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Musikalischer Treffpunkt der Kulturen

8. März 2012

Geige und Klavier kann man in Deutschland überall lernen. Aber Tabla oder Bouzouki? Fehlanzeige an den Talentschmieden des Landes. International ist anders. Wie es gehen kann, das zeigt die Global Music Academy Berlin.

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Manickam Yogeswaran in der Global Music Academy (Foto: Daniela Incoronato)
Bild: Daniela Incoronato

"Wir haben eine Finanzkrise in Griechenland. Aber wir haben keine Kulturkrise", sagt Dimitris Varelopoulos und lacht. "Hier machen Deutsche und Griechen zusammen Musik und haben Spaß daran." Das griechisch-deutsche Quartett, das gerade zum ersten Mal so zusammengekommen ist, probiert einen Rembetiko - Musik, die ursprünglich aus der Hafenstadt Piräus kommt. Es ist Sonntag Nachmittag im multikulturellen Berliner Stadtteil Kreuzberg, die Global Music Academy (GMA) hat zum Workshop eingeladen. Wer Neugier mitbringt und am besten auch ein Stück Musik-Erfahrung, der ist hier richtig. Dozent Dimitris gibt Tipps, wenn es bei den Mitstreitern noch ein bisschen klemmt. Hobby-Gitarrist Wolfram ist zum ersten Mal hier. "Eine Freundin von mir steht total auf Rembetiko, darum hat sie mich hier reingedrängt", erzählt er. Und hat schon Lust, demnächst noch einen anderen Workshop mitzumachen: "Flamenco - das ist doch richtige Gitarrenmusik!"

Dozentin Laura Patchen beim Tabla-Unterricht (Foto: Daniela Incoronato)
Vertritt Indien in Deutschland: die amerikanische Tabla-Dozentin Laura PatchenBild: Daniela Incoronato

Indien in Berlin

Während ein Hauch von Hellas durch den Raum weht, proben nebenan türkische Instrumentalisten und Chorsänger: Ihr Konservatorium sitzt mit unter dem Dach der GMA. Und ein paar Türen weiter sitzen drei Berlinerinnen mit Trommeln auf einem kuscheligen Teppich: Im Tabla-Workshop üben sie hochkonzentriert ein rhythmisches Muster aus Indien. Dozentin Laura Patchen kam vor 35 Jahren aus den USA nach Berlin und fand dort per Zufall ihren indischen Tabla-Meister. Weiterqualifiziert hat sie sich in Indien. Längst hat sie sich als Künstlerin profiliert. Doch um das zu erreichen, war sie auf Glück und Privatinitiative angewiesen. Denn Ausbildungen für außereuropäische Instrumente sind im deutschen Bildungssystem einfach nicht vorgesehen. Weder an Musikschulen für Laien noch an Hochschulen, die professionelle Musiker ausbilden.

Mehr als Multikulti-Trommeln

Nun in einer Akademie zu arbeiten, an der die Musikkulturen der Welt einen Ort haben, findet Laura großartig: "Heute gibt es so viele Einflüsse von überall - auch musikalisch. Wir haben heute die Möglichkeit, uns auf der ganzen Welt zu bewegen. In Berlin leben so viele Leute aus der ganzen Welt. Die Idee, die Global Music Academy hier zu gründen, ist einfach zeitgemäß!"

Porträt Andreas Freudenberg, (Foto: Daniela Incoronato)
Andreas FreudenbergBild: Daniela Incoronato

Man könnte auch sagen: Sie ist überfällig. Denn die musikalische Globalisierung ist einfach noch nicht angekommen in Deutschland, das sich auf seine Musiktradition und -ausbildung so viel zugute hält. Weltmusik kann man zwar überall hören, aber kaum irgendwo richtig lernen. Es gibt vereinzelt zaghafte Ansätze an Musikhochschulen, am ehesten in Verbindung mit Popmusik oder Gitarre. Aber fundierte Ausbildungen für die Musikkulturen Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas findet man nirgends. Ein Eurozentrismus, der einfach nicht mehr in die Zeit passt, findet GMA-Geschäftsführer und Mitbegründer Andreas Freudenberg. "Die europäische Musik ist längst eine globale Kultur. Darum fühlt man sich im eigenen Raum groß und mächtig genug. Man ist wenig interessiert, sich zu öffnen und den spannungsvollen Prozess, die Interaktion zwischen den Kulturen, wirklich einzugehen." Doch so etwas ist mehr als Multikulti-Getrommel: "Das ist eine hoch anspruchsvolle Aufgabe. Es reicht nicht, einfach so Fusion zu machen".

Europaweit einzigartig

Statt einfach irgendwie Fusion macht Andreas Freudenberg jetzt Nägel mit Köpfen. Der Mann, der schon das erfolgreiche Berliner Festival "Karneval der Kulturen" gegründet hat, ist gerade dabei, eine europaweit einzigartige Einrichtung zu schaffen, die Musikunterricht für Laien genauso anbietet wie ein Studium für Profis. Angesiedelt in Berlin-Kreuzberg, wo Menschen aus fast 200 Nationen leben. Inspiriert vom multikulturellen Genius loci, gemeinsam mit dem Südafrikaner William Ramsay als Künstlerischem Leiter.

Die koreanische Dozentin Bo Sung Kim mit einer Trommel (Foto: Daniela Incoronato)
Dozentin aus Korea: Bo Sung KimBild: Daniela Incoronato

Während die Musikschule schon seit einigen Monaten arbeitet, starten die ersten Studiengänge im nächsten Jahr, noch läuft das Akkreditierungsverfahren. Die Privathochschule, finanziert vorwiegend aus Studiengebühren, wird zunächst Bachelor-, später auch Master-Abschlüsse anbieten. Natürlich sind reguläre Professorenstellen vorgesehen, darüber hinaus aber wird die GMA auch Musiker für einzelne Projekte verpflichten. Schon jetzt kann sie auf einen eindrucksvollen Stamm internationaler Künstler zurückgreifen, mit denen sie bereits gearbeitet hat, darunter Kollegen aus Korea, Brasilien oder Angola, aus Vietnam, Sri Lanka oder Südafrika. Dazu Musiker aus etlichen europäischen Ländern. Ein paar Deutsche sind auch dabei.

Physik als Kulturfaktor

Doch das Studium beschränkt sich nicht auf Instrumentalunterricht. Theoretische Fächer gehören dazu. Eine Herausforderung und ein Stück weit Neuland, sagt Dietrich Wöhrlin, Schlagzeuger und Programmdirektor. Denn eine kulturübergreifende Musiktheorie existiert schlicht und einfach nicht. Das tonale System, auf dem die europäische Kunstmusik genauso basiert wie die Popmusik, ist nur eines von vielen auf der Welt. Mit der Rhythmik sieht es ähnlich aus. "Wenn man mal versucht, diese Gebilde aufzubrechen und sich andere Konstrukte und Theorien aneignet, wird plötzlich alles einfacher", sagt er. "Ein relativ allgemeingültiges theoretisches Konstrukt - das ist die Physik!" Schließlich ist Musik nicht nur Kunst, sondern auch das organisierte Herstellen bestimmter Frequenzen einer bestimmten Dauer. "Dann versucht man sich eine kulturelle Brille aufzusetzen und sich die unterschiedlichen Musikstile anzuschauen."

Musiker aus verschiedenen Ländern spielen zusammen in der Global Music Academy (Foto: Daniela Incoronato)
Gemeinsam Musik machen: Die GMA ist Teil des urbanen Lebens im multikulturellen Stadtteil KreuzbergBild: Daniela Incoronato

Urbane Entwicklung

Dietrich Wöhrlin weiß, wovon er spricht. Er hat zuletzt für die GMA in Tansania einen Workshop an der Universität von Daressalam gemacht. Ein mehrwöchiges Pilotprojekt der GMA, finanziert über das Auswärtige Amt. Als mobiler Campus in unterschiedlichen Ländern soll es zur regelmäßigen Einrichtung der Hochschule werden. Aber der Campus wird "kein Entwicklungsprojekt sein", betont GMA-Geschäftsführer Freudenberg. In Tansania ging es etwa darum, mit Musikern aus acht afrikanischen Ländern neue Ideen für Musikvermittlung und -unterricht in ihrer Region zu entwickeln. Im Gegenzug ist die Expertise der afrikanischen Kollegen essentiell für die Berliner Akademie. "Wir gehen mit diesem Projekt gerade dort hin, wo wir Schwierigkeiten hätten, auf akademischem Niveau Hochschullehrer zu finden", erklärt Freudenberg. Dazu kommt: Die Studierenden sollen möglichst alle mal ins Ausland gehen. "Dazu brauchen wir ein Netzwerk von hochschuladäquaten Partnern".

Wenn nächstes Jahr der Hochschulbetrieb startet, wird der Musikunterricht für alle weitergehen. Und auch dann soll nach dem Willen von Andreas Freudenberg die Global Music Academy nicht nur ein Ort der Musikausbildung sein, sondern ein Stück Leben in Berlin: "Wir betrachten es als Projekt, das mit modernen urbanen Entwicklungen zu tun hat!"


Autorin: Aya Bach
Redaktion: Rick Fulker