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Nächte im Weißen Haus

Nikos Späth25. Dezember 2003

Auch in New York gibt es ein Weißes Haus. Eine Übernachtung kostet 30 Dollar. Der US-Präsident war aber noch nicht da. Dafür Nikos Späth.

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New York, 340 Bowery Street. Im alternativ-bunten Stadtteil East Village steht ein vierstöckiges Haus aus rot-braunem Backstein. Es nennt sich das "Whitehouse Hotel". Nun ja, weiß ist es nicht. Und die Würde seines Washingtoner Pendants strahlt es auch nicht wirklich aus. Das liegt nicht nur am Müll, der auf dem Bürgersteig vorm Eingang liegt, und an den Autowracks auf der Straße.

Alle Welt will nach New York. Auch Studenten, Rucksackreisende und Touristen, die sich nicht das "Waldorf Astoria" leisten können. Das Problem: Die Übernachtungspreise im Big Apple sind ein "rip-off", wie der Amerikaner sagen würde, eine einzige Abzockerei. Selbst in einem durchschnittlichen Drei-Sterne-Hotel kostet ein Doppelzimmer kaum unter 250 Dollar. Doch zum Glück gibt es günstigere Alternativen: Hostels, jugendherbergsartige Unterkünfte, für die das Sterne-System erst gar nicht angewandt wird. Das Whitehouse Hotel, so viel wird beim Betreten des Schlaftraktes klar, fällt in diese Kategorie.

Drei Quadratmeter Bangkok

Der Gang zwischen den Zimmern ist düster und so schmal, dass er beleibteren Gästen kein Durchkommen lässt. Im Abstand von anderthalb Metern reiht sich Tür an Tür. 200 insgesamt – das Weiße Haus bietet nur 132 Räume. Ventilatoren surren und wirbeln einen süßlichen Geruch umher. New York scheint plötzlich in Bangkok zu liegen.

Die Wände zwischen den "hübsch gestalteten" (Eigenwerbung) Schlafkabinen sind aus Holz, eine Decke gibt es nicht. Vermutlich der besseren Akustik und Lüftung wegen. Dafür ruht auf den Holzwänden ein Gittergestell, das offenbar das Herüberklettern zum Zimmernachbarn verhindern soll. Und ziemlich sicher auch Gewaltanwendung, um denselben zur Ruhe zu bringen. Anderthalb mal zwei Meter ist das Doppelzimmer groß. Macht drei Quadratmeter. Davon sind zweieinhalb Quadratmeter Bett. Preis: 60 Dollar die Nacht. Das halb so große Einzelzimmer kostet 30 Dollar. Angeblich die niederigsten Preise der Stadt.

Bill Clinton als Werbeträger

"Hillary und ich genossen die Zeit im Weißen Haus - und Sie werden es auch!", wirbt ein närrischer Bill Clinton auf der Internet-Seite des Hotels, das vor hundert Jahren eine Unterkunft für die Arbeiterklasse war. Natürlich ist der Ex-Präsident nie hier gewesen, was das Management freilich nicht daran hindert, Clinton als Werbeträger zu missbrauchen.

Mit Erfolg, wie sich bald herausstellt: Tief in der Nacht, nachdem zwei betrunkene, grölende Australier aus Wagga Wagga (kein Witz, die Stadt heißt wirklich so) endlich ihr Zimmer verlassen haben, um noch betrunkener zu werden, und ein australisches Pärchen nebenan zum vierten Mal lautstark die quietschende Sprungfedermatratze getestet hat, sagt ein Gast aus Schweden zu einer Deutschen, die ebenso entsetzt ist: "Das ist wirklich das beschissenste Hotel, in dem ich je war. Komisch, dabei waren doch selbst die Clintons hier!" Worauf sie antwortet: "Ja, das hat mich auch gewundert. Aber vielleicht war das nur ein Scherz?"

Die Nacht ist kurz im Whitehouse Hotel. Was an den australischen Gästen liegt, der harten Matratze, die sich zwischen die Wirbel bohrt, und der Zimmertemperatur von knapp über Null Grad. Der "einzigartige Charme" indes, mit dem das Hotel wirbt, ist ihm nicht abzusprechen. Wen das nicht zufrieden stellt, dem empfiehlt das Management: "Immerhin können Sie sagen, Sie haben im Weißen Haus gewohnt!"