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Nachfolge Havels vertagt

Vladimir Müller15. Januar 2003

Der erste Anlauf zur Wahl eines neuen Staatspräsidenten in Tschechien ist gescheitert. Die Ära des Ex-Dissidenten und Schriftstellers Václav Havel geht nur zögernd zu Ende.

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Wachablösung an der Moldau geplantBild: Illuscope

Auch im dritten Wahlgang verfehlten am Mittwoch (15.1.2003) die Kandidaten für den Posten des tschechischen Staatspräsidenten im Parlament die erforderliche Mehrheit. Damit ist die Wahl des Nachfolgers von Amtsinhaber Vaclav Havel wieder völlig offen. Havel durfte aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr kandidieren. Er scheidet am 2. Februar aus und wurde vom Parlament mit lang andauerndem Applaus verabschiedet.

Laut Verfassung kann nun eine zweite Runde mit erneut maximal drei Wahlgängen und gleichen oder anderen Kandidaten stattfinden.

"Es ist schwer, für das Präsidentenamt einen entsprechenden Kandidaten zu finden, weil dieses Amt hier einen 'monarchistischen Charakter' hat", sagt der Politologe Bohumil Dolezal über das Dilemma der tschechischen Präsidentenwahl. "Es entstand die Vorstellung, der Präsident sei kein gewöhnlicher Politiker, sondern immer eine außergewöhnliche Persönlichkeit."

Neue Zeiten

Einen zweiten Havel wird es jedoch nach Dolezals Worten nicht geben. Ein ähnlich kometenhafter Aufstieg - vom ausgestoßenen Dissidenten und Schriftsteller zum vor allem im Ausland gefeierten Staatsoberhaupt - sei unter den heutigen demokratischen Verhältnissen in Tschechien nicht mehr denkbar. Darüber hinaus kann Dolezal einem - wie er sagt - 'PR-Präsidenten' wie Havel ohnehin nicht mehr viel abgewinnen.

Bush und Havel bei einem Treffen vor dem NATO Gipfel, Prag
Auch U.S.-Präsident George W. Bush jr. traf sich gerne mit Vacla Havel zum Foto-Termin (20.11. 2002 in Prag)Bild: AP

Leise Kritik an Havel - sowohl in der politischen Klasse Tschechiens als auch in der Bevölkerung - nahm in den vergangenen Jahren ständig zu. Es ist ja auch nicht einfach, jemanden zu mögen, der so anders ist als man selbst. In einem Land, in dem sich die meisten Tschechen in den 1970er und 1980er Jahren mit den kommunistischen Machthabern arrangiert hatten, gehörte Havel zu den Wenigen, die offen gegen das Regime zu Felde zogen. Dafür rächte sich der Staatsapparat. Man setzte Havel permanenten Repressalien aus, und der Menschen- und Bürgerrechtler aus Prag verbrachte mehrere Jahre im Gefängnis.

Kritik

Mittlerweile wird Havel offen kritisiert: "Seine Politik war etwas ambivalent. Er hätte über den Parteien stehen sollen. Stattdessen polarisierte er in den letzten zehn Jahren die politischen Auseinandersetzungen. Auf der einen Seite stand Havel mit seinen Leuten und auf der anderen Seite der einstige Premierminister Vaclav Klaus."

Klaus will es jetzt seinem Rivalen zeigen. Er tritt als Kandidat der oppositionellen Bürgerpartei ODS in der Wahl um Havels Nachfolge auf. Neuesten Umfragen zufolge hätte der immer noch populäre Euro-Skeptiker Klaus beste Chancen zu gewinnen, dürfte das Volk den künftigen Präsidenten direkt wählen. "Seine Popularität verdankt Klaus der Tatsache, dass er die 'Kapitalisierung des Sozialismus' erfand", erläutert Dolezal. "Es war die Idee eines rasanten Wandels: Eine recht schlichte Theorie, die deshalb auch verdächtig war. Vielen imponierte sie aber."

Klaus, Zeman, Pithart

Neben Klaus gelten noch zwei andere Politiker als chancenreich. In der stärksten Regierungspartei hält sich Milos Zeman bereit. Er war bis Juni 2002 Tschechiens umstrittener Ministerpräsident. Zeman wurde durch Äußerungen, die zu diplomatischen Verstimmungen mit Deutschland führten, bekannt, und verfügt in der Partei noch immer über viele Anhänger.

Ministerpräsident Vladimir Spidla würde seinen Parteigenossen Zeman auch in Zukunft lieber im Ruhestand sehen. Spidla soll deshalb tschechischen Zeitungsberichten zufolge bereits die Parole ausgegeben haben: Einen Kompromisskandidaten wählen!

Verfassungsfaktor statt Heiliger

Der hieße dann Petr Pithart, Senatspräsident und Kandidat der mitregierenden Christdemokraten. Der einstige Reformkommunist und Dissident - im politischen Leben seit der Wende 1989 dabei - gilt im Gegensatz zu Klaus und Zeman als Mann des Ausgleichs, von dem keine Gefahr ausgeht, selbstherrlich Politik zu betreiben.

Ob Pithart, Zeman oder Klaus, der "monarchistische Charakter" des Präsidentenamtes in Prag wird wohl nach dem Abtritt Havels zur politischen Geschichte dieses Landes gehören. Dem Politologen Dolezal wäre dies recht, wie er sagt: "Ich würde mich freuen, wenn man den Präsidenten als einen Verfassungsfaktor betrachten würde, als den höchsten Beamten im Staat, nicht als einen Führer, Propheten oder Heiligen. Wir werden kein Wunder-Staat mehr sein mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit an der Spitze. Doch dieser Eindruck war ohnehin falsch."