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Nach dem Wasser drohen die Seuchen

23. September 2004

Die Folgen des Wirbelsturms "Jeanne" in Haiti sind noch katastrophaler als befürchtet. Die Zahl der Todesopfer steigt weiter. Nun drohen in den überfluteten Gebieten Seuchen. Internationale Hilfe ist dringend notwendig.

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Nach der Flut hört der Kampf um das Überleben nicht aufBild: AP

Die Zahl der Todesopfer in Haiti nach dem Tropensturm "Jeanne" ist weitaus höher als angenommen. Möglicherweise seien 2000 Menschen bei dem Unwetter ums Leben gekommen, sagte der Sprecher des Katastrophenschutzes, Dieufort Deslorges, am Mittwoch (22.9.04). Noch immer werden mehr als 1000 Menschen vermisst.

Der zweitägige heftige Regen durch den Tropensturm hatte in Haiti am Wochenende besonders verheerende Auswirkungen, weil es dort kaum noch Wälder gibt, die die Fluten hätten zurückhalten können. Viele Menschen waren ins Meer gespült worden; andere wurden unter dem Schutt begraben, der sich nach den Flutwellen und Erdrutschen angesammelt hatte.

Etwa 800 Tote wurden in Gonaives in einem Massengrab bestattet. In der 250.000-Einwohner-Stadt - der drittgrößten Haitis, stand das Wasser stellenweise immer noch kniehoch. Die Kadaver von Schweinen, Ziegen und Hunden trieben zusammen mit den Trümmer von Möbeln in den trüben Fluten. Es fehlte an Medikamenten, Lebensmitteln und vor allem sauberen Trinkwasser. "Wir müssen das Wasser trinken, in dem die anderen gestorben sind", sagte der Bauer Jean Lebrun.


Zahl der Opfer steigt

"Wir gehen davon aus, dass der Norden Haitis genauso zerstört ist wie die Stadt Gonaive", sagt Jürgen Heppe, Haiti-Experte beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) zu DW-WORLD. Die Menschen sind vor den Fluten ins Landesinnere geflohen. Zum Vergleich: Haiti ist 27.750 Quadratkilometer groß und damit kleiner als das Bundesland Brandenburg.

Haiti nach dem Wirbelsturm Jeanne
Humanitäre Katastrophe: Obdachloser Junge in GonaiveBild: AP

"Das wahre Ausmaß der Katastrophe ist erst absehbar, wenn das Wasser in zwei bis drei Tagen abgeflossen ist", sagt DRK-Mitarbeiter Heppe. "Das wichtigste ist jetzt das Trinkwasser." Durch die Schlamm-Massen und die Unterschwemmung der Kanalisation ist das Wasser stark verunreinigt. Tausenden Menschen fehlt sauberes Trinkwasser, der Ausbruch hygienebedingter Krankheiten wie etwa Cholera droht.

Das DRK ist seit der Flutkatastrophe im Mai 2004 mit zwei Hilfsprojekten an der haitianisch-dominikanischen Grenze im Einsatz. "Sobald das Wasser abgeflossen ist, verteilen wir Bau-Sets und Werkzeug zum Bau von Notunterkünften, damit sich die Menschen, auch psychologisch, wieder eine eigene Existenz aufbauen können", sagt Heppe.

Ein Land in der Dauerkrise

Seit 1994 sind in Haiti knapp zwei tausend Menschen durch Wirbelstürme ums Leben gekommen. Da fast der gesamte Baumbestand gerodet ist, sind die Naturkatastrophen in Haiti besonders verheerend. Dies und der immer noch schwelende Bürgerkrieg drohen Haiti in ein humanitäres und wirtschaftliches Desaster zu stürzen.

Durch die politische und wirtschaftliche Dauerkrise ist die ehemalige französische Kolonie zum Armenhaus Amerikas geworden und gilt als das ärmste Land Lateinamerikas. Mit knapp einem Krankenhausbett pro 1000 Einwohner ist die medizinische Versorgung der Flutopfer unzureichend. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt unter 55 Jahren. Knapp die Hälfte der Haitianer sind Analphabeten. Schätzungsweise 80 Prozent der 8,1 Millionen Einwohner leben am Rande des Existenzminimums, zweitstellige Inflationsraten machen selbst Grundnahrungsmittel für viele unbezahlbar.

Bitte um Hilfe

Latortue bat die internationale Gemeinschaft um Hilfe. Haiti könne mit einer solchen Katastrophe nicht allein fertig werden, sagte er. Der Ministerpräsident erklärte den Norden Haitis zum Katastrophengebiet und verkündete eine dreitägige Staatstrauer. Nach Angaben von Rettungskräften wird der Karibikstaat Monate brauchen, um sich von Tropensturm "Jeanne" halbwegs zu erholen. Erst im Mai hatte ein fürchterlicher Sturm Haiti heimgesucht und 1200 Menschen in den Tod gerissen. (kas)