Sicherheitsrat und den Generalsekretär dieser Organisation, die ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates und unsere Partner in der antiterroristischen Koalition über unsere Besorgnisse und die Verletzung der antiterroristischen Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates durch Georgien in Kenntnis zu setzen.

Ferner werde ich die Vorsitzenden beider Kammern der Föderalversammlung bitten, entsprechende Arbeit auf der Ebene der Beziehungen zu anderen Parlamenten durchzuführen, darunter auch der Beziehungen zum Parlament Georgiens selbst.

Ich rechne stark damit, dass es uns beim bevorstehenden Treffen mit dem Präsidenten Georgiens, Eduard Schewardnadse, Anfang Oktober dieses Jahres in Chisinau gelingen wird, konkrete gemeinsame Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu erarbeiten.

Und noch etwas. All das wird nicht benötigt werden, keine Maßnahmen und Spezialeinsätze werden nötig sein, falls die georgische Führung ihr eigenes Territorium tatsächlich kontrollieren, ihre internationalen Verpflichtungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus erfüllen und mögliche Angriffe internationaler Terroristen von ihrem Gebiet gegen die Russische Föderation verhindert. (lr)

KOMMERSANT, russ., 12.9.2002, Gennadij Syssojew, Iwan Safronow, Georgij Dwali, aus Tbilissi

Russland hat gestern (11.9.) bekanntgegeben, dass es möglicherweise gegen Georgien militärisch vorgehen wird. Präsident Wladimir Putin stellte Tbilissi ein Ultimatum: entweder liefert Georgien die tschetschenischen Kämpfer aus, die sich auf dessen Territorium aufhalten, oder Russland greift die Stützpunkte der Terroristen an. Auf diese Weise hat Moskau sich entschieden, gegenüber Georgien ähnlich vorzugehen wie die USA gegen den Irak. (...)

In Georgien wurde die Erklärung von Putin als geheime Kriegserklärung bewertet. Präsident Eduard Schewardnadse trommelte dringend die Führung des Landes zusammen. Es wurde bis tief in die Nacht beraten. Eine Quelle des georgischen Generalstabs erklärte einem "Kommersant"-Korrespondenten, sollte Russland die Pankisi-Schlucht bombardieren, wird es auf Widerstand stoßen. Ferner fügte sie hinzu: "In der Pankisi-Schlucht halten sich derzeit keine Kämpfer auf, es sind lediglich friedliche Tschetschenen sowie Angehörige der Innentruppen Georgiens."

Auf diese Weise hat die seit Monaten andauernde Konfrontation zwischen Russland und Georgien gestern ihren Höhepunkt erreicht. Zwei benachbarte Staaten stehen am Rande eines militärischen Konfliktes. Moskau hat klar zu verstehen gegeben, dass seinen Warnungen und Drohungen Taten folgen werden.

Moskau hat ganz bewusst den 11. September gewählt, um Tbilissi ein Ultimatum zu stellen. Und das nicht nur, weil gestern der erste Jahrestag der Terroranschläge in New York und Washington begangen wurde. Heute wird US-Präsident George Bush bei der UNO ultimativ, wie auch Wladimir Putin gestern, Bagdad auffordern, die Rückkehr der internationalen Inspekteure zuzulassen. Saddam Hussein wird maximal einen Monat Zeit bekommen. Sollten vor Ablauf dieser Zeit die Inspekteure nicht ins Land zurückkehren, werden die USA den Irak angreifen.

In Moskau versteht man, dass dessen (und nicht nur dessen) äußerst negatives Verhalten gegenüber den Plänen der USA, eine Militäroperation gegen den Irak durchzuführen, die Amerikaner nicht stoppen wird. Irak wird ein Schlag versetzt werden, das Saddam-Regime wird aller Wahrscheinlichkeit nach fallen. Moskau hat sich entschieden, die Nachteile der entstandenen Situation in Vorteile zu verwandeln.

Russland schlägt den USA einen Handel vor: Irak im Tausch gegen Georgien. Der Kreml hindert das Weiße Haus nicht daran, mit dem Irak Tacheles zu reden; das Weiße Haus drückt die Augen bei Plänen des Kremls mit Georgien zu. Zumal diese Pläne ähnlich begründet werden wie die amerikanischen Vorschläge zur Lösung des Irak-Problems. Und außerdem verstecken sich in Georgien Leute, die an Terroranschlägen nicht nur in Moskau, sondern auch in den USA beteiligt waren. Dieser Logik ist nicht zu widersprechen. George Bush hat mehrfach wiederholt, dass Terroristen überall verfolgt werden müssen, wo immer sie sich aufhalten.

Der Refrain "Irak im Tausch gegen Georgien" war gestern Abend auch beim russischen Generalstab zu vernehmen. Gut informierten Quellen von "Kommersant" zufolge hat der Generalstab bereits am Sonntag dem Präsidenten den Gedanken über eine Sonderoperation unterbreitet. Wladimir Putin habe sich gestern detailliert damit auseinandergesetzt und den Plan gebilligt. (...) (lr)