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Schelew hat den Frieden in Bulgarien bewahrt

Alexander Andreev30. Januar 2015

Der ehemalige bulgarische Präsident Schelju Schelew ist tot. Er war ein außergewöhnlicher Politiker, der entscheidend zu dem friedlichen politischen Übergang in Bulgarien beigetragen hat.

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Der ehemalige bulgarische Präsident Schelju Schelew (Foto: Ullstein Bild)
Bild: ullstein bild - Gisbert Paech

Als eine Beraterin dem damaligen bulgarischen Staatspräsidenten Schelju Schelew sagte: "Ich muss dringend mit dir sprechen!", entgegnete er: "Gegen wen?" Denn der erste demokratisch gewählte bulgarische Präsident wollte, dass sein politisches Handeln immer moralisch fundiert ist. Doch gerade daran scheiterte letztendlich seine politische Karriere.

Der Philosoph Schelju Schelew war einer der wenigen bulgarischen Dissidenten vor der Wende. 1964 wurde er aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, weil er in seiner Dissertation Lenins theoretische Postulate hinterfragt hatte. In den folgenden acht Jahren war er entweder arbeitslos oder hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Unter anderem arbeitete er auch als Landwirt. 1981 veröffentlichte er die Monographie "Der Faschismus", in der er die Mechanismen der totalitären Gesellschaft analysierte. Das Buch wurde schnell zu einem Geheimtipp unter den kritisch denkenden Intellektuellen, die es als eine Anklage gegen das politische System in Bulgarien lasen. Die kommunistischen Machthaber ließen die Schrift verbieten und aus den Regalen der Buchläden verschwinden.

Gewalt und Chaos vorbeugen

In den turbulenten Zeiten zwischen Anfang 1988 und Ende 1989 beteiligte sich Schelew sehr aktiv an den damals entstehenden oppositionellen Strukturen in Bulgarien. Er war Mitbegründer des "Klubs zur Unterstützung von Glasnost und Perestroika in Bulgarien" (Anm. d. Red.: von Michail Gorbatschow eingeleitete Reformprozesse in der Sowjetunion), aus dem dann die bürgerliche politische Opposition entstand.

Denkmal für die Opfer des Kommunismus in Bulgarien (Foto: BGNES)
Denkmal für die Opfer des Kommunismus in Bulgarien: Schelew gehörte zu den wenigen Dissidenten des LandesBild: BGNES

Kurz nachdem der langjährige kommunistische Diktator Todor Schiwkow am 10. November 1989 abgesetzt wurde, hat Schelew eine entscheidende Rolle bei der Gründung der Union demokratischer Kräfte (SDS) gespielt. Diese sehr heterogene politische Bewegung, die sich später zu einer Mitte-Rechts-Partei entwickelte, hat unter seiner Führung zu einem gewaltlosen Übergang zur Demokratie beigetragen. Ende 1989 und Anfang 1990 gingen die bulgarischen Nationalisten sehr aggressiv gegen die türkischsprachige Minderheit vor und das Land war nur einen Schritt vom Bürgerkrieg entfernt. Mit seinem klugen und gemäßigten Auftreten hat Schelew Gewaltausbrüche und politisches Chaos vorbeugen können. Seine innerparteilichen Gegner, die ihn später gestürzt haben, kritisierten ihn deswegen scharf - aus der Überzeugung heraus, die Kommunisten seien nur mit Gewalt und Chaos wegzujagen. Und tatsächlich gewann die ex-kommunistische Bulgarische Sozialistische Partei bei den ersten freien Parlamentswahlen am 10. Juni 1990. Schelews SDS kam als zweitstärkste Kraft in die Große Volksversammlung. Kurz darauf wählte ihn das Parlament zum ersten Staatspräsidenten - als Kompromiss mit der Opposition und als Ventil für die Spannungen im Land.

Bruch mit der eigenen Partei

Als 1991 die SDS die Parlamentswahl gewann und unter Schelews Nachfolger Filip Dimitrow die Regierung stellte, hatte Bulgarien schon endgültig den Weg in Richtung Demokratie, Marktwirtschaft und Europa eingeschlagen. Die Regierung hat die ersten Reformen eingeleitet, eine NATO- und EU-Mitgliedschaft stand schon auf der Tagesordnung. Außenpolitisch haben Dimitrov und Schelew eine weitere sehr wichtige Entscheidung getroffen, die wegen ihrer geschichtlichen Dimension in Bulgarien sehr umstritten war: Sofia hat als erstes Land die Unabhängigkeit der Republik Mazedonien anerkannt. Das war eine entscheidende Weichenstellung für das friedliche Nebeneinander mit dem ex-jugoslawischen Nachbarn, an den nicht wenige Bulgaren sogar territoriale Ansprüche stellten.

Fahnen von Bulgarien, Rumänien und der EU (Foto: dpa)
Bulgarien ist seit 2007 EU-MitgliedBild: picture-alliance/dpa/Donev

1992 folgte dann der Bruch. Nachdem Schelew öffentlich die Regierung kritisierte im Wahlkampf vor der ersten direkten Präsidentschaftswahl, wurde er von seiner Partei verstoßen. Dank seiner Popularität gewann er zwar die Wahl, hatte aber von nun an keine eigene politische Basis und wurde 1997 nach seinem zweiten Mandat abgewählt. Gerade seine Prinzipientreue und Aufrichtigkeit versperrten ihm eine längere politische Karriere. Danach hat es Schelew zwar mehrfach versucht, blieb aber erfolglos. Letztendlich gründete er einen Balkan-Politikklub, in dessen Rahmen sich ehemalige Staatspräsidenten informell zu aktuellen Entwicklungen in der Region austauschten - diese Initiative blieb aber eher eine elitäre Gesprächsrunde.

Schelju Schelew ist im Alter von 79 Jahren gestorben. Er war ein außerordentlicher Politiker, dem das heutige Bulgarien sehr viel zu verdanken hat: Das wurde bei der Trauerstunde im bulgarischen Parlament am Freitag quer durch alle Parteien unterstrichen.