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Nach der Wahl ist vor der Wahl

Alexander Kudascheff16. Juni 2004

Die Europawahlen sind vorbei. Und es ist - wie eigentlich immer, meint Alexander Kudascheff.

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Es waren Denkzettelwahlen. Die Regierungen wurden abgestraft - von Portugal bis nach Großbritannien, von Deutschland bis nach Frankreich, von Ungarn bis nach Tschechien. Wohin man auch schaut: schallende Ohrfeigen.

Und darüberhinaus: Wieder ist das Europaparlament ein Tummelplatz für Europagegner - wie die UKIP, für Europaskeptiker wie die ODS in Tschechien, für Europakritiker wie Buitenen in den Niederlanden oder Hans-Peter Martin in Österreich - übrigens klassische Ein-Mann-Bewegungen, für Rechtsradikale wie Le Front National oder den Vlaams Blok.

Und weil das nicht genug ist: Die Wahlbeteiligung war erschreckend niedrig, nicht einmal jeder zweite ist zur Wahl gegangen - und in neuen Ländern wie in der Slowakei oder in Polen waren es gerade einmal 17 bzw. 20 Prozent. Das ist schon eine Verweigerung Europa gegenüber.

Und in dieser melancholischen Tristesse kommen die Staats-und Regierungschefs wieder einmal zusammen, zum Sommergipfel unter irischer Präsidentschaft. Und diesmal geht es sogar um Wichtiges. Um eine Verfassung, über die seit langem gestritten und gerungen wird. Die Chancen? Sie sind - so sagen die Iren, die sich hinter den Kulissen bemühen, die Kontroversen auszugleichen und Kompromisse zu finden - 50 zu 50.

Also alles ist möglich, Top oder Flop. Und die Streitpunkte? Es sind die immer gleichen - die Art und Weise, wie Mehrheitsentscheidungen in der EU möglich sind, die Größe der Kommission, der Gottesbezug, also alles, was man seit Jahr und Tag kennt und die Mächtigen von Tallinn bis Dublin, von Lissabon bis Ljublana nicht lösen können.

Und es geht um einen neuen Kommissionspräsidenten (und der muss gefunden werden, denn spätestens nach der Sommerpause muss er sich dem neuen Parlament stellen). Die Liste der Namen ist lang, prominent, bekannt: Ahern, Schüssel, Rasmussen, Patten, De Haene, Juncker, Stoiber, Lipponen, Vitorino, Verhofstadt.

Favorit, so hört man, sei der Belgier Verhofstadt, ein erklärter Liberaler, Irakkriegsgegner und aus Überzeugung - sonst hält man den belgischen Laden nicht zusammen. Ein Föderalist, der die Probleme Europas glaubt à la belge lösen zu können. Er hat die Unterstützung von Chirac und Schröder, aber ob das reicht? Juncker aus Luxemburg - er würde es sofort, aber er will nicht, bis jetzt.

Schüssel will es aber er wird nicht, jedenfalls nicht sofort, sondern vielleicht als Kompromisskandidat. Patten - ein klasse Mann, aber Engländer, dazu konservativ - ob Blair da über seinen Schatten springen kann? Vitorino, der Portugiese in der Kommission. Still, effizient, ein Könner - aber unbekannt. Stoiber? Ein erfolgreicher Wirtschaftspolitiker, ein aktiver Industriepolitiker, ein Mann der Bauern, ein Gegner der Brüsseler Übermacht? Doch er hat schon abgelehnt.

Sicher aber ist: Die Staats-und Regierungschefs müssen einen finden, der konservativ ist, aus einem Land kommt, das mal dran ist, der außenpolitisch weder beim alten noch beim neuen Europazu eindeutig zu orten ist. Jemanden, der wirtschaftlichen Sachverstand hat und wenn möglich mindestens Ministererfahrung vorzuweisen hat - besser wäre mehr, also einer von Ihnen ist, ein Premier.

Also dann doch der Däne Rasmussen? Aber die machen nicht mal beim Euro mit! Bleibt Ahern, der Ire. Kommt es zur europäischen Verfassung, dann könnte der Strippenzieher mit dem höchsten Amt in Brüssel gekrönt werden - und Juncker würde bald neuer EU-Ratspräsident. Wenn die 23 mächtigen Herren in der EU - plus zwei Frauen aus Finnland und Lettland - nicht vielleicht doch eine Frau aus ihrem Zylinder zaubern. Aber wer sollte das sein? Benita Ferrero Waldner vielleicht? Das Personal-Roulette geht jedenfalls in seine Schlussrunde.