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Ärztlicher Braindrain aus Serbien

Nemanja Rujević12. Mai 2015

Zehntausende ausländische Ärzte sind in Deutschland tätig. Viele von ihnen kommen vom Balkan. Sie nützen Deutschland, doch in ihrer Heimat hinterlassen sie eine Versorgungslücke. Ein Beispiel ist Serbien.

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Stethoskop (Foto: Patrick Pleul/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Coole, junge Ärzte laufen hektisch durch Hightech-Kliniken. Fieberhaft retten sie Menschenleben. Sie hören laute Rockmusik im Operationsaal, machen dabei Witze und steigen nach der 24-Stundenschicht in ihre dicken Autos, um das Leben zu genießen. Solche Szenen sind in Serbien nur im Fernsehen zu sehen. TV-Serien wie Chicago Hope, Grey's Anatomy oder Dr. House zählen zu den beliebtesten Sendungen auf dem Balkan - dessen Einwohner statistisch gesehen die Weltmeister im Fernsehen sind. Die bekannte US-amerikanische Ärzte-Soap Emergency Room hat sogar ihre lizenzierte serbische Version. Doch die Realität der serbischen Medizin könnte sich von der traumhaften Fernsehwelt kaum mehr unterscheiden.

Junge Menschen wollen weg

"Unsere intermedizinische Abteilung ist beispielsweise für Koronarangiographie nicht gerüstet. Das heißt, dass Patienten mit akutem Herzinfarkt hier so behandelt werden, wie man es vor einem halben Jahrhundert gemacht hat", beschreibt Đorđe Jevtić die Situation des Krankenhauses in Vranje, einer kleinen Stadt in Südserbien. Der 26-jährige Arzt volontiert derzeit hier - unbezahlt - in der Hoffnung, bald eine Stelle zu bekommen. "Für die desolate Lage sind nicht die Ärzte, sondern die Politiker schuld. Unsere Mediziner sind alle gut ausgebildet. Trotzdem sind sie aber gezwungen, wild zu improvisieren." Đorđe hat Deutsch gelernt, mit der Idee, eines Tages auszuwandern, um, wie er scherzhaft sagt, in irgendeinem schwäbischen Dorf alten Omas den Blutdruck zu messen. Oder zumindest in einem Land zu arbeiten, wo sein Beruf wertgeschätzt und dementsprechend bezahlt wird.

Es ist ein Trend, der sich seit längerem abzeichnet. Die serbische Ärztekammer gibt seit 2012 ein Zertifikat aus, das einem Arzt die uneingeschränkte Arbeit im Ausland ermöglicht - das sogenannte 'Certificate of Good Standing'. Allein im letzten Jahr wurden fast tausend solcher Urkunden ausgestellt. Das bedeutet zwar nicht gleich, dass alle zertifizierten Ärzte sofort das Land verlassen, aber wohl, dass sie diese Absicht haben. "Vier Fünftel von denen sind junge Absolventen, die sich nach dem Studium vergeblich auf eine Stelle bewerben. Wenn überhaupt, dürfen sie höchstens ohne Entgelt volontieren", sagt Vesna Jovanović, Direktorin der Ärztekammer. "Es gibt auch Ärzte, die zwar arbeiten, aber ewig auf eine Spezialisierung warten. Und erfahrene Spezialisten, die im Ausland direkt das Sechsfache des serbischen Einkommens verdienen können." Jovanović befürchtet, dass in Zukunft jedes Jahr immer mehr Ärzte das Land verlassen werden als die serbische Universitäten ausbilden.

Es sind nicht nur prekäre Arbeitsverhältnisse, die serbische Ärzte ins Arbeitsexil treiben. Die Branche gilt als hochkorrupt, und viele Jobs werden nur durch Parteignade vergeben. Ein junger Arzt, der lieber anonym bleiben möchte, berichtete der DW seine Erfahrung aus einem Krankenhaus in Požarevac im Osten des Landes: "Der Direktor wollte einfach 3.000 Euro von mir haben. Nur so, habe er gesagt, bekomme ich einen Job."

Pavel Zonca Arzt aus Wesseling (Copyright: Justyna Bronska /DW)
Deutschland braucht Ärzte - auch aus dem AuslandBild: DW/J. Bronska

Gutes Geschäft für Deutschland

Die große Mehrheit der Mediziner, die ihre Zertifikate bei der Ärztekammer abholen, möchte diese Dokumente in deutscher Sprache ausgedruckt haben. Das Ziel heißt also meist Deutschland. Dafür kann Kristian Stambuk, der Geschäftsführer des Portals medizinerkarriere.de, zahlreiche Gründe nennen: der gutstrukturierte Gesundheitssektor, moderne Kliniken und eine Chance, sich fachlich weiterzuentwickeln. "Hohe Einkommen und sichere Arbeitsplätze im Vergleich zu den Ursprungsländern komplementieren ein attraktives Gesamtpaket", sagt der Personalberater. Dazu kommt, dass nach Ansicht von Experten bis 2030 in Deutschland gut 100.000 Ärzte fehlen werden. Stambuks Fazit: "Wir können sehr froh darüber sein, so viele ausländische Ärzte zu haben."

Diesem Sog haben die wirtschaftlich schwachen Herkunftsländer wenig entgegenzusetzen. Serbien etwa, wo sich die Arbeitslosigkeit der 30-Prozent-Marke nähert, Wirtschaftswachstum seit Jahren ausbleibt und ein Allgemeinmediziner mit einem Gehalt von 400 bis 500 Euro im Monat rechnen kann. In einer aktuellen Umfrage geben über 60 Prozent der Eltern an, sie würden ihren Kindern raten, Serbien zu verlassen. Ähnlich geht es dem östlichen Nachbarland Rumänien, dessen Mediziner seit Jahren die Liste der ausländischen Ärzte in Deutschland anführen. Zur Zeit sind rund 4.000 Rumänen mit ihren Stethoskopen in der Bundesrepublik unterwegs. Es folgen die aus Griechenland, aus Polen, Ungarn, Bulgarien und der Slowakei.

Es klingt ein wenig wie ein Vorwurf, wenn Vesna Jovanović bemerkt: "Einen Arzt auszubilden, kostet viel Geld. Für Deutschland ist es viel billiger, diese Experten zu importieren." In der Tat fehlen in Deutschland die Studienplätze, doch Kristian Stambuk glaubt nicht, dass es sich um eine Strategie handele: "Aufgrund der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, technischen, sozialen und werteorientierten Veränderungen braucht es einfach etwas Zeit, um das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage im ärztlichen Bereich wiederherzustellen."

Lücke Zuhause

Doch von dort, wo die Ärzte herkommen, zeigen sich langsam medizinische Versorgungslücken. Mit etwa sieben Millionen Einwohnern hat Serbien nur 22.000 Ärzte, was deutlich unterhalb des EU-Niveaus liegt. In vielen Regionen fehlen Spezialisten, etwa Anästhesisten oder Radiologen. Das zuständige Gesundheitsministerium versucht, das Problem kleinzureden. Nur ältere Ärzte wollten auswandern, um üppige Abfindungen zu kassieren, kolportierten neulich Medien eine Stellungnahme des Ministeriums. Man wolle schneller und einfacher die Spezialisierung jüngerer Ärzte ermöglichen. Doch davon scheint selbst Präsident Tomislav Nikolić nicht überzeugt. "Die jungen Leute wandern nicht aus, weil sie Serbien hassen, sondern weil sie ein besseres Leben wollen", sagte er vergangene Woche in einem Interview.

Ärzte im Krankenhaus (Foto: DW)
"Für Deutschland ist es viel billiger, die Experten zu importieren als sie auszubilden"Bild: DW

Der Arzt Đorđe Jeftić überlegt noch. Er würde eigentlich gerne in Serbien bleiben. Teilweise aus Patriotismus, teilweise aus Angst, er werde sich nicht im Ausland zurechtfinden. "Deutschland ist für mich jetzt eher ein Plan B." Der aber ganz schnell zum Plan A avancieren kann - wenn Đorđe bald keine Stelle in Serbien findet.