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Nabucco-Pipeline: Projekt mit vielen Fragezeichen

5. Juli 2007

Mit Hilfe der Nabucco-Pipeline will die EU ab 2011 Erdgas aus Zentralasien über die Türkei und den Balkan nach Europa transportieren - unter Umgehung Russlands. Doch an dem ehrgeizigen Projekt gibt es immer mehr Zweifel.

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Viele offene Fragen rund um "Nabucco"Bild: AP

Einmütig erklärten einst die EU-Staaten ihre Absicht, „Nabucco“ auf den Weg zu bringen. Eine Pipeline, die der Europäischen Union Zugang zu den kaspischen Gasquellen verschafft. Und zwar unter Umgehung Russlands über die Türkei und den Balkan. Fünf Versorgungsunternehmen unter Führung der österreichischen OMV haben sich zu einem Konsortium zusammengeschlossen. Reinhard Mitschek, Sprecher des Konsortiums, erläutert: „Der Hintergrund ist der, dass der europäische Erdgasverbrauch sehr stark ansteigt. Studien sagen, von derzeit 500 Milliarden Kubikmeter pro Jahr auf rund 700 bis 800 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Gleichzeitig sinkt die europäische Gasproduktion. Das heißt, man braucht zusätzliche Lieferungen. Es gibt in der kaspischen Region die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt. Es gibt die Nachfrage in Europa. Jetzt geht es darum, die Brücke zu bauen, und das soll die Nabucco-Pipeline werden.“

Nicht genug Gas für weitere Pipeline?

Doch ob die Brückenbauer wirklich grünes Licht bekommen ist mehr als fraglich. Denn die gasreichen zentralasiatischen Staaten haben bereits angedeutet, dass sie energiepolitisch auf Tuchfühlung mit Russland bleiben wollen. Und das heißt praktisch, dass der russische Gaskonzern Gasprom bereits entschieden hat, die bestehenden Leitungen aus Zentralasien nach Russland auszubauen und sich so den Zugriff auf die dortigen Gasvorkommen weiter zu sichern - während für das Nabucco-Projekt noch die Planspiele laufen. Schon heute verkauft Gasprom kaspisches Gas mit Aufschlag nach Westen. Die direkte Durchleitung im Auftrag Dritter ist nicht möglich, da sich Russland der Öffnung seiner Röhren und damit dem Wettbewerb verweigert. Gasprom-Deutschlandchef Dieter Gornig gibt sich daher ganz entspannt. Er erklärt: „In Kenntnis der Lage bei den Erdgasproduzenten in Zentralasien meinen wir, dass heute kein freies Gas vorhanden ist, um eine solche Leitung mit dem Namen Nabucco mit Sicherheit füllen zu können.“

Aserbaidschan, schon heute Lieferant der EU, hat allein zu wenige Ressourcen, um Nabucco ausreichend zu füllen. Experten haben daher Zweifel, ob überhaupt genügend Gasquellen angezapft werden können, um ein schätzungsweise 4,5 Milliarden Euro teures Röhrenprojekt rentabel zu machen. Und diese Zweifel sind zuletzt eher gewachsen. Dennoch hält die EU-Kommission am Projekt ausdrücklich fest, schließlich war es erst im März von den EU-Staaten als zentrales Infrastrukturvorhaben ausgewiesen worden. Der Sprecher des EU-Energiekommissars, Piebalgs, sagt: „Nabucco könnte auch mit iranischem oder irakischem Gas gefüllt werden, sobald sich die geopolitische Lage dort insgesamt verbessert. Man darf nicht vergessen, Iran sitzt auf dem zweitgrößten Gasvorkommen nach Russland. Nabucco ist viel mehr als nur Gaskauf bei Russlands Nachbar.“

Starke Konkurrenz

Russland freilich sieht das etwas anders und hat auf den Nabucco-Plan bereits reagiert. Vehikel ist, wie so oft, das staatlich kontrollierte Gasunternehmen Gasprom. Gasprom bringt gleich mehrere eigene Vorhaben voran, die mit Nabucco konkurrieren, etwa eine Verlängerung der bestehenden russisch-türkischen Gasleitung „Bluestream“ bis nach Ungarn. Mit dem italienischen Versorger Eni wollen die Russen eine „Southstream“ genannte Gasleitung projektieren, die Griechenland und vielleicht auch Süditalien versorgen könnte. Auch mit Serbien laufen Machbarkeitsstudien über eine Gasleitungsverbindung. Roland Götz, Energieexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, meint: „Man hat vielleicht den Fehler gemacht, die Diversifizierungsidee von der europäischen Seite zu einem Hauptpunkt der Energiepolitik zu machen. Das hat den Argwohn Gasproms und der russischen Seite sehr stark geweckt und angestachelt – und dazu geführt, dass eine Art Anti-Diversifizierungs-Politik eingeschlagen worden ist.“

Zögerliche Partner

Der Fall Nabucco zeigt zudem, wie leicht die EU-Staaten trotz aller Bekenntnisse energiepolitisch auseinander driften. Ungarn, wichtiges Nabucco-Land, schien unlängst eher dem Bluestream-Projekt der Russen zugeneigt, zumal Moskau Budapest dabei eine Rolle als zentrales Einfallstor für den Gasexport in die EU vorschlug. Zuletzt bekannte sich die Budapester Regierung allerdings wieder deutlich zu Nabucco. Doch auch die beteiligten Versorger, die Nabucco bauen sollen, allen voran die österreichische OMV, spielen auf verschiedenen Klaviaturen. OMV lobt das Nabucco-Projekt, erwärmt sich aber auch für die russischen Gegenvorschläge. Gerüchte, Gasprom wolle OMV gleich ganz kaufen, wurden letzte Woche in Wien zunächst dementiert. Aber auch die Türkei, die sich gerne als Drehscheibe für die Energieexporte in die EU aufstellen will, ist eine starke Figur auf dem Schachbrett der Energiepolitik, deren Schritte aber schwer zu kalkulieren sind. Die Türkei sieht sich derzeit hin und her gerissen zwischen den verschiedenen Gaspipelinekonzepten, die allesamt durch das Land führen. Offiziell heißt es in Ankara, zwischen dem EU-Projekt Nabucco und dem russischen Vorhaben bestehe kein Widerspruch. Anders gesagt: Man hält sich alle Türen offen.

Jan Pallokat

DW-RADIO, 2.7.2007, Fokus Ost-Südost