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Mut zur Reform

Markéta Maurova29. Mai 2003

Seit Jahren warnen Wirtschaftswissenschaftler, Weltbank und Internationaler Währungsfonds die tschechische Regierung vor zu hohen Kosten durch das Rentensystem. Nun sind endlich Reformen geplant.

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In Tschechien ist eine Rentenreform längst notwendigBild: AP

Das derzeitige System der Rentenversicherung stützt sich auf die sogenannte Durchgangsfinanzierung. Niemand zahlt für seine eigene Rente, sondern vereinfacht gesagt decken die Kinder die Renten ihrer Eltern ab und erwarten, dass die nächste Generation wiederum die Kosten für ihren Ruhestand übernehmen wird. Damit dieses System funktionieren kann, müssen jedoch die eingenommenen Summen die Rentenausgaben decken - und das gelang zum letzten Mal im Jahre 1996.

Seither weist die staatliche Rentenkasse ein immer größer werdendes Defizit, das derzeit 20 Milliarden Kronen (etwa sieben Millarden Euro) übersteigt. Darüber hinaus werden Prognosen des statistischen Amtes zufolge in 30 Jahren in Tschechien nicht - wie es heute der Fall ist - zwei Millionen sondern drei Millionen Bürger leben, die älter als 60 Jahre sind.

Reformen längst überfällig

Eine radikale Reform ist daher notwendig und seit Anfang der 1990er Jahre wird darüber diskutiert. Keine der bisherigen Regierungen - ungeachtet dessen, ob die Rechte oder die Linke an der Macht war - hat jedoch den dafür notwendigen Mut aufgebracht.

Erst jetzt legt das sozialdemokratische Kabinett von Vladimir Spidla ein Konzept vor, für das man sich Schweden zum Vorbild nahm. Es basiert auf den sogenannten "scheinbar definierten Zuschüssen", auf Englisch "notional defined contribution" beziehungsweise NDC. Paradoxerweise greift ausgerechnet die neue sozialdemokratische Regierung dieses Konzept auf, denn es bedeutet das Ende der egalitären Renten.

Die neue Regelung wird für Leute mit niedrigem Einkommen und Langzeit-Arbeitslose benachteiligen und Leuten mit hohem Einkommen entgegen kommen. Je länger man arbeitet und je mehr man verdient, desto mehr Geld wird man irgendwann einmal bekommen. Ein festes Renten-Eintrittsalter wird es künftig praktisch nicht mehr geben. Wer aber künftig früher als mit 63 Jahren in Rente geht, muss grundsätzlich Abstriche am Altersruhegeld hinnehmen.

Protest der Gewerkschaften

Wenig überraschend, dass die Gewerkschaften Sturm laufen. Sie kritisieren, dass gerade sozial schwache Gruppen die größte Last tragen werden. Die Proteste, die derzeit in Tschechien stattfinden, sind an Vehemenz allerdings nicht vergleichbar mit denjenigen in Frankreich oder Österreich.

Zuvor hatte der Vorsitzende der Arbeitnehmerverbände, Milan Stech, der Regierung "Willkür" bei der Planung der Reformen vorgeworfen. Milan Stech sieht aber nicht nur die soziale Ungerechtigkeit als Grund, um gegen die Rentenreform auf die Straße zu gehen. "Wir befürchten, dass das Zuschusssystem, wenn es keine Armut im Alter verursachen soll, genauso viel kosten wird wie das bestehende System - wenn nicht sogar mehr."

Spidla muss von seinen umfangreichen Vorhaben aber nicht nur die Gewerkschaften überzeugen, sondern auch den linken Flügel seiner Partei. Und dann müssen weite Teile des Projekts vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden, in dem die Koalition nur eine dünne Mehrheit von 101 zu 99 Stimmen besitzt. So wollen Experten in Prag derzeit noch nicht einmal spekulieren, wie viel am Ende von den Reformen übrig bleibt. Einig sind sie sich nur in einem Punkt: Änderungen sind dringend nötig