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Mit Gewalt

Matthias Sailer6. Dezember 2012

Nach einem brutalen Angriff der Muslimbrüder auf ein Protestcamp am Präsidentenpalast gab es in Kairo Tote und Verletzte. Der Konflikt wird nun mit Gewalt ausgetragen. Politische Lösungen werden unwahrscheinlich.

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Muslimbrüder stehen in Kairo vor einem Panzer. (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Das Gebiet nahe dem Präsidentenpalast gleicht einem Schlachtfeld. Die Straßen sind übersät von zuvor geworfenen Steinen. Tausende Menschen laufen durcheinander. Viele Jugendliche halten zu Waffen umfunktionierte Holzlatten und Eisenstangen in ihren Händen. Die Stimmung ist angespannt. Nahe der Frontlinie, wo sich Muslimbrüder und Demonstranten gegenüberstehen, steht ein kaputt geschlagenes Auto. Tränengasgeschosse sind zu hören, aber auch andere Schusswaffen. Immer wieder fliegen brennende Molotowcocktails von Demonstranten in Richtung Muslimbrüder und umgekehrt. Im zweiten Stock eines Eckhauses an der Frontlinie klettern Jugendliche über eine Fassade und dringen in eine Arztpraxis ein. Von dort aus können sie den Gegner besser bekämpfen. Kurz darauf werfen sie Molotowcocktails aus den Fenstern.

Hundert Meter entfernt parken an die zehn Krankenwagen. Ihre Türen sind geöffnet, so dass Verletzte sofort behandelt werden können. Vier Männer tragen rennend einen mit Blut überströmten Jungen in ihre Richtung. Emad ist einer von vielen dort Dienst tuenden Ärzten und beschreibt verbittert die von ihm gesehenen Verletzungen: "Vor allem Gummigeschosse, scharfe Munition und Tränengas. Wir hatten vier Verletzungen mit scharfer Munition." Von Kollegen hörte er, dass es acht Tote gegeben hätte, einige mit Kopfschüssen. Woher die Waffen kommen, weiß keiner, denn schließlich sind es die Muslimbrüder, mit denen die Demonstranten kämpfen und nicht etwa die Polizei oder das Militär.

Muslimbrüder greifen friedliches Protestcamp an

Zu den Kämpfen in der Nacht zu Donnerstag (06.12.2012) war es gekommen, nachdem mindestens Hunderte Muslimbrüder ein Camp der Demonstranten am Präsidentenpalast angegriffen hatten. Es stammte noch von den überwiegend friedlichen Anti-Mursi Protesten des Vortages. Augenzeugen und Journalisten berichteten, dass sie mit Stöcken bewaffnet auf die wenigen dort verbliebenen Demonstranten losgingen und sie brutal verprügelten. Auch einige Journalisten wurden angegriffen. Videos zeigen, wie sie die Zelte zerstören. Vor dem Fernsehsender Al-Nahar behauptet einer ihrer Anhänger, dass sie Alkohol und Drogen in den Zelten gefunden hätten - ein offensichtlicher Versuch, die Demonstranten als unislamisch abzustempeln. Auf Radio Mirs verbreitete ein Sprecher der Muslimbrüder gar, dass die Demonstranten die Muslimbrüder beim Beten angegriffen hätten.

Menschen stehen neben einem ausgebrandten Auto. (Foto: Reuters)
Molotowcoktails, brennende Autos - die Gewalt eskaliertBild: Reuters

Die Polizei kam erst viel später, griff jedoch kaum ein. Viele Demonstranten berichten, dass diese sie daran hinderte, in Richtung Präsidentenpalast zu gehen, Muslimbrüder jedoch passieren ließ. Karim El-Beheiry hat eine der frühen Attacken der Muslimbrüder und ihrer Anhanger miterlebt: "Wir demonstrierten hinter dem Palast und diskutierten über die Verfassung. Da bemerkten wir, dass sie von zwei Richtungen auf uns zukamen und uns in die Zange nahmen. Dann griffen sie uns an."

"Präsident Mursi kämpft nicht für die Freiheit"

Der Zeitpunkt der ersten Attacke war perfide gewählt. Er fand im selben Moment statt, als Vizepräsident Mahmud Mekki in einer Pressekonferenz erklärte, dass jeder das Recht habe, seine Meinung auszudrücken. Hinzu kam, dass am Mittwoch die meisten Fernseh- und Printmedien gestreikt hatten, um gegen die Verfassung zu demonstrieren. Mekki behauptete, die Demonstranten vom Vortag hätten am Mittwoch Molotowcocktails geworfen. Tatsächlich verlief der Protest jedoch friedlich -von kleinen Scharmützeln zu Beginn des Protests abgesehen. Mekki sagte, dass die politischen Lager sich auf ein schriftliches Abkommen einigen könnten, um die umstrittenen Artikel der Verfassung in der ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments wieder ändern zu können. Es ist ein wenig glaubwürdiges Angebot, wenn man bedenkt, dass der Verfassungsentwurf noch bis vor Kurzem diskutiert wurde. Man hätte die Änderungen schon jetzt durchführen können - wenn man denn wollte.

Anhänger der Muslimbruderschaft halten Poster von Präsident Mursi in die Luft. (Foto: Reuters)
Anhänger der Muslimbruderschaft stützen Präsident MursiBild: Reuters

Nach den vielen nicht eingehaltenen Versprechen der letzten Monate hat die Opposition jedoch ohnehin kein Vertrauen mehr in die Muslimbrüder. Während Mekki in die Kameras lachte, wurden vor dem Palast die friedlichen Demonstranten verprügelt. Bedenklich ist auch, dass die Muslimbruderschaft ihre Mitglieder und Anhänger öffentlich dazu aufrief, zum Präsidentenpalast zu kommen. Zusammenstöße waren so vorprogrammiert. Doch das schnelle und entschlossene Vorgehen deutet darauf hin, dass der Angriff auf das Camp nicht spontan, sondern geplant war. Karim macht deshalb klar, was er von all dem hält: "Präsident Mursi kämpft nicht für die Freiheit. Er kämpft, um das ganze Land in einen Muslimbruder-Staat zu verwandeln. Ständig erzählt er Unsinn, dass wir - anders als er - gottlos wären. Aber wir glauben alle an Gott!"

Etwas später fand eine weitere Pressekonferenz statt: Die vormaligen Präsidentschaftskandidaten Hamdien Sabbahy und Amro Mussa kündigten hier an, dass sie die Opposition unter der Führung von Mohamed El-Baradei gegen die Islamisten vereinigen wollen. El-Baradei sagte, dass die Opposition nicht nach dem Fall des Regimes gerufen hätte, aber dass sie zunehmend in diese Richtung gedrängt würde. In Bezug auf die Verfassung fügte er hinzu, dass sie keinerlei Legitimität genieße und sie alles versuchen würden, um sie zu verhindern. Der Präsident hat sich nach wie vor nicht geäußert, kündigte es aber an.