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Hasskriminalität im Fokus

Anja Fähnle8. April 2015

Erst der Rücktritt des Bürgermeisters nach rechten Protesten, dann der Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim - Tröglitz sorgt für Gesprächsstoff. Muss Hasskriminalität neu bewertet werden?

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Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und Innenminister Holger Stahlknecht (vorn 2. u. 3.v.l.) (beide CDU) nach dem Brand in zukünftiger Asylbewerberunterkunft in Tröglitz (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Hendrik Schmidt

Die kleine Stadt Tröglitz in Sachsen-Anhalt kommt nicht aus den Schlagzeilen: Erst trat ein Ortsbürgermeister zurück, nachdem er und seine Familie wegen der geplanten Asylbewerberunterkunft von Rechtsextremen bedroht worden waren. Dann wurde offenbar vorsätzlich ein Feuer in dem weitgehend leer stehenden Gebäude gelegt, in dem ab Mai 40 Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Diese Vorkommnisse haben eine neue Debatte über Hasskriminalität entfacht.

In Deutschland wird Hasskriminalität vor allen Dingen als Rechtsbegriff gesehen und im Strafrecht benutzt. Darunter fallen unter anderem Taten, die sich gegen Angehörige einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe richten, zum Beispiel wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Hautfarbe, Religion, sexuellen Orientierung oder Behinderung. Im Gegensatz dazu ist in den USA das Konzept der "Hate Crimes" eng mit der Entwicklung der Bürgerrechte verbunden und entstand zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Änderung der Polizeistatistik gefordert

Diese Straftaten werden in der Bundesrepublik bislang nicht gesondert in der Kriminalitätsstatistik erfasst. Das soll sich nach dem Willen der Leiterin der Antidiskriminierungsbehörde des Bundes, Christine Lüders, ändern. In der neuen Kategorie Hasskriminalität sollen in der Polizeistatistik dann alle Delikte aufgeführt werden, die aufgrund eines Vorurteils begangen werden, unabhängig von der politischen Einstellung des Täters, heißt es in einem von der Behörde in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten.

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken (Foto: Achim Melde/ Deutscher Bundestag)
Ulla Jelpke stellt der Bundesregierung unangenehme Fragen zu Anschlägen auf FlüchtlingsheimeBild: Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion, meldet Bedenken an: "Ich frage mich, wie Hasskriminalität definiert wird." Ihrer Meinung nach sollten alle rassistisch motivierten Aktionen mit einbezogen werden - das sei bislang nicht der Fall. "Vor allem muss untersucht werden, ob der Beginn der Pegida-Demonstrationen nicht auch die Hemmschwelle freigesetzt hat, zuzuschlagen und Asylunterkünfte, die noch gar nicht bewohnt sind wie in Tröglitz, abzufackeln", sagt Jelpke im Gespräch mit der DW.

Angriffe auf Flüchtlingsheime sind drastisch gestiegen

Ihre Fraktion stellt seit zwei Jahren verschiedene Anfragen an die Bundesregierung, um Zahlenmaterial über Proteste gegen und Übergriffe auf Flüchtlingsheime zu bekommen. "Ich bin der Meinung, dass die Öffentlichkeit wissen muss, was in diesem Bereich passiert", sagt Jelpke. Und die Antwort der Bundesregierung brachte einen deutlichen Anstieg zutage: 2014 gab es drei Mal so viele rechtsmotivierte Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte wie 2013 (150 Angriffe 2014, 50 Angriffe 2013) und insbesondere im vierten Quartal 2014 stiegen diese rasant an auf allein 75 Übergriffe.

"Und das hat meiner Meinung nach damit zu tun, dass zu diesem Zeitpunkt Pegida-Demonstrationen stattfanden", sagt Jelpke. Sie finde es ungeheuerlich, dass in den Statistiken der Bundesregierung bisher nur rechtsextremistische Organisationen wie "NPD", "Pro NRW" oder "Der dritte Weg" aufgeführt werden als Drahtzieher von Kundgebungen, nicht aber Pegida.

Verkohltes Dach nach Brand in zukünftiger Asylbewerberunterkunft in Tröglitz, (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)
Übergriffe, Anschläge und Sachbeschädigungen auf Flüchtlingsunterkünfte wie hier in Tröglitz nehmen seit 2013 stark zu.Bild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Größere Sensibilisierung für Hasskriminalität

In dem Gutachten der Antidiskriminierungsstelle, das Professor Dieter Kugelmann von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster erarbeitet hat, wird zudem empfohlen, bei den Staatsdienstschutzstellen der Polizei eine "Kontaktperson Hasskriminalität" einzusetzen, um eine größere Sensibilisierung für das Thema zu erreichen. "Wenn wir Hasskriminalität wirksam bekämpfen wollen, müssen wir bereits in dem Moment ansetzen, in dem die Polizei eine Straftat erfasst und einordnet", sagt Lüders. Dazu soll das Thema Hasskriminalität verstärkt in der Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz einfließen. Im Polizeialltag, so kritisiert Lüders, werde das Verständnis von Hasskriminalität derzeit zu stark auf eine politische Motivation verengt. Und das führe dazu, dass der rassistische Hintergrund von Straftaten, die nicht eindeutig dem organisierten Rechtsextremismus zuzuordnen sind, gar nicht erfasst werden, sagt Lüders.

Erst im März hatte der Bundestag ein Gesetz beschlossen, demzufolge rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende Motive bei der Strafzumessung künftig besonders berücksichtigt werden sollen - eine Reaktion des Parlaments auf die Mordserie der rechtsextremistischen Terrororganisation NSU. Das Gesetz zielt allerdings besonders auf das Strafmaß ab. "Unsere Vorschläge nehmen dagegen den Anfang der Kette der Strafverfolgung in den Blick", sagt Lüders. Dadurch ließen sich greifbare Verbesserungen in der Verfolgung von vorurteilsgeleiteten Taten erzielen.

Und das Rechtsgutachten gibt noch eine weitere, schnell umsetzbare Empfehlung: die Pflicht, einen jährlichen nationalen Bericht über die Hasskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland zu erstellen. Ein lobenswerter Ansatz, findet Ulla Jelpke von der Links-Fraktion: "Jetzt müssen wir sehen, ob das die Bundesregierung auch so sieht."