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Klasse statt Rasse

10. Februar 2010

Auch 15 Jahre nach der Apartheid ist die Hautfarbe in Südafrika nach wie vor ein Thema. Doch eine unsichtbare Trennungslinie innerhalb der Regenbogennation verläuft inzwischen anderswo.

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Demonstranten in Durban mit einem Plakat auf dem sie das Ende des Rassismus fordern (Foto: dpa)
Rassismus ist in Südafrika - wie hier bei einer Demonstration - nach wie vor ein ThemaBild: picture-alliance/ dpa

Als Linda Mongole im ersten Jahr mit ihrem Freund Alexander an die Witzswatersrand Universität in Johannesburg kommt, ernten beide verwunderte Blicke – weil Alexander weiß und Linda schwarz ist. Er stammt aus Deutschland, sie aus dem Kongo. Linda lebt seit ihrer Kindheit in Südafrika und hat mit Alexander eine internationale Schule besucht, auf der ihre Hautfarbe nie eine Rolle gespielt hat. "Dann kommst Du hierher und alles ist anders. Ich habe erfahren, dass mich Schwarze mit offenen Armen empfangen, weil ich schwarz bin", berichtet Linda. Sie glaubt, dass sich die Studenten den Effekt ihrer Hautfarbe nicht ausgesucht hätten: "Es sind die Strukturen in denen du groß geworden bist, die sich an der Uni widerspiegeln."

Danae Wolfaardt (Zweite von links) mit ihren Kommilitonen auf der Wiese der weißen Studenten.
Danae Wolfaardt (Zweite von links) mit ihren Kommilitonen auf der Wiese der weißen StudentenBild: Hadija Haruna

Du kennst eben nur deine Kultur

Ein Blick über den Campus zeigt: Auch 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid spielt die Hautfarbe bei vielen noch immer eine Rolle. "Die Erfahrungen aus der Zeit der Apartheid, als politisches System mit seiner sozialen und wirtschaftlichen Dimension, schlägt sich von der Generation, die sie erlebt hat, auf die folgende Generation nieder", erklärt Ralf Hermann, Dozent für Germanistik an der Universität und Leiter des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes in Johannesburg. Während schwarze, indische und farbige Studierende sich diesem Thema nicht entziehen könnten, seien die weißen Studenten zwar damit konfrontiert, der Anpassungszwang sei aber für die meisten von ihnen geringer.

"Nachmittags siehst du die weißen Studenten nicht mehr auf dem Campus“, hat Nikelo Gxothiswa beobachtet. Der Erstsemestler ist in Tembisa, einem kleinen Ort vor Johannesburg groß geworden und pendelt täglich zur Universität. Anders als viele seiner Kommilitonen, die zwar vom Land kommen, aber in den Studentenwohnheimen rund um den Campus wohnen. "Wenn du vom Land kommst, dann bist du hauptsächlich mit Schwarzen aufgewachsen. An der Uni tust du dich dann schwer, dich mit den anderen Studenten anzufreunden. Du kennst eben nur deine Kultur", erklärt der 19-jährige.

"Die Geschichte deiner Eltern spielt eine Rolle"

Die schwarze Studentin Siyavuya Madlanga sitzt mit ihren drei besten Freundinnen zwischen der Wiese der weißen und den Bänken der schwarzen Cliquen. Vier junge Frauen, die aus verschiedenen Teilen des Landes stammen und sich im Studentenwohnheim angefreundet haben. "Ich hatte mal einen weißen Freund. Wir haben uns getroffen und auch geküsst. Doch irgendwann, als es ernster wurde, kamen in ihm die Zweifel auf, was wohl seine Eltern sagen würden", erzählt Siyavuya. Und ihre Freundinnen lachen, weil sie so offen darüber spricht.

Siyavuya Madlanga (ganz links) sitzt mit ihren drei besten Freundinnen (von links: Precious Motshegoa, Iphendu Gxotani, Lelethu Mhlaba) zwischen der Wiese der weißen und den Bänken der schwarzen Cliquen.
Siyavuya Madlanga (ganz links) und ihre FreundinnenBild: Hadija Haruna

Die Geschichte der Eltern spiele eine tragende Rolle im Prozess der Integration in Südafrika. Darin sind sich die Studenten einig und sie reden darüber, "allerdings nur, wenn sie gefragt werden", weiß Hermann. Viele schwiegen in gemischten Gruppen, aus Angst den anderen zu verletzen oder als rassistisch abgestempelt zu werden. Die grundsätzliche Bereitschaft der Studenten, sich mit anderen Gruppen zu vernetzen, hänge auch viel von den persönlichen Erfahrung der Studierenden ab, so seine Erfahrung: "Vernetzung funktioniert nur, wenn du mit den anderen gearbeitet und erkannt hast, dass dein sozialer und kultureller Hintergrund von allen gleichermaßen respektiert wird."

Sie urinierten auf die Rainbow Nation

Für den Dozenten begünstigen die isolierten Gruppenprozesse jedoch noch viel tiefer liegende Probleme. Zum Beispiel rassistische Übergriffe. Erst im vergangen Februar hatte ein Vorfall an der Universität für landesweite Proteste gesorgt. Zuvor war ein Video aufgetaucht, das fünf schwarze Reinigungskräfte zeigte, die von vier weißen Studenten dazu gezwungen wurden, auf Knien einen Auflauf zu essen, in den sie vorher uriniert hatten. Die Tageszeitung "The Citizen" titelte am nächsten Tag: "Sie urinierten auf die ’Rainbow Nation’." Und Professor Callie Pistorius von der Universität kommentierte den Vorfall in einem öffentlichen Schreiben mit den Worten: "Wir müssen realisieren, dass die Universität keine Insel ist. Wenn Rassismus, sexuelle Nötigung und Gewalt in der Gesellschaft präsent sind, ist es unrealistisch, davon auszugehen, dass sie nicht auch auf dem Campus existieren." Dozent Hermann glaubt, dass der Vorfall den Universitäten im Land klar gemacht habe, dass das Problem von Rasse und Rassismus nicht wegzureden sei: "Er hat aber auch kreative Prozesse im Umgang mit dem Thema freigesetzt."

Aus den Strukturen auszubrechen ist schwer

Die Ex-Studenten Atandwa Kani und Nathaniel Ramabulana in ihrem Theaterstück „ID Pending“.
Die Ex-Studenten Atandwa Kani und Nathaniel Ramabulana in ihrem Theaterstück "ID Pending".Bild: Hadija Haruna

Zum Beispiel das Theaterprojekt "ID Pending", zu deutsch: "Vom Ausweis abhängig", an der Wits-Universität. Das Zwei-Mann-Stück, das die Ex-Studenten Atandwa Kani und Nathaniel Ramabulana auf die Beine gestellt haben, ist eine satirische Komödie über Studierende auf dem Campus, die von Vorurteilen und Ängsten handelt. Nathaniel spielt darin viele verschiedene Rollen. "Da ist zum Einen die weiße Studentin, die im unbeschwerten Regenbogenland keine Probleme kennt und auf der anderen Seite der wütende, schwarze Student, der hinter allem einen rassistischen Angriff vermutet", erklärt Nathaniel. Sie alle seien Teil des Transformationsprozesses, ergänzt Atandwa. Wochenlang haben die beiden für das Drehbuch auf dem Campus die Charaktere recherchiert. "Wir wollten von den Studenten erfahren, wie sie in Südafrika klar kommen und welche Rolle für sie Homophobie oder Rassismus spielen", sagt Atandwa. Zurückgekommen seien sie mit vielen wütenden Geschichten.

Eine Frage von Generationen

Das Erbe der Vergangenheit ernstnehmen, das rät Hermann seinen Studenten. Die 15 Jahre seit dem Ende der Apartheid seien eine kurze Zeit und die Wunden noch nicht verheilt, sagt er. Die Studentin Linda findet jedoch, dass viel zu lange nur über Versöhnung gesprochen und außer Acht gelassen worden sei, dass sich derweil neue Probleme entwickelt hätten. "Für viele von uns geht es heute nicht mehr vorrangig um die Rasse, sondern vor allem darum, aus welcher Klasse du kommst." Ihre schwarze Freundin Gugulethu Khoza, die aus einer Mittelstandsfamilie stammt, erklärt: "Obwohl ich von meinen Eltern offen erzogen wurde, kann ich mich mit Schwarzen, die im Township zur Schule gegangen sind, nicht anfreunden. Unsere Sprache, unsere Kleidung oder einfach wie wir die Dinge sehen sind unterschiedlich."

Ein Blick über den Campus der Witswatersrand Universtität in Johannesburg
Ein Blick über den Campus der Witswatersrand UniverstitätBild: Hadija Haruna

Private oder staatliche Schule, Stadt- oder Landkind, reich oder arm: Längst ist die Hautfarbe nicht mehr die einzige Trennungslinie in der südafrikanischen Gesellschaft. Doch sowohl die weiße Studentin Danae Wolfaardt als auch der indischstämmige Bhavesh Patch glauben an eine langfristige Veränderung in Südafrika. "Die Freunde meiner Eltern sind alle weiß. Meine Freunde aber gehören verschiedenen Hautfarben an", sagt Danae. Und der Erstsemestler Bhavesh findet, dass sich bereits das soziale Leben und Umfeld seiner Generation im Vergleich zu seinen Eltern verändert habe. "Die kommenden Generationen werden zwangsläufig zusammenwachsen, wenn einfach nur jeder seine fünf Cent in den Topf wirft."

Autor: Hadija Haruna

Redaktion: Stephanie Gebert