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Terror in Israel: Kritik an Haltung deutscher Muslimverbände

Lisa Hänel (mit dpa)
9. Oktober 2023

In Israel hat die militant-islamistische Hamas Hunderte Zivilisten und Soldaten getötet. Das hat auch eine Debatte in Deutschland ausgelöst: Muslimische Verbände stehen zunehmend unter Druck, sich zu positionieren.

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Ein Foto von der türkisfarbenen Imam-Ali-Moschee in Hamburg.
Dem Islamischen Zentrum Hamburg mit der Imam-Ali-Moschee wird eine Nähe zum iranischen Regime nachgesagtBild: Dwi Anoraganingrum/Geisler-Fotopress/picture alliance

Den Anstoß gab ein Tweet des Bundesministers für Ernährung, Cem Özdemir, auf der Plattform X, ehemals Twitter. Bereits am Samstag twitterte der Minister: "Dröhnendes Schweigen der muslimischen Verbände in 🇩🇪 zum Terror gegen #Israel. Oder gar relativierende Worte." Und weiter: "Angesichts von Terror, Mord & Entführungen, muss die Naivität im Umgang mit den islam. Verbänden endlich enden!" 

In den frühen Morgenstunden des 7. Oktober überquerten vermutlich Hunderte Terroristen der militant-islamistischen Hamas aus dem Gazastreifen die Grenze zu Israel und töteten und entführten Zivilisten und Soldaten. Gleichzeitig startete die Hamas aus dem Gazastreifen einen Raketenbeschuss auf Israel. Nach offiziellen Angaben gibt es mehr als 700 Todesopfer in Israel. Das Land erklärte den Kriegszustand und reagierte mit einer Gegenoffensive auf den Gazastreifen. Auf palästinensischer Seite gibt es laut offiziellen Zahlen bisher mindestens 680 Tote.

In Deutschland erklärten alle Parteien im Bundestag mit der Ausnahme der Alternative für Deutschland (AfD) und der Linkspartei ihre Solidarität mit Israel. In einer gemeinsamen Stellungnahme hieß es: "Unser Mitgefühl gilt in diesen schweren Stunden dem ganzen israelischen Volk und dem Staat Israel. Dieser Terror ist durch nichts zu rechtfertigen und muss sofort gestoppt werden."

Schon zuvor war vor allem auf der Plattform X eine ähnliche Stellungnahme auch von muslimischen Verbänden in Deutschland gefordert worden.

Muslime in Deutschland nicht einheitlich organisiert

In Deutschland leben ungefähr fünfeinhalb Millionen Musliminnen und Muslime. Die muslimische Gemeinschaft ist dabei sehr breit gefächert organisiert. Manche Moscheen und Gebetsräume unterstehen keinem Dachverband. Stand 2021 sind laut Mediendienst Integration etwa 70 Prozent der islamischen Gebetsräume und Moscheen in Dach- und Spitzenverbänden auf Bundesebene oder in Moscheezusammenschlüssen auf Landesebene organisiert. Einzelne islamische Gemeinschaften beziehungsweise Zentren stehen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes und werden insbesondere wegen Einflussnahme und Finanzierung aus dem Iran und der Türkei kritisiert.

Ein Porträtfoto von Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland
Aiman Mazyek steht seit 2010 einer der größten muslimischen Dachorganisationen, dem Zentralrat der Muslime, vor Bild: Friso Gentsch/dpa/picture alliance

Schon unmittelbar nach Cem Özdemirs Tweet äußerte sich der Generalsekretär der vom Verfassungsschutz beobachteten Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş, Ali Mete, ebenfalls auf X. Er schrieb unter anderem: "Die Bilder und Videos von Übergriffen, Entführungen und Schändungen, die wir leider seit vielen Jahren und auch heute zu sehen bekommen, sind unerträglich. Wir beten dafür, dass das jahrzehntelange Leid in Israel und Palästina, wie auch in vielen anderen Konfliktregionen, bald ein Ende findet. Es ist jedoch falsch und unverantwortlich, Muslimen hier in Deutschland fast schon eine Mittäterschaft für die Verbrechen in Israel und Palästina zu unterstellen." 

Kritik am Zentralrat der Muslime

Etwas länger ließ ein Statement des Zentralrats der Muslime auf sich warten. Der Zentralrat gehört zu den vier Verbänden, die 2007 den Koordinationsrat der Muslime in Deutschland gründeten. Heute gehören dem Zentralrat bundesweit etwa 300 Moscheevereine an. In einer Stellungnahme hieß es vom Zentralrat schließlich: "Wir verurteilen die jüngsten Angriffe der Hamas auf Zivilisten und rufen dazu auf, sofort die Gewalt zu beenden. Damit nicht noch mehr Opfer in der Zivilbevölkerung beklagt werden, müssen alle Seiten jetzt die Kampfhandlungen sofort einstellen." Gerade diese letzte Formulierung sorgte für viel Kritik. Dem Zentralrat wurde "Whataboutism" und Relativierung der Gewalt vorgeworfen.

Einer der Kritiker ist Eren Güvercin. Er ist Gründungsmitglied der Alhambra Gesellschaft, die sich als muslimisches Debattenforum versteht. Auf X schrieb er als Antwort auf die Stellungnahme des Zentralrats: "Als deutscher Muslim ist das, was der @der_zmd hier vorführt, beschämend. Ihr spricht nicht für Muslime in Deutschland. Ändert euren Namen."

Ebenso scharf äußerte sich der Finanzminister des Bundeslandes Baden-Württemberg Danyal Bayaz von den Grünen: "Dieses Statement ist nicht einfach nur whataboutism. Es ist ein beschämender Offenbarungseid. Solidarität mit #Israel ist nicht relativierbar, schon gar nicht nach den gestrigen bestialischen Angriffen. Dazu kein Wort zu den Bildern feiernder Menschen in Neukölln. Ihr seid lost!"

In Berlin-Neukölln hatten sich am Samstagabend etwa 50 Menschen zu einer laut Polizei pro-palästinensischen Demo versammelt. Auf einem Video auf Instagram, das das anti-israelische Netzwerk Samidoun teilte, war eine Gruppe zu sehen, die Parolen skandierte. Samidoun setzt sich nach eigenen Angaben für die Rechte bzw. die Freilassung von palästinensischen Gefangenen in Israel ein und wurde laut des Berliner Verfassungsschutzes 2011 von Mitgliedern der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP) gegründet, die von der EU und den USA als Terrororganisation gelistet wird. Die Organisation hatte am Samstagnachmittag süße Backwaren an Passanten verteilt, "zur Feier des Sieges des Widerstands", wie sie auf Instagram schrieb.