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Straßenmusik beim TFF

15. Juli 2009

Das große Tanz- und Folkfestival in Rudolstadt lockt jedes Jahr auch Straßenmusiker von nah und fern. Ein Bericht über die Musiker ohne Bühne und den Reiz der Straße.

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Die Gruppe '?Shmaltz!' begeistern mit ihrer ganz eigenen musikalischen Vermischung der Kulturen. (Foto Matthias Mayr)
Die Truppe "?Shmaltz!" spielen Tanzmusik im besten Sinne - wild, quer und gutBild: Matthias Mayr

Umringt von Publikum sitzt Cosmo W. Pepper mitten auf der Einkaufsstraße und säuselt süße Töne – mit einer Säge. Seine linke Hand streicht einen Geigenbogen über die Sägeblattkante, die Rechte biegt das Blatt mit viel Geschick und erzeugt so die unterschiedlichen Tonhöhen. Die singende Säge ist ein Hingucker und ein Hinhörer, wenn man sie so kunstvoll zu spielen weiß, wie Cosmo. Zusammen mit seiner Band "?Shmaltz!" ist der Berliner Musiker auf Einladung des TFF Rudolstadt angereist, um an dem Straßenmusikprogramm auf den kleineren Bühnen teilzunehmen. Die Gruppe lässt es sich jedoch nicht nehmen, auch abseits des offiziellen Programms ihre wilde Mischung aus Cajun-Musik, Klezmer und Balkan-Beats unters Volk zu bringen. Und natürlich ihre CD’s zu verkaufen, die sie neben dem obligatorischen Hut in einem offenen Gitarrenkoffer feilbietet.

Hohe Kunst für schmales Geld

Drei junge Nachwuchsmusikerinnen bessern ihr Taschengeld auf. (Foto Matthias Mayr)
Junge Musikerinnen ohne LampenfieberBild: Matthias Mayr

Auch wenn die Bandmitglieder auf einem hohem Niveau musizieren, von der Straßenmusik leben könnten sie nicht: "Wir haben an den drei Tagen hier jetzt soviel eingenommen, wie an einem guten Konzertabend", erklärt der Berliner Musiker und fügt hinzu, dass die Einnahmen in den letzten Jahren allgemein etwas zurückgegangen seien und auch die anderen Straßenbands weniger CD’s verkaufen würden. Deshalb haben die meisten Musiker von "?Shmaltz!" noch weitere musikalische Projekte und verdienen ihr Geld vor allem bei Konzerten mit fest ausgehandelten Gagen oder betreiben Musik als leidenschaftliches Hobby neben anderen Jobs.

Offene Ohren

Wirklich davon leben, das wollen und können wohl nur die allerwenigsten Straßenmusiker. Es ist vor allem die Lust am Musizieren und an den direkten Begegnungen mit fremden Leuten, die für Menschen wie Cosmo den Reiz der Straße ausmacht. Das Geldverdienen ist für ihn auch gar nicht das Ziel hier in Rudolstadt. Cosmo genießt vor allem das besondere Flair des Festivals. "Wir haben die letzten Tage viele Male auf der Straße gespielt und tolle Erlebnisse gehabt. Die Leute sind total gemischt und musikalisch interessiert. Die hören wirklich zu und wissen es zu schätzen, wenn jemand mit Leidenschaft und Herzblut seine Sache macht", beschreibt Cosmo seine Erfahrungen.

Von nah und fern nach Rudolstadt

Die Brass-Band "de Tegenwind" hat viele hundert Kilometer aus dem niederländischen Utrecht zurückgelegt, um mit dabei zu sein. Das Trio "Que Passa", welches unter einem idylischen Baum sitzend die Zuschauer mit wunderbar gespieltem Flamenco-Jazz betört, kommt ursprünglich aus Krakau. Die drei jungen Männer befinden sich eigentlich auf der Durchreise nach Italien, wo sie eine längere Tour erwartet. Rudolstadt lag ihnen sozusagen auf dem Weg und da haben sie nicht lange gezögert und Halt gemacht.

Das Trio 'Que Passa' aus Krakau spielt romantische Flamenco-Klänge. (Foto Matthias Mayr)
"Que Passa" aus Krakau üben schon mal für die Tour durch ItalienBild: Matthias Mayr

Und ewig lockt die Straße

Mit Musik auf die Straße zu gehen, das bedeutet auch immer, eigene Scheu zu überwinden und auf eine Reise voller Überraschungen und Abenteuern zu gehen. Straßenkunst funktioniert anders als der Auftritt auf einer Bühne. Man muss sich sein Publikum erst erspielen und sich gegenüber dem Lärm und der allgemeinen Geschäftigkeit durchsetzen. Es gibt keine ausgemachte Trennung von Bühnen- und Publikumsraum. Ein Tanz mit den Zuschauern oder spontanes Mitmusizieren von Fremden, alles ist möglich. Mit der Zeit bekommt man ein Gespür für die besten Tageszeiten und die richtige Platzierung. Oft spielen Straßenmusiker unter Torbögen oder in Passagen, die als architektonische Klangverstärker fungieren. Um die Aufmerksamkeit der Leute zu bekommen, versucht jeder, sich etwas besonderes einfallen zu lassen – ein schräges Outfit, laute Ankündigungen, lustige Instrumente Marke Eigenbau…

Mit Musik in die Ferne

Der junge Richard Schulze pustet für eine Reise nach Australien (Foto Matthias Mayr)
Langer Atem für eine lange ReiseBild: Matthias Mayr

Mitten auf einem stark frequentierten, kleinen Platz sitz der junge Richard Schulze auf einem Stuhl, hält sich ein weißes Rohr zwischen die Lippen – und surrt und quäkt und brummt. Auf einem Schrottplatz hat er das lange Plastikrohr gefunden, es bearbeitet und sich so ein Recycling-Didgeridoo gebastelt. Richard hat eine Mission. Neben seinem Hut hat der 17-jährige Schüler aus Dresden ein kleines Pappschild aufgestellt, welches die Vorbeigehenden informiert: "Ich spare auf einen Austausch nach Australien". Das sei schon lange sein Traum, einmal in das Ursprungsland der Soundrohre zu reisen. Er kennt dort einen Didgeridoo-Hersteller, den er unbedingt besuchen und bei der Arbeit zusehen möchte.

Es ist kurz nach Mittag, und Richards Hut ist schon halb gefüllt mit Kleingeld. Vereinzelt lassen sich auch Geldscheine zwischen den vielen Münzen ausmachen. Freigiebig erzählt er, dass sich sein Einsatz hier wirklich lohnt und ihn bestärke, entgegen all der skeptischen Stimmen, an seinem Vorhaben festzuhalten: "Manche Leute sagen, das schafft der doch nie oder das stimmt doch alles gar nicht, aber ich meine es ernst." Allem Anschein nach kann zumindest Richard auch auf finanziellen Erfolg hoffen, er muss seine Einnahmen zum Glück auch nicht mit einer mehrköpfigen Combo teilen.

Autor: Matthias Mayr

Redaktion: Matthias Klaus