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Nachhilfe für Regierung und Parlament

30. Juli 2009

Zum dritten Mal innnerhalb kurzer Zeit stärkt das Bundesverfassungsgericht das deutsche Parlament gegenüber der Regierung und zeigt damit, dass zwischen beiden etwas aus dem Lot geraten ist, meint Peter Stützle.

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Peter Stützle (Foto: DW)

Deutschland ist eine Parlamentarische Demokratie, so lernen es Schüler im Gemeinschaftskunde-Unterricht. Das bedeutet: Das Volk wählt sich ein Parlament, und dieses trifft im Auftrag des Volkes die politischen Entscheidungen. Die Regierung handelt im Auftrag des Parlaments, auf der Grundlage der Gesetze, die das Parlament beschließt.

Das bedeutet nicht, dass die Regierung nur verlängerter Arm des Parlaments ist. Sie ist ein selbständiges Verfassungsorgan und hat im Zuge der Gewaltenteilung eigene Machtbefugnisse. Erst recht aber ist das Parlament nicht der verlängerte Arm der Regierung, der ihr die gewünschten Beschlüsse liefert, jedoch nicht zu genau in die Karten guckt. Das hat das Bundesverfassungsgerichts nun drei mal hintereinander in aller gebotenen Deutlichkeit klar gemacht.

Rechte der Abgeordneten gestärkt

Im Urteil über den EU-Reformvertrag von Lissabon Ende Juni lautete eine Kernaussage, dass die Bundesregierung bei Verhandlungen mit den Partnern in der Europäischen Union im Auftrag des Parlaments tätig ist. Zwar kann dieses der Regierung nicht detaillierte Vorschriften machen, da sonst keine Verhandlungen mehr möglich wären, aber die Regierung kann die Wünsche des Parlaments auch nicht einfach ignorieren. Denn damit würde die Parlamentarische Demokratie ausgehebelt. Das Karlsruher Gericht hat denn auch nicht den Lissabon-Vertrag als solchen beanstandet, sondern das deutsche Begleitgesetz über die parlamentarische Mitwirkung.

Bei dem Urteil über die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse vor wenigen Tagen ging es, wie beim jetzigen Urteil, um die Überwachung von Geheimdiensttätigkeiten durch das Parlament. Gemeindienste sind von ihrem Wesen her etwas, das sich leicht der Kontrolle entzieht. Umso aufmerksamer müssen die Volksvertreter sein, dass diese Dienste nicht Demokratie und Rechtsstaatlichkeit untergraben. Karlsruhe hat nun festgestellt: Jeder Abgeordnete kann von der Regierung Auskunft auch über Aktivitäten der Geheimdienste verlangen. Zwar gibt es auch gute Gründe zur Geheimhaltung bestimmter Informationen, aber diese Gründe muss die Regierung in jedem Einzelfall darlegen und kann sie nicht wie bisher einfach behaupten. Das zur Verschwiegenheit verpflichtete, sehr kleine Parlamentarische Kontrollgremium, dem die Regierung auch geheime Informationen vorlegt, kann nicht als Ausrede dafür dienen, allen anderen Abgeordneten gar keine Informationen zu geben.

Falsches Selbstverständnis des Parlaments

Die drei Urteile sind drei schallende Ohrfeigen für die Regierung. Sie sind aber auch Ohrfeigen für den Bundestag. Denn dieser hat - und nicht erst seit gestern - seine Rechte, die zugleich auch Pflichten sind, allzu sehr schleifen lassen. Die jeweiligen Koalitionsfraktionen haben ihre Funktion vor allem als Mehrheitsbeschaffer der von ihnen getragen Regierung gesehen und die Kontrolle der Opposition überlassen. Koalitionsabgeordnete, die gegen Regierungsvorhaben aufbegehrten oder gar, wie im Fall des Lissabon-Vertrages, vor das Verfassungsgericht zogen, wurden in ihren Fraktionen schief angesehen. Die drei Urteile jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, sollten für die Abgeordneten des neuen Parlaments ein Ansporn sein, ihre Rolle gründlich zu überdenken.

Autor: Peter Stützle
Redaktion: Martin Schrader