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Die Band "Wir sind Helden" meldet sich zurück

3. September 2010

Die Band "Wir sind Helden", die den immer noch anhaltenden Deutsch-Pop-Boom losgetreten hat, veröffentlicht nach drei Jahren wieder ein neues Album. Statt Protesthymnen sind jetzt tiefe Einsichten angesagt.

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CD-Cover "Bring mich nach Hause" (Foto: Reclamation Rec.)

Als Judith, Pola, Jean-Michel und Marc das Tonstudio betraten, um ihr neues Album einzuspielen, fanden sie ganz ungewohnte Instrumente vor: Statt Keyboard gab es einen Flügel, ein Akkordeon lag in der Ecke, daneben ein Banjo, eine arabische Laute mit 12 Saiten und eine Quika, die so klingt, wie sie heißt. Das sollte also das neue Werkzeug für die Berliner Band werden, die sich bis dato eher mit Synthesizer und E-Gitarre identifiziert hatte. Mit dem neuen Produzenten aus England, Ian Davenport, wurde das Album "Bring mich nach Hause" live eingespielt, alles etwas intuitiver und weniger perfektionistisch als bisher. Und weil man gerade dabei war, gibt es gleich alle 12 Songs auch in einer Unplugged-Version, die noch ein wenig mehr nach Folk klingt. "Wir wussten schon, dass wir akustischer werden wollten, aber was dann am Ende dabei herauskam, ist der gemeinsamen Probezeit geschuldet", sagt Keyboarder Jean-Michel Tourette, der als gelernter Pianist endlich mal wieder auf einem Flügel spielen durfte. "Es war für uns als Band einfach ein wahnsinnig guter und reinigender Prozess, so relativ ursprüngliche Musik zu machen."

Deutschpop für Denker

Bandfoto: Wir sind Helden (Foto: Sven Sindt)
Aus der Babypause zurück: Wir sind HeldenBild: Sven Sindt

Die Erfolgsgeschichte der Helden hat Bilderbuchcharakter: 2000 in Hamburg gegründet, verkauften sie noch handbemalte Second-Hand T-Shirts: "Guten Tag – Wir sind Helden" stand darauf. Die Single "Guten Tag" brachte wenig später den Durchbruch und eine ganze Nation wackelte nervös zu diesem konsumkritischen Hit. Mit "Denkmal" haben sie sich schließlich selbst ein Denkmal gebaut. Eine 'irgendwie linke' Band, die trotzdem nicht polarisiert – das war massentauglich und das reichte für drei CDs, wenn auch der Charme der Originalität mit der Zeit verflog.

Keine Blümchentapete

Zehn Jahre später ist endgültig Schluss mit Reminiszenzen an die Neue Deutsche Welle. Die Musik von "Wir Sind Helden" pendelt zwischen Samba und Balladen. Die tanzbaren Stücke auf dem neuen Album kann man an drei Fingern abzählen, dafür kommen sie umso heftiger und unerwartet, so wie zum Beispiel das Sambastück "Was uns beiden gehört". Der Protestsong, der die Helden jahrelang prägte, macht mal Pause; auf dem neuen Album wird gezweifelt, gesucht und gefragt. "Es ist eine große Sehnsucht nach einem Zuhause, wobei das kein Zuhause mit Blümchentapete, schweren Vorhängen und Cordsofa sein wird", sagt Judith Holofernes. Ihr geht es eher um ein inneres symbolisches Zuhause. Die Sängerin von "Wir sind Helden" ist sichtlich erschöpft, denn auch für eine Popstar-Mutti bleibt die Doppelbelastung zwischen Familienleben und Job eine Belastung. Es kommt das latent schlechte Gewissen hinzu, ob sie und Papa Pola ihren Kindern die Strapazen einer mehrwöchigen Deutschlandtournee wirklich zumuten wollen.

Die wilden 70er

Frontfrau Judith Holofernes (Foto: picture alliance/dpa)
Frontfrau Judith HolofernesBild: picture-alliance/dpa

Die Helden wirken derzeit wie eine große Familie mit einer integrierten Kleinfamilie darin, und selbst die Fangemeinde kann sich heimelig fühlen in ihrem musikalischen Schoß – der Gesamteindruck ist und bleibt einfach nett, was nicht nur an der warmherzigen Sängerin Judith Holofernes liegt. Mit dieser Band möchte man einfach mehr zu tun haben. Oder gar in eine Kommune ziehen? Holofernes wuchs in den 70ern in einer solchen mitten in Berlin auf. Über 30 Jahre später verarbeitet sie Beobachtungen und Erfahrungen aus ihrer Kindheit. Heraus kommt "Die Ballade von Wolfgang und Brigitte", der heimliche Höhepunkt des Albums. Die Idee der freien Liebe wird demontiert, und schon ist die Verletzlichkeit wieder da, die sich auf dem Album "Bring mich nach Hause" wie ein roter Faden immer wieder einschleicht. "Klar, da gab es Chaos, aber ich habe das Gefühl, dass mir das große innere Freiheit mitgegeben hat", erinnert sich Holofernes. Grenzen hat sie kaum kennen gelernt und das wirkt sich bis heute aus: "Was für Kinder gut ist oder wie eine Beziehung auszusehen hat, sehe ich sehr locker und sehr wenig wertend und dafür bin ich dankbar." Es bleibt zu wünschen, dass das Quartett unversehrt "zuhause" ankommen kann und das nächste Album nicht wieder so lange auf sich warten lässt.

Autorin: Eva Gutensohn

Redaktion: Matthias Klaus